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Subversive Aktion. Mit diesem und ähnlichen Erinnerungsfotos an ihren Berlinbesuch handelten sich drei junge Hamburger viel Ärger ein.

© privat

Berliner Polizei: Urlaubsfotos mit Folgen

Aus Jux ließen sich drei junge Hamburger vor dem Reichstag mit beschrifteten Pappschildern ablichten. Für die Polizei war das ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Sie beschäftigte sich eingehend damit.

Von Maris Hubschmid

Der 26. Februar 2011 ist ein kalter, aber herrlich blauer Sonnabend. Drei Studenten aus Hamburg, Freunde der Autorin, verbringen ihn in Berlin. D., F. und G. haben sich in einem Hotel in Mitte einquartiert, wo sie ausgiebig frühstücken, bevor sie zum Spaziergang durchs Regierungsviertel aufbrechen. Drei Jungs Anfang 20 mit Reiseführern und Ringelschals. Bis dahin ein ganz normaler Touristenbesuch. Für die drei endet er mit einem Strafverfahren. Ort ihres Unheils ist der Platz der Republik: Vor dem Reichstagsgebäude fotografieren die Freunde einander. Sie möchten Impressionen ihres Hauptstadttrips bei Facebook posten und überlegen, wie sie die Bilder etwas launiger gestalten können. Am Morgen haben sie in ihrem Hotelzimmer ferngesehen, eine Sendung mit Oliver Pocher. Es ist die Zeit, in der Karl-Theodor zu Guttenberg bereits des Abschreibens überführt, aber noch nicht zurückgetreten ist. Zwei der bei Pocher aufgeschnappten Sprüche schreiben die Jungs auf ein Stück Pappkarton, das jemand an einem Baum in der Nähe abgelegt hat. „An Apple a day keeps the ,Dr.’ away“ steht da schließlich und „Kopieren geht über studieren“. Damit lassen sich die Freunde von einer anderen Touristin vor dem Reichstag fotografieren.

„In dem Moment kam ein Sicherheitsmann aus dem Gebäude und fragte uns, was wir tun“, schreibt D. später in seiner Stellungnahme an die Berliner Polizei. „Ich antwortete, wir machen aus Spaß Erinnerungsfotos von Berlin, auf denen auch das aktuelle Tagesgeschehen zu sehen sein soll. Der Beamte ließ sich die Pappen zeigen. Er genehmigte das Foto und ließ uns allein.“

Kaum eine Minute später jedoch tauchen zwei andere Polizisten neben den drei Hamburgern auf. Sie teilen ihnen mit, dass die Landespolizei verständigt sei. Die verdutzten Hamburger erfahren, dass sie soeben gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben: „Im befriedeten Bezirk ist jede Versammlung mit mehr als zwei Teilnehmern untersagt.“ Und sie haben ja zu dritt posiert.

Das "Beweismaterial" wird konfisziert

Die Hamburger erklären die Situation. Die Demonstration hätte angemeldet werden müssen, beharren die Polizisten. „Das hier ist doch keine Demonstration“, sagt F. „Die haben uns gar nicht richtig zugehört“, erzählt G.

Kurz darauf erscheinen die Beamten der Landespolizei und beginnen damit, die Personalien der Studenten aufzunehmen. D. sagt, er habe abermals versucht, die Situation zu erklären. Die Polizisten hätten sich keine Notizen gemacht.

Der Herr vom Gebäudeschutz wird per Funk herbeigerufen und bestätigt die Schilderung der jungen Männer. Man schickt ihn wieder weg. G. fragt die Polizisten nach ihren Namen. „Namen sind Schall und Rauch“, sagt einer. Eine erneute Frage wird von allen Polizisten ignoriert. Stattdessen sammeln sie die Pappen ein und verabschieden sich mit den Worten, man werde in Kürze Post erhalten.

Der Brief kommt Ende März: „Sie sind wegen einer Ordnungswidrigkeit angezeigt worden. Tatzeit: Samstag, 26. Februar 2011, zwischen 15:28 und 15:31. Zuwiderhandlung: Teilnahme bzw. Aufforderung an/zu einer Versammlung im Befriedeten Bezirk.“ Die Handlung sei mit einer Geldbuße bedroht, heißt es weiter. „Gegen Sie wurde daher ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.“

Auf drei weiteren angehängten Blättern sollen die Studenten sich zu folgenden Fragen äußern: „Ist Ihnen bekannt, wer für die Versammlung verantwortlich war? Ist/war Ihnen bekannt, welchen Sinn und Zweck die Kundgebung hatte?“ Auch der Wortlaut der Pappen ist dokumentiert. „Ist Ihnen bekannt, wer die Transparente mit der Aufschrift „An Apple a day keeps the ,Dr.’ away“ und „Kopieren geht über studieren“ erstellte?“ Vor- und Nachnamen, Adresse und Telefonnummer des Verantwortlichen sollen benannt werden. „Können Sie ansonsten sachdienliche Hinweise zur unangemeldeten Versammlung machen?“ Seine Antwort muss jeder der drei binnen einer Woche unterschrieben an das Landeskriminalamt zurücksenden.

Alles muss ganz schnell gehen

Das ist für die Freunde eine echte Herausforderung. Denn F. weilt inzwischen für ein Auslandssemester in Südamerika. Eilig informieren die verbliebenen Freunde F.s Mutter. Per Expressschreiben stellt der Sohn ihr eine Handlungsvollmacht aus, schildert ihr seine Version der Ereignisse, die sie an seiner Stelle aufschreibt. So geht alles gerade noch rechtzeitig zur Post. Aufgesetzt hat die Anzeigeschrift eine Kriminaloberkommissarin. Die inzwischen sechste Ordnungskraft, die der Fall beschäftigt.

Für die Freunde beginnt ein unruhiges Warten. Über das Internet bringen sie in Erfahrung, dass „Verstöße“ dieser Art mit bis zu 600 Euro Bußgeld pro Person geahndet werden. Viel Geld für einen Studenten. Größer als die Sorge um eine etwaige Geldstrafe aber ist ihre Irritation: „Das Verhalten der Polizisten war sehr sonderbar. Vor allem, dass sie uns ihre Namen nicht sagten, haben wir nicht verstanden“, sagt D. So schreibt er es auch an die Berliner Polizei. Doch die reagiert nicht mehr.

Täglich hoffen die Freunde, Bescheid zu bekommen, dass die Anzeige fallen gelassen wurde. Knapp ein Jahr später erfährt der Tagesspiegel auf Nachfrage: Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Zur Begründung heißt es: „(...) da nach Auffassung der Staatsanwaltschaft der Versammlungscharakter nicht zweifelsfrei verifiziert werden konnte“. Die Betroffenen hat niemand informiert.

Die Innenverwaltung des Senats kommentiert, die Polizei scheine „im vorliegenden Fall nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben“. Was den Bereich um den Bundestag als „befriedeten Bezirk“ ausweise, wollte der Tagesspiegel von der Polizei noch wissen. Die Auskunft: nichts.

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