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Der Vielseitige. Der gerade erst siegreiche Box-Weltmeister Artur Abraham würde auch mit Kindern Schach spielen.

© picture alliance / dpa

Besuch bei Projekt der Lichtburg-Stiftung: Boxer Arthur Abraham zu Gast in Gesundbrunnen

Die Lichtburg-Stiftung bringt Sport und Kunst für Jugendliche in Gesundbrunnen zusammen – und schafft eine Oase inmitten von viel Beton. Nun kam Arthur Abraham vorbei – und haute erst mal drauf.

Arthur Abraham wirkt ein bisschen angeschlagen, wie er da die Behmstraße entlangschlendert und nach einem vertrauten Gesicht sucht im fremden Gesundbrunnen. Schramme unterm rechten Auge und Veilchen unterm linken. Zur Begrüßung reicht er die linke Hand, denn die rechte ist geprellt, Zeichen seines siegreichen Kampfes um die Box-Weltmeisterschaft am Samstag in Magdeburg. Wenn so ein Sieger aussieht, möchte man jetzt lieber nicht den Verlierer sehen.

Projekt soll Kinder von der Straße holen

Rein äußerlich steht der Box-Weltmeister Arthur Abraham so kurz nach einem Kampf nicht gerade idealtypisch für die „zivilisierende gesamtgesellschaftliche Wirkung des Boxens“, wie Michael Wolffsohn das so schön formuliert. Wolffsohn ist Historiker und Eigentümer der Gartenstadt Atlantic, einer 50 Wohnhäuser umfassenden Siedlung am Bahnhof Gesundbrunnen. Den Boxer Arthur Abraham hat er sich eingeladen als Botschafter für ein besonderes Projekt. Der Mann soll Jugendliche von der Straße holen und sie „an Regeln heranführen, dafür eignet sich der Sport sehr gut“. Findet Wolffsohn, und deshalb hat er sich mit Abrahams Boxstall Sauerland zusammengetan. 15 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren werden ein Jahr lang in Sauerlands Trainingszentrum auf dem Olympiagelände ans Boxen herangeführt. Mitte April, nach den Osterferien, geht es los. Arthur Abraham sagt, er wolle keineswegs aufs Boxen reduziert werden, „ich komme auch gern her, um mit den Kindern Schach zu spielen“. Damit die Angelegenheit nicht zu eindimensional gerät, sollen die 15 Auserwählten das Erlebte unter pädagogischer Anleitung künstlerisch verarbeiten, in Fotocollagen, Zeichnungen oder Tonfiguren.

Mikrokosmos Gesundbrunnen

Sport und Kunst. Wer weiß schon noch, dass Gesundbrunnen da über eine gewisse Tradition verfügt. Früher, als sich zwischen Behmstraße und den Gleisen der Reichsbahn die Plumpe quetschte, das alte Stadion von Hertha BSC. Und auf der anderen Straßenseite die Lichtburg stand, eines der modernsten und größten Berliner Kinos, 2.000 Leute passten rein.

Lange her. Die Lichtburg wurde nach dem Krieg zum Lagerhaus umgewidmet und 1970 abgerissen. Vier Jahre später erwischte es die Plumpe. Um dem Konkurs zu entgehen, verkaufte Hertha das Stadion an den Senat, der Sozialwohnungen auf das Gelände klotzte.

Gesundbrunnen ist heute eine Gegend, die es dem unbefangenen Besucher nicht leicht macht. Da ist der riesige ICE-Bahnhof, umgeben von Kränen, weil er acht Jahre nach seiner Wiedereröffnung ein Empfangsgebäude bekommt. Weiter links ist ein silbernes Raumschiff namens „Gesundbrunnen Center“ gelandet. Auf der anderen Straßenseite türmen sich Achtgeschosser im Siebzigerjahre-Chic, wo früher die Plumpe war. Ein bisschen weiter hinten ragt die Ruine des Flakbunkers Humboldthain in den Himmel. Die Architektur hier ist ähnlich bunt gemischt wie die Einwohnerschaft. Und dann gibt es da noch die Gartenstadt Atlantic. Michael Wolffsohn spricht gern von einem Mikrokosmos, und das trifft es ganz gut.

Zwischen Behm-, Bellermann- und Heidebrinker Straße lässt sich erahnen, wie es hier früher einmal aussah. Lange vor dem Krieg, als Gesundbrunnen eine Arbeiterhochburg war und die Bausubstanz sich kaum unterschied von der nebenan in Prenzlauer Berg. Die Kahlschlagsanierung der Sechziger und Siebziger hat auf der westlichen Seite der Nordberliner Arbeiterquartiere ähnlich viel architektonischen Schaden angerichtet wie Bomber- Harris mit seinen Geschwadern.

Oase im betonverdichteten Häusermeer

Als Michael Wolffsohn die Gartenstadt Atlantic zu Beginn des dritten Jahrtausends von seinem Vater erbte, bröckelte der Putz von den mit Graffiti beschmierten Mauern. Für die geschätzt 30 Millionen Euro teure Sanierung mussten sich Wolffsohn und seine Frau für den Rest ihres Lebens verschulden. Vorher haben sie die Kinder noch gefragt: „Ist es in Ordnung, wenn wir euer Erbe in Gesundbrunnen versenken?“

Vor einem guten Jahr ist Michael Wolffsohn als Professor an der Universität der Bundeswehr in München emeritiert worden und schaut seitdem alle paar Wochen vorbei in seiner Siedlung. Mit ihren grünen Höfen, dezenten Fassaden und geschwungenen Straßenfluchten ist die Gartenstadt Atlantic eine Oase im betonverdichteten Häusermeer. In Gedenken an das abgerissene Kino haben die Wolffsohns die Lichtburg-Stiftung gegründet, um jungen Gesundbrunnern Bildung und Kultur näherzubringen. 30.000 Kinder und Jugendliche jährlich werden unterrichtet. Dazu lädt die Stiftung regelmäßig zum Lichtburg-Forum, auch Richard von Weizsäcker war schon zu Gast. Architekten, Museen, Bibliotheken – in der Gartenstadt findet sich allerlei, was die landläufige Meinung schwerlich mit Gesundbrunnen in Verbindung bringt. Was würde man im Reich der Satellitenschüsseln schon weniger erwarten als eine „Lernwerkstatt für zauberhafte Physik“.

Zur Mittagsstunde schaut Arthur Abraham im „Klingenden Museum“ vorbei. Überall Musikinstrumente, hinten an der Wand steht auf einem Schild: „Einatmen, reinblasen und draufhauen.“ Na, wenn sich einer auskennt mit dem Draufhauen, dann ein Boxweltmeister – schon scheppert ein gewaltiges Blechblasinstrument auf dem Boden. Kann ja mal passieren, schließlich ist die rechte Hand geprellt.

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