zum Hauptinhalt
Ist da was? Im Kaffeesatz sehen einige mehr als andere. Im Südblock am Kottbusser Tor gibt es den Blick in die Zukunft nun öffentlich und in Serie.

© Imago

Berliner Rituale: Im Kaffeesatz liegt die Wahrheit

Kaffeesatz lesen ist ein Ritual, das meist privat in der Familie und unter Freunden gefeiert wird. Sabuha Salaam guckt nun öffentlich in die Zukunft. Ein Besuch im Südblock.

Ich sehe einen Fisch. Fische stehen für Reichtum und der Mai ist der Monat des Stiers. Im Mai wirst du finanzielle Unabhängigkeit erreichen, das verschafft dir eine Atempause.“ Sabuha Salaam sitzt an ihrem Wohnzimmertisch und zeigt mit einem Bleistift auf eine Stelle in dem getrockneten Kaffeesatz ihres Gegenübers. „Da.“ Da ist etwas, aber ob es ein Fisch ist? „Ich sehe bei dir gerade keine feste Beziehung. Da ist jemand, der ist aber viel auf Reisen und es ist nichts Ernstes.“ Stimmt. „Aber ich sehe auch einen Aufenthalt in der Türkei. Dort wirst du deinen zukünftigen Ehemann kennenlernen. Sein Name fängt mit M an, er ist muskulös und arbeitet bei einer großen Organisation.“ Na dann.

Es ist ruhig in Sabuha Salaams Wohnung in Neukölln, der Duft von Weihrauch liegt in der Luft. Hier empfängt die Kaffeesatzleserin ihre Kunden, die sie oft vorher im Südblock am Kottbusser Tor in Kreuzberg kennengelernt hat. Auch dieses Mal war es so. Dort lädt sie immer montags zum Salon Salaam. Dann stellt Sabuha auf der kleinen Bühne ihren Tisch mit großem Spiegel auf und legt sich ihr Werkzeug zurecht. Denn die Frau, die nicht mehr über ihr Alter sagen will, als dass sie „30 plus“ ist, bietet nicht nur Zukunftsdeutung an, sondern schneidet auch Haare, zupft und färbt die Augenbrauen, macht Wellnessmasken. Der Salon ist vielleicht der einzige Ort in Berlin, an dem das Kaffeesatzlesen öffentlich angeboten wird. Das Ritual wird sonst hauptsächlich im intimen Rahmen zelebriert.

Zuerst Kaffeesatz lesen lassen, dann investieren

Was Sabuha Salaam im Südblock anbietet, ist eine Art Schnupperstunde im Kaffeesatzlesen. „Hier ist es zu unruhig“, sagt sie, nachdem gerade ein Gast mit frischer Frisur gegangen ist. Die nächste Frau wartet schon auf ihre Gesichtsbehandlung. „Für eine richtige, lange Sitzung können die Leute einen Termin bei mir zu Hause vereinbaren, aber erst einmal müssen sie sehen, ob das etwas für sie ist.“ Und damit meint sie vor allem diejenigen Berliner, deren Familie nicht aus der Türkei oder dem arabischen Raum stammt. In der orientalischen Szene, sagt Sabuha Salaam, sei das Kaffeesatzlesen ganz normal, eine Art Lebensberatung. Viele Politiker, Schauspieler und andere Berühmtheiten in der Türkei hätten ihr eigenes Medium, ihren eigenen Berater, sagt Sabuha Salaam. „Und ich kenne in Berlin auch viele gestandene Männer und Frauen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen – aber bevor sie bestimmte Investitionen umsetzen, kommen sie zu mir und fragen, was ich sehe.“

Aber wie geht es eigentlich, das Kaffeesatzlesen? Ein paar Tage später also, bei Sabuha Salaam zu Hause, bereitet sie ihrem Gast erst einen Kaffee in dem kleinen Metallkännchen, der Cezve, zu. Dafür gibt sie auf ein Häufchen Kaffee nur so viel Wasser, wie sie später Tassen füllen will, lässt alles einmal aufkochen und schenkt dann aus. Kurz warten, bis der Kaffee kühl genug zum Trinken ist. Auf einem flachen Regal an der Wand hat Sabuha ihren Schrein aufgebaut: neben einem Buddha – „ich habe von jeder Religion etwas“ –, Kerzenständern und verschiedenen Steinen wie Bergkristall und Amethyst steht auch ein kleines Bild von Atatürk. Der habe sich angeblich auch täglich den Kaffeesatz lesen lassen.

Es geht viel um Instinkte

Dann geht’s los. Den Kaffee bis auf den dickflüssigen Rest trinken, die Untertasse wie einen Deckel auf die Tasse stülpen, drei mal vor der Brust einen horizontalen Kreis zeichnen und dabei sagen: „Neyse halim çiksin falim.“ Das heißt so viel wie: Was sein soll, soll in meinem Kaffeesatz stehen. Dann die Tasse umdrehen, alles beiseitestellen und eine Weile warten. So machen es die meisten.

„Wenn man türkischen Kaffee trinkt und in einem türkischen Haushalt aufgewachsen ist, weiß man das einfach“, sagt Sabuha Salaam. Es komme aber nicht auf jedes Detail des Rituals an. Auch beim Lesen habe sie keine bestimmte Technik. Der Kaffeesatz sei für sie vor allem ein Mittel zur Konzentration auf ihr Gegenüber. „Er gibt mir bestimmte Punkte, an denen ich mich orientieren kann. 50 Prozent meiner Arbeit besteht aber vor allem daraus, den Leuten zuzuhören und das Gefühl zu geben, dass sie gut aufgehoben sind.“ Der Rest komme automatisch, da gehe es viel um Instinkte.

Es stimmt. Sabuha Salaam lächelt die Unsicherheit einfach weg, ihr warmer Blick schafft Vertrauen. Sie hat eine tiefe Stimme und lange Wimpern. Sie sagt, sie sei Sternzeichen Waage, Element Luft: „Das sind die besten.“ Sie ist einer dieser Menschen, die in sich ruhen und mit der Welt im Reinen zu sein scheinen. Die drei bis vier Male in der Woche, die Sabuha Salaam meditiert, tragen sicherlich dazu bei. An ihren Fingern trägt sie große Ringe mit Energiesteinen darauf: ein Amythyst, „um die Shakren zu öffnen“, und ein Mondstein, der vor negativen Energien schützen soll.

Kaffeesatzleserei als schwarze Magie?

Eigentlich schneidet Sabuha Salaam drei Tage die Woche in einem Friseursalon an der Hermannstraße Haare. Nebenbei gründete sie vor Jahren die queere Partyreihe Gayhane im SO36 und Gladt, ein Verein für türkischstämmige Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle und Transgender. Salaam lebt die meiste Zeit als Mann – nur für öffentliche Aufritte legt sie die Perücke auf, schminkt die Augen und zieht ein Kleid an. Das passt auch eher zum Bild der typischen Kaffeesatzleserin, die zumeist weiblich ist.

Sabuha Salaam hat ihre Gabe entdeckt, kurz nachdem sie 1996 aus dem Ruhrpott nach Berlin gezogen ist. Als sie noch bei ihren Eltern lebte, wollte die Mutter nicht, dass ihr Sohn sich mit so esoterischen Sachen beschäftigt: „Kaffeesatz und Zukunftsdeutung wird in der Türkei immer mit schwarzer Magie assoziiert“, sagt Sabuha Salaam. „Deshalb haben die Leute eine gewisse Distanz, Respekt und Ehrfurcht.“ Die Gabe sei aber eben da gewesen – das habe schon die Großmutter bemerkt.

Eines Tages sitzt Sabuha Salaam, ganz frisch in Berlin, also bei Freunden. Sie hatten gegessen, Kaffee getrunken, als eine in der Runde fragte, ob Salaam ihr nicht mal den Kaffeesatz lesen könnte. „Dann habe ich angefangen zu lesen, und auf einmal meinte ihre Schwester: Hör auf! Ich hatte wohl direkt ins Schwarze getroffen.“ Sabuha Salaam grinst. Die Freundin kam dann noch einmal zu ihr, um mehr Details zu erfahren. Schließlich, Monate später, sei eingetreten, was sie im Kaffeesatz gelesen hatte. Es sprach sich herum, und so begann Sabuha, regelmäßig zu lesen, auch Fremden.

Negative oder beängstigende Aussagen sind bei der Sitzung heute keine dabei. Ein Besuch bei der Frauenärztin steht an. Ein Umzug auch. Eine Freundin wird bald jemanden kennenlernen, mit dem erst eine Freundschaft entsteht und schließlich auch eine Beziehung. Und: „Dein Vater fühlt sich nicht wohl in seinem Zuhause. Es wird Veränderung geben.“ Das klingt unwahrscheinlich, lässt sich aber schnell überprüfen.

Die Nachfrage im Elternhaus ergibt: Das Schlafzimmer soll komplett umgebaut werden. Diese Mischung aus Aussagen über die Gegenwart, die stimmen, und Visionen für die Zukunft, hat etwas sehr Faszinierendes. Etwas Skepsis bleibt natürlich. Aber wie ein türkisches Sprichwort so schön sagt: „Falla inanma ama fallsiz da kalma.“ Glaube nicht an das Kaffeesatzlesen, aber lebe auch nicht ohne.

Der nächste Salon Salaam ist am 28. April schon ab 13 Uhr, danach dann immer ab 18 Uhr im Südblock, Admiralstr. 1–2, Kreuzberg.

Zur Startseite