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© Joker

Berliner Schulen: Belehrte Eltern

Bildungsbewusste Kreuzberger wollen eine Privatschule gründen. Die Stadträtin sagt: Es gibt keinen Bedarf.

Nach eineinhalb Stunden platzt vielen Vätern und Müttern der Kragen. „Wir wollen eine neue Schule in SO 36!“, ruft es aus dutzenden Kehlen. Am Dienstagabend trafen sich rund 70 aufgebrachte Eltern mit der Bildungsstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg. Die Eltern wollen eine evangelische Grundschule gründen. Die Stadträtin sagt: „Es gibt hier keinen Bedarf für eine weitere Schule.“

In Kreuzberg ist ein Schulkampf ausgebrochen. Genauer gesagt: gleich mehrere Schulkämpfe. Sie alle drehen sich um die Frage: Wie kann man in Kreuzberg wohnen bleiben und dennoch den Kindern eine gute Schulbildung verschaffen? Die wenigen staatlichen Schulen, die nicht zu 90 Prozent von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern und Migrantenfamilien besucht werden und deshalb Gnade vor den bildungsbewussten Eltern finden, liegen oftmals nicht in ihrem Einzugsbereich oder sind überlaufen. Manche ziehen deshalb vor Gericht wie jüngst an der Clara-Grunwald-Grundschule geschehen. Andere versuchen, eine neue Privatschule zu gründen. Niemand hier hat vergessen, dass selbst der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) unlängst offen eingestanden hatte, er würde seine Kinder, wenn er welche hätte, nicht in Kreuzberg zur Schule schicken.

„Wir wollen unsere Kinder hier zur Schule schicken“, hält Jörg Ruckelshaus vom Förderverein Evangelische Schule Kreuzberg und Vater zweier Kinder Wowereit entgegen. „Aber die vorhandenen Schulen sind nicht gut genug.“ Zusammen mit der Schulstiftung der evangelischen Landeskirche hat der Förderverein ein Konzept für eine Grundschule mit zwei Zügen erarbeitet, Lehrer habe man auch gefunden. „Es könnte morgen losgehen.“ Aber es fehlen Räume.

Das Wunschgebäude in der Reichenberger Straße könne sie den Eltern nicht geben, sagt Bildungsstadträtin Monika Herrmann (Grüne). Die Bildungsverwaltung des Senats will dort Lehrer fortbilden. Auch will Herrmann „erstmal darüber diskutieren, was es für den Kiez bedeutet, wenn sich die bildungsbewussten Eltern aus den staatlichen Schulen rausziehen. Was bedeutet das für die Kinder, die das nicht können?“ Der Bezirk habe es versäumt, über diese Fragen nachzudenken, lautet dagegen der Vorwurf der Eltern. „Ich bin nicht bereit, die Fehlentscheidungen der Politik mitzutragen“, ruft eine Mutter. Wenn Sie nicht die Schule für ihre Kinder bekomme, die sie wolle, ziehe sie weg. Andere Gebäude, die die Schulstadträtin anbietet, in Friedrichshain oder im südlichen Kreuzberg, lehnt die Elterninitiative ab. „Warum sollen wir unsere Kinder durch die Stadt fahren?“

Das Land Berlin sitze die Probleme aus und hoffe, dass sie sich lösen, wenn die Privatschulen unterdrückt werden, sagt Annerose Steinke von der Schulstiftung der evangelischen Landeskirche. Dabei wolle man doch Kreuzberg etwas Gutes tun, „einen Leuchtturm setzen“, der vielleicht auch bürgerliche Eltern aus anderen Bezirken zurückhole.

Doch auch an staatlichen Schulen wächst der Unmut. Gestern protestierten auch Eltern der Nürtingen-Grundschule. Die Schule hat sich dank eines überzeugenden Montessori-Profils einen guten Ruf erarbeitet und somit auch bildungsbewusste Eltern überzeugt. Allerdings wird sie jetzt von Verwaltungsseite auf zwei Arten behindert: Zum einen wurde ihr verwehrt, das Prädikat „Schule besonderer pädagogischer Prägung“ zu erhalten, weil sie sich dann ihre Schüler aussuchen könnte. Zum anderen werden der Schule jetzt Oberschullehrer aus dem Personalüberhang zugewiesen, die weder das Montessori-Profil stützen können noch mit kleinen Kindern Erfahrung haben. „Auch eine Art, eine erfolgreiche öffentliche Schule kaputt zu machen und die Familien aus Kreuzberg herauszutreiben“, sagt eine verärgerte Mutter.

Die Sorge der Behörden, dass Schulen zu erfolgreich werden und damit anderen Schulen die bildungsnahen Eltern „wegnehmen“, spukt überall durch Kreuzberg. Aus diesem Grunde hatte man die Clara-Grunwald-Schule per Verordnung dazu gezwungen, einen Großteil der Plätze durch Kinder aus der Nachbarschaft zu belegen, obwohl sie das als „Schule besonderer Prägung“ eigentlich nicht müsste. Diesen Trick hat jetzt gerade das Verwaltungsgericht verboten.

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