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Lauter laute Liebeslieder. Schon mehr als 50 Mal hat sich der Schöneberger Musiker Sebastian Voigt als "Anton Schutt" verliebt.

© Verena Eidel

Berliner Originale: Der Sänger vor dem Fenster

Anton Schutt macht sich als Minnesänger nicht nur Freunde. Dabei findet er in Berlin andauernd neue Lieben – so wie sein wahres Ich.

Er verspätet sich. Aber das ist nicht seine Schuld. Höhere Gewalt ist im Spiel. Wieder einmal. "Habe mich gerade in der U-Bahn verliebt", steht in der SMS, "muss noch eben einen Song schreiben. Das Übliche..." In so einer großen Stadt wie Berlin kann man ja theoretisch an jeder Ecke die Liebe seines Lebens treffen. Anton Schutt macht das auch. Andauernd. Er kann nicht anders.

Und dann schwört er ewige Liebe und Treue unter dem Fenster der Angebeteten. "Uhhhh" – ein wenig quäkend versucht seine Stimme nicht nur den Straßenlärm, sondern auch das Rattern und Brummen von der Baustelle neben ihm zu übertönen. Oben im dritten Stock steht Verena, die Fotografin. In sie hat sich Anton Schutt soeben auch unsterblich verliebt. "Nein, sag jetzt nichts, hör mir zu", ruft er hoch. Er spielt einen herzzerreißenden Akkord auf seiner Gitarre und beginnt zu singen: "Vereeena, für dich spring ich sogar vom Zehner!"

Doch Verena schießt die Fotos und macht das Fenster zu. Das war's. Und dabei ist es diesmal noch mal glimpflich ausgegangen für Anton Schutt.

Er hat schon Tontöpfe von Nachbarn abbekommen, Hunde wurden auf ihn gehetzt; und sogar geschossen wurde auf ihn schon. Janine! Dein Freund war doch da. Er war deutlich weniger nebenbuhlertolerant als vermutet. Ich meine: Ein Flammenwerfer? Wirklich? Wozu benötigt er den eigentlich in der Innenstadt?

"Anton Schutt ist im Grunde in einem andauernden Happy-Modus des allerersten Verliebtseins."

Aber Mitleid muss man mit Schutt nicht haben. Es geht ihm blendend. Denn kaum geht ein Fenster über ihm zu, sieht er ja schon wieder die nächste Frau vorübergehen, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Patricia! Was soll das heißen, du erträgst meine Musik nicht? Musik ist mein Leben! Lass es mich mit einem Song sagen...

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"Anton Schutt ist im Grunde in einem andauernden Happy-Modus des allerersten Verliebtseins." Sebastian Voigt überlegt. "Natürlich ist er auch eine ziemliche Nervensäge – aber das ist ihm ja egal!" Sebastian Voigt, ein 33 Jahre junger Radioreporter und Musiker aus Schöneberg, hat sich die Figur des tragischen Großstadt-Minnesängers ausgedacht. Vor gut drei Jahren hatte Voigt die Idee, für ein musikalisches Rätsel im Radio Cover-Songs als deutsche Liebeslieder zu tarnen. Auf "Radio eins" hört man inzwischen regelmäßig die leicht krächzende Stimme von Anton Schutt. Er schmachtet dann live für Rebecca, Edda, Diane, Ludovica – und stellte sich dabei vollkommen bloß. "Genau das war das Besondere", erzählt Voigt, "und deshalb hat sich das dann auch ziemlich schnell immer mehr verselbstständigt."

Als Teenager eroberte Voigt einmal ein Mädchen als Minnesänger

Denn als Anton Schutt konnte er einfach drauflos singen. Das war viel schneller, viel lustiger als die Jahre davor im Bandprobenraum – und, wie er schon bald merkte: Es kam auch gut an! Oh Helen, ich bezweifle, dass ein einfaches 'Nein', sei es auch mit großer Geste an der Supermarktkasse gebrüllt, meine Ambitionen bezüglich deiner Person signifikant reduzieren kann. Ich würde einiges für dich tun. Lieder schreiben gehört dazu!

"Als Anton Schutt trickse ich mich natürlich auch selbst ein bisschen aus. Ich seh’ das dann alles nicht so kritisch", erklärt Sebastian Voigt seine Beziehung zu seinem anderen Ich. "Denn wenn der Typ mal nervt, dann ist das ja nicht mein Problem."

Die Idee von dem liebestollen Eroberer kommt nicht ganz aus dem Nichts. Tatsächlich hat Sebastian Voigt einmal als Teenager mit der Gitarre unter einem Fenster ein Mädchen rumgekriegt. "Das war allerdings auf einem Dorf, da geht so was besser." Hier in der Großstadt sei das im Grunde aussichtslos. "Total irrsinnig!"

Und trotzdem: Inzwischen hat auch Anton Schutt das ein oder andere Mädchen näher kennengelernt. Doch er ist noch genauso direkt und unverblümt wie am ersten Tag. Und genauso verletzend. Die neuesten Songs erzählen, wie es dem Romantiker in der Großstadt weiter ergeht. Dass die Eroberung nach wie vor das wichtigste Thema im Leben von Anton Schutt ist, verrät schon der Titel vom geplanten Album. Es heißt: Die Frauen gehen, die Lieder bleiben.

Sebastian Voigts Lieblingsort in Berlin:

Die Steinbank am Winterfeldtplatz
Was diesen Ort so besonders macht: "Jeden Sonnabend, wenn Markt ist, kaufe ich mir ein Stremellachs-Brötchen – obwohl ich gar nicht weiß, was 'Stremel' eigentlich bedeutet. Dann setze ich mich auf die Steinbank zwischen Markt und Kirche – im Winter auf meine Handschuhe – und genieße den Tag."

Von den Autorinnen erschien bereits: „111 Berliner, die man kennenlernen sollte“ (Emons Verlag, 230 Seiten, 16,95 Euro). Nun begeben sich Lucia Jay von Seldeneck und Verena Eidel für uns auf die Suche nach noch mehr Berlinern. Bisher unter anderem erschienen: Lizzy Scharnofske, das lebende Schlagzeug - Andreas Zadonai, ein Bäcker der alten Schule - Sinan Simsek, der Buchhändler vom Kotti.

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