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Berlin: Berlins Finanzen: Die riskanten Tricks des Zahlenkünstlers Sarrazin

Einen Kassensturz hatten bisher alle neuen Berliner Finanzsenatoren angekündigt, und von einem jetzt endlich notwendigen Mentalitätswechsel war auch schon immer die Rede. Dass es hart werde, dass Abschied zu nehmen sei von alten Gewohnheiten - alles schon gehört.

Einen Kassensturz hatten bisher alle neuen Berliner Finanzsenatoren angekündigt, und von einem jetzt endlich notwendigen Mentalitätswechsel war auch schon immer die Rede. Dass es hart werde, dass Abschied zu nehmen sei von alten Gewohnheiten - alles schon gehört. Aber so brutal wie jetzt Thilo Sarrazin ist noch keiner aufgetreten. Von "Rinderwahnsinn" beim Geldausgeben spricht Sarrazin, von "abartigen" Haushaltszahlen. Selbst die CDU gibt sich beeindruckt und lässt ihren Parlamentarischen Geschäftsführer Nicolas Zimmer sagen: Endlich einer, der ein realistisches Bild zeichnet.

Ist das wirklich so? Waren Annette Fugmann-Heesing, Peter Kurth und Christiane Krajewski tatsächlich unfähig, richtig zu rechnen? Denn das ist doch die Konsequenz aus dem Auftritt Sarrazins vom Dienstag. Kaum vierzehn Tage im Amt, hat er schon durchschaut, was alle seine Vorgänger scheinbar verdrängten oder gar nicht erst erkannten. Wie hat er das nur gemacht?

Sarrazin ist gewiss kein Wundersenator, aber doch ein guter Zahlenkünstler. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass er die finanzielle Lage der Stadt noch ein bisschen desaströser rechnete als sie ohnehin schon ist. So berechnete Sarrazin beispielsweise nicht nur das Defizit aus dem Vorvorjahr 2000 mit ein, was üblich ist, sondern auch das Defizit aus dem Vorjahr, also aus 2001. Er zieht also beide Jahre zusammen. Das aber ist ungewöhnlich - und nicht erforderlich. Das Minus aus dem Jahr 2001 hätte eigentlich erst im nächsten Jahr wieder eine Rolle spielen müssen. Doch so kam Sarrazin plötzlich auf ein viel höheres Defizit für dieses Jahr - und auf eine glatte Verdoppelung der Neuverschuldung zum Ausgleich des Defizits. Ein echter Schocker. Aber ein künstlicher.

Andere Zahlen scheinen eher unterspielt zu sein, und zwar auf der Einnahmenseite. Nur eine halbe Milliarde Euro Erlös aus Vermögensverkäufen - das liegt unterhalb aller Wahrscheinlichkeit. Der Effekt aus Sarrazins Zahlenwerk: Es sieht auch hier wieder noch ein bisschen schlimmer aus, als es tatsächlich schon ist.

Daraus ergeben sich zwei Fragen: Welchen Zweck verfolgt der neue Senator damit? Und welche Folgen hat das?

Den größten Vorteil hat - Thilo Sarrazin. Seine Vorgänger, auch seine gerade in allen Ehren verabschiedete Parteifreundin Krajewski, tragen jetzt eine zu hohe politische Last, er selbst kann aller Voraussicht nach in ein paar Monaten die ersten, leicht erreichten Erfolge vorzeigen. So machen es neue Manager immer ganz gerne. Politiker sind da meist nicht ganz so geschickt. Sarrazin ist ein Manager.

Gut für ihn, gefährlich für Berlin. Denn die Stadt ist ja jetzt ganz klar angewiesen auf die anderen Länder und die Bundesregierung. Doch dort wird man die nach ein paar Wochen schon wieder neuen Zahlen erstmal mit Skepsis lesen. Sie werden zweifeln. Warum sollten sie jetzt plötzlich einem Berliner Finanzsenator glauben, wenn alle anderen doch ganz offensichtlich Schönrechner waren? Eine vertrauensbildende Maßnahme jedenfalls ist das nicht.

Eine fatale Wirkung könnten Sarrazins Zahlen auch ausgerechnet bei jenen entfalten, die sich nach Jahren endlich einsichtig und zum Sparen bereit gezeigt hatten. Angesichts der schier unglaublichen Zinsbelastung von heute schon mehr als sechs Millionen Euro pro Tag ergeben sich die Leute zunehmend ihrem Schicksal. Denn die Zinsen steigen laut Sarrazins Zahlen in den nächsten Jahren dramatisch an - und fressen so manches bitter erbrachte Sparopfer in wenigen Minuten auf. Da verliert der Gutwilligste sein Verständnis. Psychologisch wirkt das womöglich also eher kontraproduktiv, was Sarrazin da macht.

Die eigene Stadt demotiviert, die Länder und den Bund irritiert - das könnte eine Folge des Sarrazin-Schocks sein. In einem Punkt aber müsste der Bundesfinanzminister dem neuen Berliner Senator eigentlich dankbar sein: Hans Eichel hatte die Länder und Kommunen für den aus Brüssel drohenden blauen Brief in vorderster Linie verantwortlich gemacht. Die Länder waren erbost. Aber jetzt liefert Berlin dem Finanzminister einen guten Beweis dafür, dass seine Schuldzuweisung die Richtigen getroffen hat. Die Länder werden auf Berlin auch deshalb nicht gerade gut zu sprechen sein. Dumm nur, dass Berlin auf die anderen Länder angewiesen ist. Denn der Ruf nach dem Bund ist immer auch ein Ruf nach den Ländern. Ohne den Bundesrat kann die Regierung ihrer Hauptstadt schwer helfen.

Also: ein Fehlstart von Sarrazin? Nicht unbedingt. Denn in einem Punkt ist er zu Recht unerbittlich: Die Ausgaben Berlins müssen runter, und zwar um fast jeden Preis. Erst wenn er das nicht erreicht, darf es der Nächste versuchen.

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