zum Hauptinhalt
Hertha-Fans im Olympiastadion

© dpa/picture alliance /Kay Nietfeld

Berliner Fankultur: Ha-Ho-He, Hertha tut nicht weh!

Es ist zum Heulen: Lange war der Verein nicht so erfolgreich und sympathisch - aber die Stadt will partout nicht mitfiebern. Liebes Berliner Fußballvolk: Ein bisschen mehr verdiente Begeisterung, bitte!

Wertes Fußball-Volk da draußen, oder wie es im Olympia-Stadion zur Begrüßung heißt: Berliner! Brandenburger! Herthaaaa-Fans! Na, auch schon ganz hibbelig und voller Vorfreude auf jedes Heimspiel? Frühlingserwachen und Fußball, Bundesliga-Topspiel, wenn, wie Samstag, die Delegation aus Dortmund kommt, ist volle Hütte garantiert, 74.000 mindestens.

Typisch! Wenn sich die Stars aus München, Gelsenkirchen oder vom BVB die Ehre geben, ist das Olympia-Stadion ausverkauft. Aber sonst? Wer sich richtig gruseln will, dem empfehle ich den Besuch eines Hertha-Heimspiels gegen den Tabellenletzten Anfang Dezember. Wer diese gähnende Leere einmal erlebt hat, kann die Argumente des Vereins für einen Stadionneubau ebenso nachvollziehen wie die zentrale Gegenfrage vieler Kritiker: Hat Berlin keine dringlicheren Probleme und Baustellen?

Eins vorneweg: Niemand aus der PR-Abteilung von Hertha BSC hat mir Geld dafür geboten, diese Zeilen zu schreiben – dafür fehlt denen das Budget und mir die korrupte Ader. Auch an Verblendung kann es nicht liegen: Als Fan trage ich zwar gerne Vereinsbrille, aber das rostige, verbogene Modell meines abgestürzten Drittligisten. Sorgen wie Hertha BSC hätten sie beim FC Hansa in Rostock gerne, aber das ist eine andere Geschichte.

Falls es jemand nicht mitgekriegt hat: Wir sind auf dem fünften (!) Tabellenplatz

Woran liegt es also, dass Berlin jenseits der klassischen Hertha-Kieze im alten Westen nicht warm wird mit seinem größten Fußball-Klub? Oder anders gefragt: Was ist nur mit den Berlinern los? Ist ihnen etwa entgangen, was gerade passiert bei Hertha BSC? Falls ja: Es gibt da jetzt einen unaufgeregten, authentischen, sympathischen Trainer mit Lokalkolorit, Pal Dardai, der einen Durchschnittskader auf Tabellenplatz fünf (!) geführt hat und immer wieder beweist: Eine Mannschaft ist viel mehr als die Summe ihrer Einzelspieler. Der Begriff „Abstiegskandidat“ fällt höchstens noch, wenn vom nächsten Gegner die Rede ist. Vorbei auch die Zeiten, in denen sich der Verein wichtiger nahm, als er tatsächlich war. Hertha ist – unabhängig von der Stadion-Debatte – im Erfolg bescheidener geworden, bodenständiger, greifbarer.

Früher konnte ich auch nicht viel mit der Alten Dame anfangen. Ihr eilte der sorgsam gepflegte Ruf voraus, so verpeilt zu sein wie die ganze Stadt. Wenn wir mit Freunden ins Olympia-Stadion gingen, dann fast ausschließlich in den Gäste-Block. Im Moment aber darf man dem Klub ganz objektiv das höchste Lob ausstellen, das der gemeine Berliner kennt: Kannste nich meckern. Hertha macht einfach Spaß.

Warum bloß stellt der Berliner auf Durchzug?

Was aber macht der gemeine Berliner? Stellt auf Durchzug. Es will nicht in meinen Kopf. In anderen Bereichen gibt es doch auch einen Zusammenhang zwischen Leistung und Resonanz. Wenn etwa auf den Kulturbühnen der Stadt gute Aufführungen laufen, gehen die Besucherzahlen hoch. Nur beim vermeintlich identifikationsstiftenden Fußball funktioniert das nicht. Die Stadt wächst jahrein, jahraus um zehntausende Menschen, aber das Olympia-Stadion bleibt halb voll – oder halb leer, je nachdem.

Ein Erklärungsmuster lautet: Kein Wahlberliner kündigt seinem Herzens- oder Heimatklub die Freundschaft, nur weil er nach Hipsterhausen umzieht. Wer in Berlin Bundesliga sehen will, kann das an Spieltagen in 15 Fan-Kneipen sechs verschiedener Klubs tun (Dortmund, Bayern, Schalke, Frankfurt, Freiburg, Bremen). Das macht die Sache nicht eben leichter.

Mag sein, dass Hertha nicht den schönsten Fußball spielt, aber ein paar mehr regelmäßige Besucher, ein bisschen mehr allgemeinen Support hat sich der Verein längst verdient. Also, liebe Berliner, hebt euren Hintern am nächsten Bundesliga-Spieltag von der Couch und geht ins Olympia-Stadion, nur mal so als Test. Und bedenkt die Worte des großen argentinischen Fußball-Weisen Cesar Luis Menotti, der kürzlich diese wunderbaren Sätze sagte: „Es gibt nichts Langweiligeres als Fußball im Fernsehen. Das ist, als würde ich mir einen Liebesfilm anschauen und dabei meinen Hund im Arm halten.“

Dieser Text erschien als Rant im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false