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Berlin: Besuch von Mr und Mrs Cash

Das Ehepaar Kaasch aus Reinickendorf sammelt seit Jahren Spenden für Haiti – und hilft beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben

Endlich sind sie wieder hier. Das erste Mal seit dem Beben vor gut einem Jahr am 12. Januar 2010. Damals hatten Barbara und Michael Kaasch aus Reinickendorf um ihre haitianische Adoptivtochter Natacha und die Waisen- und Schulkinder in ihrem Projekt HaitiCare in Port-au-Prince gebangt. Die Schule war schon aus, als das Beben am Nachmittag Haiti in Trümmer legte, aber die Verbindungen waren tagelang problematisch. Natacha ist die Managerin des Projekts; sie überlebte unverletzt, 20 Kinder aber wurden daheim Opfer der Katastrophe. Auch die in warmem Blau und Gelb gestrichene Schule, die sie erst im Herbst vor dem Beben eingeweiht hatten, war nun abrissreif. Jetzt ist dem Berliner Ehepaar wieder ein bisschen bange gewesen. Wie würde es sein, erneut nach Port-au-Prince zu reisen?

Natürlich haben sie Tränen vergossen, als sie alle wiedergesehen haben und Natacha, die Kinder, die Lehrer in die Arme schließen konnten, erzählen die beiden hoch über dem Hafen. Sie haben ihnen einen Riesenempfang mit Tänzen und Luftballons bereitet. Allen voran Natacha.

Natacha Marseille ist 30, 1985 wurde sie SOS-Patenkind der Kaaschs, inzwischen leitet sie die Montessori-Schule oben am Hang im armen Viertel Carrefour Feuilles von Port-au-Prince. Seit dem Beben schuftet die junge Haitianerin mit roten Strähnchen im Haar, Businesskostüm und dem unerlässlichen Handy für den Wiederaufbau des Refugiums. Egal, wie unwirtlich die Umgebung sein mag, in Haiti zieht man sich gut an. Barbara Kaasch (61) marschiert heute in schwarzer Rüschenbluse, rosa Hose und schmalen Leinenschuhen durch die Trümmer entlang des schmalen Wegs hinauf zur Schule. Die ist nur zu Fuß zu erreichen, Natacha hat auch für den Bau einer neuen Brücke über den das Viertel zerschneidenden Müllkanal gekämpft, die bei starken Regenfällen auch noch einstürzte. Zwischenzeitlich gab es nur Holzplanken als Überweg. Michael Kaasch (62) hat eine Mappe unter dem Arm, es steht noch ein Termin mit dem Architekten an. „Angel, wann ist der Termin?“, erkundigt sich Kaasch bei seiner Tochter. Erdbebensicher soll ihr neues Haus sein, keine „zwirndünnen“ Armierungen haben, wie so viele Häuser in der Gegend. Was heißt erdbebensicher? „Na, sicher wissen sie das erst beim nächsten Beben“, sagt Michael Kaasch und verschwindet hinter den Donald-Duck- und Goofy-Figuren im Gebäude. Der Architekt hat sich gerade bei Natacha gemeldet. Er hat seinen Schlüssel in der Tür abgebrochen, kommt darum etwas später. Schlüssel, die sind ein alltägliches Problem.

Nach den ersten Festen und dem Kuscheln mit der vierjährigen Kimberly, mit Oliver, dessen Hände durch verkürzte Muskeln im Moment so schrecklich entstellt sind, und all den anderen Kindern, die ihnen am liebsten ständig auf den Arm hüpfen, sind die Kaaschs rasch an die Arbeit gegangen. Drei Wochen bleiben sie in ihrem Herzensprojekt. Mit Wasserwaage und Maßband zog Barbara Kaasch durch die neuen Räume, sechs sind seit Baubeginn im Juni bereits fertig, in den Räumen lernen die Kinder schon wieder, weil auch die Mensa eingestürzt ist, essen sie mittags jetzt in ihren Klassen. In der oberen Etage gibt es schon eine Treppe für das kommende Stockwerk. „Wir fressen uns hier langsam den Hang hoch“, erzählt Michael Kaasch, der zu Hause in der IT-Branche tätig ist. Barbara Kaasch war früher als Beamtin bei der Telekom, das Ehepaar engagiert sich schon seit vielen Jahren in Haiti. Die Menschen hier in Carrefour Feuilles kennen sie spätestens seit der Eröffnungsfeier für den Schulbau im Jahr nach den furchtbaren Stürmen. „Seither haben wir für die Menschen ein Gesicht, sie kennen uns.“ Lachend erzählen sie vom Willkommensschild, auf dem damals stand „Welcome Mr and Mrs Cash“ – so verkehrt war der Fehler mit dem Namen ja nicht.

Sie sind stolz darauf, dass sie mit ihrem ehrenamtlich geführten Verein im Etatjahr 2009/10 186 000 Euro gesammelt hatten, nach dem Beben kam mehr zusammen. „Aber das bleibt ja nicht so“, wissen die beiden, während sie über die Baustelle des Neubaus gehen. In einer Klasse sind sie gerade artig als „Lehrer“ begrüßt worden, andere Respektspersonen kommen hier nicht so häufig vorbei.

Barbara und Michael Kaasch haben ihre freie Zeit im vergangenen Jahr weitgehend den 254 Kindern in Port-au-Prince und ihrem Montessori-Projekt gewidmet. „Auch als kein Unterricht lief, haben wir die Lehrer bezahlt.“ Schon vorher hatten sie Eltern, die klamm waren, das Schulgeld gestundet, sagt Michael Kaasch. Fürs Abtragen der Trümmer in dem verwinkelten Viertel haben sie ein eigenes Cash-for-Work-Programm aufgelegt, aber statt der üblichen fünf Dollar 6,25 Dollar pro Tag bezahlt. „Damit die Leute auch ihre eigenen Häuser herrichten können.“ Einige haben ihre Wellblechdächer verschraubt und nicht genagelt, so sind sie beim Hurrikan im Herbst nicht wieder davongeflogen. „Andere kamen und sagten, wir schulden euch noch Schulgeld. Sie kommen wirklich und bezahlen, wenn sie Geld haben.“ Michael Kaasch fühlt sich in seinem Konzept bestätigt. So, sagt er, machen sie es auch mit Paten in Deutschland, wenn die mal ein Problem haben. „Wenn sie wieder flüssig sind, steigen sie wieder ein.“ Ein Euro reicht, um ein Kind einen Tag rundum zu versorgen. Auch Schulklassen helfen, unter anderem die 8 c der Lily-Braun-Oberschule in Spandau. Die Kinder waren ganz erstaunt, als Barbara Kaasch ihnen vorrechnete, dass zum Beispiel anderthalb Liter Wasser im Supermarkt im reichen Deutschland 19 Cent kosten, die Armen in Haiti aber 67 Cent zahlen müssen.

Während ihres Aufenthalts wollen sie gemeinsam mit Natacha dafür sorgen, dass mehr Aufgaben delegiert werden. „Natacha schuftet für drei“, sagen ihre Eltern und machen sich Gedanken, wie lange die resolute Tochter diese Belastung schultern kann. Die 19 Lehrer sollen fortgebildet, aber auch Regeln für die Übernahme von Verantwortung der 40 Mitarbeiter aufgestellt werden. Denn auch der Alltag jenseits der Beben-Nachwehen hält genügend Herausforderungen bereit. Im ehemaligen Waisenhaus weiter unten am Hang, das sie für den Übergang in Schulräume für die Jüngsten umfunktioniert haben, gibt es Mäuse. Sie halten ein kleines Häuschen hoch, das die Kinder im Kunstunterricht gebastelt haben, mit echtem Rasensamen. Das lockt Nager an. Was tun? Meist rufen die Mitarbeiter Natacha an. Künftig sollen sie selbst entscheiden, eine Katze oder Fallen besorgen.

Natacha kümmert sich aber nicht nur um Organisation und Lehrplan. Sie versucht, auch die Sorgen der Familien im Blick zu behalten. Als eines Tages eine ihrer besten Schülerinnen nicht mehr erschien, machte sie sich auf die Suche nach Cassandra. Die Mutter, Anfang 30, war mit ihr und der kleineren Schwester in den Süden gegangen. Die Frau war plötzlich teilweise gelähmt, sah so in der Hauptstadt keine Zukunft mehr. „Ein Schlaganfall“, sagt Michael Kaasch. „aber sie sagt, es ist Voudou“. Natacha habe nicht akzeptiert, dass die beiden Mädchen nicht mehr in die Schule hätten gehen können, die Älteste hätte nach haitianischem Brauch die Mutter versorgen müssen. Der schwer gezeichneten Mutter haben sie einen kleinen Job in der Schule gegeben, damit sie ein Einkommen hat. „Ihr Stolz würde es ihr verbieten, Almosen zu nehmen.“ Inzwischen haben sie auch ein kleines Haus für sie gemietet, erzählen die Kaaschs und blicken stolz über die zwischen den Steinen wachsenden lila Bougainvillen auf die Hänge von Carrefour Feuilles.

Spendenkonto HaitiCare e.V., Kontonummer 877 00 00 00 bei der Commerzbank Berlin, BLZ 100 400 00

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