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Berlin: Berliner Leuchten

Ilja Richter macht sich für Gaslaternen stark Heute lädt er mit Kollegen zum Benefiz am Ku’damm.

Meine Güte, hängt Ilja Richter sich in die Gaslaternensache rein. Um nicht zu sagen ran. Er stürmt auf die Straße, stoppt ein Taxi und shanghait den Fahrer. Hochheben soll ihn der verdutzte Mann. Fürs Foto. Auf den Laternenmast vor dem Amtsgericht Charlottenburg, wo mehrere Exemplare dieser seit Ende des 19. Jahrhunderts auf Berlins Straßen anzutreffenden Schinkelleuchten stehen. Schwupp, schon baumelt er an der gusseiserne Laterne, die er retten will. Fehlt nur noch sein legendärer Schlachtruf „Spot an“ aus seligen Fernseh-Disco-Tagen. Passanten staunen und klatschen. Schon gleitet der rasende Richter herunter, schlüpft in den eigens abgestreiften Schuh, dankt, winkt, hüpft ins Taxi und braust weiter zum nächsten Termin in einem Radiostudio.

Der Körpereinsatz des komödiantisch veranlagten Künstlers dient Werbezwecken. Schon vorher – beim Morgenkaffee im „Lentz“ am Stuttgarter Platz – rührt er die Trommel für die von ihm initiierte und teils auch getextete Benefizgala „Rettet die Gaslaternen“, die am Montag in der Komödie am Ku’damm steigt. Allerdings auf lakonische Art. „Ach was – Gala“, winkt er ab, „ich moderiere zwar im Smoking, aber das wird keine Gala, sondern ein musikalischer Protestabend!“ Oder in Kurzform: Sagen, Singen, Lesen – vom und zum Gaslicht. Unterstützt von Schauspielerkollegen wie Katharina Thalbach, Anita Kupsch und Walter Plathe, Fotograf Jim Rakete, den Sängern Thomas Quasthoff und Klaus Hoffmann und Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein macht sich Richter für die Erhaltung der – wie berichtet – seit Juni nach und nach gegen Elektroleuchten ausgetauschten Berliner Gaslaternen stark.

Für ihn als gebürtigen Berliner sei deren Verlust subjektiv schlimmer als das Flughafen-Debakel, sagt Richter, der am 24. November 60 Jahre alt wird. „Letzteres tut jetzt weh, Ersteres wird in 15 Jahren wehtun, wenn das abgeschaffte Gaslicht unseren Kindern und Enkeln noch nicht mal mehr im Gedächtnis ist.“ Für ihn und die den Abend unterstützenden Vereine „Gaslicht Kultur“ und „Denk mal an Berlin“ ist das warme, leise zischende Gaslicht ein einzigartiges Kulturgut, ein Zeitdokument, ja quasi das Gesicht der Stadt. Mehr als die Hälfte aller weltweit existierenden Gasleuchten steht in Berlin, knapp 44 000. „Es ist das Licht unserer Eltern und Großeltern, das aus der Vergangenheit in die Gegenwart scheint“, sagt Richter. Und zwar nicht als museales Schaustück, sondern in täglichem Gebrauch. Mit Nostalgie habe das rein gar nichts und mit Romantik nur ein wenig zu tun. „Ich würde nie an Großmutters Handquirl hängen, wenn es was Besseres gibt. Aber das Licht dieser Stadt möchte ich nicht verlieren.“ Dass der Denkmalschutz es nicht längst geschützt hat, kann der alte SPD- und Grüne-Wähler ebenso wenig verstehen, wie den Umrüstungsfuror der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die bis 2020 bis auf wenige Ausnahmen alle Gaslaternen austauschen will.

Hier in seinem alten Charlottenburger Kiez zwischen Suarezstraße, Amtsgericht und Stuttgarter Platz, wo der inzwischen in Prenzlauer Berg wohnende Richter als Kneipierssohn aufgewachsen ist, stehen besonders viele Gaslaternen. Prächtige, mehrarmige historische Kandelaber, Aufsatzleuchten aus den 20ern oder schlichte Peitschenleuchten der Nachkriegsmoderne. In der Holtzendorffstraße sollen die ab November gegen die Elektroleuchte „Jessica“ ausgetauscht werden, wie Bertold Kujath vom Verein „Gaslicht Kultur“ weiß. Ihm liegen besonders diese stilprägenden Beleuchtungsensembles aus verschiedenen Epochen am Herzen. Die Einnahmen aus dem Benefizabend will der Verein für ein unabhängiges Gutachten über das Gaslicht ausgeben. „Wir wollen wissen, was der Austausch der Leuchten ökologisch, ökonomisch und kulturell wirklich kostet“, sagt Kujath, der zu jeder kursierenden Zahl über die angebliche Unwirtschaftlichkeit und Umweltbelastung des Gaslichts eine Gegenrechnung auspackt. Demnächst will der Verein Klaus Wowereit eine von 21 000 Berlinern unterschriebene Petition gegen die Umrüstung überreichen.

Einen besseren Propagandisten als Ilja Richter, der mit wehendem Mantel und flammender Zunge unter den Charlottenburger Gaslaternen zum Fototermin am Amtsgericht wandelt, hätten die Vereine jedenfalls kaum finden können. „Ich liebe Rot!“, ruft er, zeigt auf diese und jene Laterne und schreitet beherzt über die zum Stehenbleiben auffordernde Ampel. Kleingeistig der Mann, den die Straßenverkehrsordnung schert, wenn es das Gesicht Berlins zu retten gilt.

Komödie am Kurfürstendamm, Montag 20 Uhr, 20 Euro

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