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Zeichen setzen. Die Schaufensterfolien in einer Simulation.

© Kulturprojekte Berlin GmbH

Exklusiv

Berliner Kaufleute erinnern an Novemberpogrome: Schaufenster in Scherben

Mit einer ungewöhnlichen Aktion wollen mehr als 100 Berliner Läden an die Pogromnacht von 1938 erinnern, als das NS-Regime die Scheiben jüdischer Geschäfte zertrümmern ließ. Am zweiten Novemberwochenende werden Schaufenster nun so gestaltet, dass sie ebenfalls wie zerstört wirken.

Am zweiten Novemberwochenende werden viele Menschen beim Shoppingbummel in Berlin verblüfft sein, vor allem in der City West und am Hackeschen Markt in Mitte. An mehr als 100 Läden sollen sie scheinbar zersplitterte Schaufenster mit großen schwarzen Löchern sehen, als wäre das Glas eingeschlagen worden – zumindest auf den ersten Blick.

Tatsächlich handelt es sich um aufgeklebte Folien. Wie der Tagesspiegel erfuhr, wird ein Schriftzug auf das Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ hinweisen, die Läden legen erklärende Flyer aus.

Der Anlass für die Schaufenster-Aktion am 9. und 10. November ist der 75. Jahrestag der Pogromnacht von 1938. Damals brannten Synagogen in ganz Deutschland, und Angehörige der nationalsozialistischen SA und SS zertrümmerten die Schaufenster von Geschäften jüdischer Inhaber. Juden wurden misshandelt, ermordet und in Konzentrationslager verschleppt.

Bereits zum 70. Jahrestag hatte der Handelsverband Berlin-Brandenburg die Plakataktion „Berlin erinnert sich“ gestartet. Schon damals habe er sich „eine Visualisierung gewünscht“, sagt Hauptgeschäftsführer Nils Busch-Petersen. Das erzählte er später Moritz van Dülmen von der Kulturprojekte Berlin GmbH. Dülmen hörte aufmerksam zu – denn er plante gerade das Themenjahr, das mit vielen Projekten an die zerstörte gesellschaftliche Vielfalt ab 1933 erinnert.

Kurzfristig erarbeitete die landeseigene Gesellschaft das Grundkonzept der Schaufenster-Aktion gegen Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz. Der Handelsverband machte seine Mitglieder in einem Rundschreiben auf die Pläne aufmerksam. Außerdem sandte van Dülmen Teams aus, die für die Initiative warben. Auch jetzt noch laufen Gespräche mit Händlern, denen keine Kosten entstehen sollen.

Die Jüdische Gemeinde begrüßt die Pläne

Aus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin heißt es, man finde das auffällige Projekt gut, „es erinnert auf ungewöhnliche Weise an diese schrecklichen Tage“.

Van Dülmen ist zufrieden, „wir erleben ein großes Engagement“. Manche Läden zögen aus verschiedenen Gründen nicht mit, aber grundsätzlich stoße man „zu 99 Prozent auf große Akzeptanz“. Da Mitarbeiter der Initiative anbieten, die Folien zu befestigen und auch wieder zu entfernen, sei die Zahl der Teilnehmer aus logistischen Gründen begrenzt.

Auch große Häuser wie das KaDeWe und der Kaufhof am Alex beteiligen sich

Offiziell wird die Aktion am 8. November vorgestellt. Es sind aber schon Namen von Mitmachern zu erfahren – darunter das KaDeWe, der Kaufhof am Alex, die Drogeriekette dm und die Bäckerei Steinecke am Hackeschen Markt . Bei der Modekette H & M überlegt man noch. Das Kulturkaufhaus Dussmann erinnert auf verschiedene Weise an die Pogromnacht. Uwe Timm, Centermanager des Europa-Centers am Breitscheidplatz, sagt, er habe Anfang dieser Woche davon erfahren durch eine Mail der H & M-Bezirksleiterin an die AG City, wo er Vorstandsmitglied ist. Timm will mit den Mietern des Europa-Centers über die Beteiligung reden und hofft, dass die Vorbereitungszeit noch reicht. Denn Filialgeschäfte müssen in der Regel ihre Zentralen um Erlaubnis bitten. Auch inhabergeführte Läden wie King’s Teagarden am Kurfürstendamm machen mit. Er liebe den „historischen und zeitgerechten“ Boulevard, sagt der langjährige Betreiber Werner Schmitt. Weil dort früher Schreckliches geschehen sei, „gehört es dazu“, daran zu erinnern.

Im Mittelpunkt stehen die Orte der größten Zerstörungen

Moritz van Dülmen legt den Schwerpunkt auf Gegenden, wo die Nationalsozialisten in der Pogromnacht besonders stark wüteten. Dazu zählt er den Ku’damm, die Tauentzienstraße und den Hackeschen Markt. Es gebe aber wenig Fotos und Unterlagen, „wir erheben keinen Anspruch auf historische Authentizität“. Recherchehilfe kam vom Lehrstuhl des Geschichtsprofessors Michael Wildt an der Humboldt-Uni. Vereinzelt beteiligen sich Händler in anderen Stadtteilen, wie die Interessengemeinschaft Weißensee, die ein Zeichen gegen den „Thor Steinar“-Laden in der Berliner Allee setzen will. Die Marke ist beliebt unter Neonazis. Von den internationalen Luxusläden am Kurfürstendamm hat noch keiner für die Aktion zugesagt. C&A am Ku’damm hält sich ebenso zurück, obwohl der Store-Manager die „Superidee“ lobt. Doch C&A starte gerade eine große Anzeigenkampagne, da könne man die Schaufenster nicht teilweise verhüllen.

Als Zielgruppe nennt van Dülmen neben Passanten auch junge Verkäufer, die von den Ereignissen 1938 nur wenig wüssten. Die Folien sind als Symbole gedacht, um eine perfekte optische Täuschung geht es nicht: „Es muss nicht so echt aussehen, dass jemand die Polizei ruft.“

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