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Nicht nur bei Veranstaltungen wie dem CSD kommt es zu Anfeindungen.

© imago/Müller-Stauffenberg

Berliner Polizei: LKA-Beamtin setzt sich für queere Opfer von Hasskriminalität ein

Anne Grießbach-Baerns ist Ansprechperson der Polizei für Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen. Sie hilft den Opfern sich zu wehren.

Dass seine Ohrringe eine Provokation sein könnten, wusste der 28-jährige Iraker, als ihn die Gruppe anhielt. Als ihm eine Obstkiste an den Kopf flog, wusste er dann auch, wie sehr die Ringe provozierten. Sechs arabische aussehende Männer hatten den Iraker und seinen 23-jährigen irakischen Begleiter auf der Sonnenallee angesprochen. Es war kurz vor Weihnachten, ein Freitag, 15.30 Uhr.

Warum trägst Du Ohrringe? Bist Du schwul? Das waren die Fragen. Ist doch egal, ob ich schwul bin. Das war die Antwort.

Sekunden später attackierten zwei aus der Gruppe die Iraker. Die Obstkiste flog, es gab Schläge. Der 28-Jährige erlitt Kopf-, sein Begleiter Kopf-, Arm- und Beinverletzungen. Bei der Polizei gaben sie an, die Gruppe hätte sie wegen ihrer Orientierung angegriffen.

Kurz darauf lernten die Opfer, dass sie mit der Oberkommissarin Anne Grießbach-Baerns eine besondere Vertrauensperson bei der Berliner Polizei haben. Die 38-Jährige bekam die Anzeige routinemäßig auf den Tisch, sie ist – im Gender-gerechten Deutsch – Ansprechperson der Polizei für Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI), angedockt beim Landeskriminalamt (LKA).

Misstrauen gegenüber der Polizei abbauen gehört zur Hauptaufgabe

Anne Grießbach-Baerns schrieb den Irakern in einer Mail, dass sich das LKA um den Fall kümmere, dass sie, die Opfer, als Zeugen vernommen würden und sie sich bei allen weiteren Fragen gerne an sie wenden könnten. Das waren die Details. Das Wichtigste an dieser Mail war allerdings ihre Grundbotschaft: Sie als Opfer werden mit ihrem Problem ernstgenommen, sie werden nicht als statistische Größe behandelt. Mit der Mail erhielten die Iraker auch Infomaterial zu Beratungsstellen.

Vertrauen aufbauen, Opfern zuhören, Misstrauen gegenüber der Polizei abbauen, das sind die Hauptaufgaben von Oberkommissarin Grießbach-Baerns. „Es gibt in der Szene immer noch viel Misstrauen gegenüber der Polizei. Deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen wissen, dass es uns gibt“, sagt die 38-Jährige. Sie hat noch einen Kollegen als weitere Ansprechperson der Polizei.

Die Zahl der Anzeigen steigt

Seit 1992 gibt es solche Ansprechpartner, seit zwei Jahren sind sie wichtiger als je zuvor. 2016 registrierte die Polizei 162 Anzeigen wegen Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung, darunter 62 Gewaltdelikte. 2015 waren es noch 118. Im Jahr zuvor sogar nur 82. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen. Für Anne Grießbach-Baerns ist die gestiegene Zahl der Anzeigen, so kurios es klingen mag, ein ermutigendes Signal. „Sie zeigt, dass sich immer mehr Menschen trauen, zur Polizei zu gehen.“

Gute Zuhörerin. Anne Grießbach-Baerns zeigt Opfern von Hasskriminalität, dass sie mit ihren Problemen ernstgenommen werden.
Gute Zuhörerin. Anne Grießbach-Baerns zeigt Opfern von Hasskriminalität, dass sie mit ihren Problemen ernstgenommen werden.

© Thilo Rückeis

Aber viele trauen sich immer noch nicht. Das Schwulenprojekt Maneo notierte für 2016 insgesamt 291 Straftaten gegen Homosexuelle in Berlin, davon war jede dritte eine Körperverletzung. 2015 lagen die Zahlen leicht darunter. Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands Berlin, sagt, schwule und transsexuelle Flüchtlinge seien überproportional häufig von Gewalt betroffen. Oft waren die Täter ebenfalls Flüchtlinge. Häufig gelten Homosexuelle in ihrer Heimat als Menschen zweiter Klasse. Allerdings: Auch unter Deutschen ist die Homophobie weit verbreitet. Die meisten Angriffe auf Homo- und Transsexuelle werden in Schöneberg, Mitte und Tiergarten registriert. Und oft genug fühlen sich die Opfer mit ihren Problemen allein gelassen.

Viele erstatten nie Anzeige

Genau da, sagt Anne Grießbach-Baerns, greife sie ein. Sie sitzt jetzt in einem Cafe mit Biedermeier-Charme in Kreuzberg – eine Umgebung, in der sich diese schlanke, durchtrainierte Frau mit den wachen Augen in ihrem beruflichen Alltag sonst eher selten aufhält. Da ist sie viel häufiger in Szene-Kneipen in Regenbogen-Kiezen, stellt sich den Gästen vor, hinterlässt Infomaterial zu Beratungsstellen und sucht das Gespräch. „Viele sind ganz erstaunt, dass es uns gibt.“ Und dann erfährt die Oberkommissarin von homophoben Vorfällen, die nie angezeigt wurden. „Stellen Sie eine Anzeige“, erwidert sie dann.

Ein Erfolgsgefühl stellt sich bei Anne Grießbach-Baerns ein, wenn Opfer diese Schwelle überschreiten, wenn sie Anzeige erstatten, wenn sie nicht mehr das Gefühl haben, Teil einer unbeachteten Statistik zu sein. Eine Transfrau schrieb der 38-Jährigen, dass sie soeben im Mauerpark beleidigt und mit einer Flasche beworfen worden sei. Nur zur Kenntnisnahme quasi. Anzeige hatte die Frau nicht erstattet – „bringt ja sowieso nichts“. Anne Grießbach-Baerns überredete die Frau, zur Polizei zu gehen.

Die Aufklärungsquote könnte noch höher sein

Und mit gewissem Stolz schrieb sie ihr kurz darauf: „Sehen Sie mal, was aus ihrer Anzeige geworden ist.“ Die Polizei hatte die Tatverdächtigen namentlich ermittelt, aufgrund der Personenbeschreibung in der Anzeige. Ein Erfolg und den teilte die Oberkommissarin auch mit. Die Aufklärungsquote bei Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung lag 2016 bei rund 40 Prozent. „Das ist eine gute Quote“, sagt Anne Grießbach-Baerns.

Sie könnte natürlich noch höher sein, aber dafür müssten mehr als nur zwei Personen beim LKA im Falle solcher Straftaten ermitteln. Und das LKA ist bei 99 Prozent dieser Fälle zuständig für die Tätersuche. Häufig aber leiten örtliche Polizeidienststellen Fälle mit homophobem Hintergrund erst gar nicht ans zuständige LKA weiter. „Oft erkennen die Kollegen vor Ort nicht, dass es einen Bezug zu Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung gibt“, sagt Anne Grießbach-Baerns.

Grießbach-Baerns schult ihre Kollegen

Also schult sie auch ihre Kollegen. Wenn zwei Männer in unmittelbarer Umgebung zu Schwulen-Partys verprügelt werden, liegt der Verdacht nahe, dass es um sexuelle Orientierung geht. Oder wenn jemand angegriffen wird, der als Transsexueller unterwegs ist. Dann müssen die Polizisten mehr als nur ihre Standardfragen stellen, dann müssen sie gezielt nach möglichen Motiven fragen.

Die Opfer müssen freilich mithelfen. Oft rufen sie bei Anne Grießbach-Baerns an und schildern die Vorfälle ausführlich. „Haben Sie das so auch der Polizei gesagt?“, fragt die Oberkommissarin dann. „Nein, hätte ich das tun sollen?“

Die Iraker, die in der Sonnenallee angegriffen wurden, erzählten der Polizei dagegen jedes Detail. Nur nützte das erstmal nichts. Die Polizei suchte sofort die Umgebung nach den Tätern ab – allerdings erfolglos.

Auch bei der Berliner Staatsanwaltschaft gibt es eine Abteilung, die Hasskriminalität gegen Homo- und Transsexuelle verfolgt und Ansprechstelle für Opfer ist. Lesen Sie hier ein Interview mit den zuständigen Staatsanwält*innen.

Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels.

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