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Berlin wird weiter wachsen - und braucht dafür neue Ideen.

© Ole Spata/dpa

Bevölkerungswachstum: Berlin braucht eine neue Gründerzeit

2030 könnte Berlin vier Millionen Einwohner haben – und sollte schleunigst viele Bereiche grundstürzend neu buchstabieren, um das Wachstum zu bewältigen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Darf man sich freuen über die Aussicht, dass 2030 in Berlin rund vier Millionen Menschen wohnen sollen? Wo doch Berlins Verwaltung schon jetzt in einem derartigen Zustand der spürbaren Überforderung ist, dass schon heute die Bürgerämter bei der Anmeldung der Neuberliner kollabieren und allerorten Wohnungen fehlen. Nun sollen es in wenigen Jahren 500.000 Menschen mehr sein. Und überhaupt: Wollen wir an der Spree in solcher Enge leben, wie es auf den alten Fotos von 1925 zu sehen ist, als Berlin schon einmal vier Millionen Einwohner hatte?

Jährlich mindestens 40.000 Menschen mehr

Hoffnung aber sollte sich niemand machen, dass irgendjemand sich vom aktuellen Elend oder von Pleitebaustellen wie BER oder Staatsoper vom Umzug nach Berlin abhalten lassen wird. Die Situation ist auch eine andere als nach dem Mauerfall, als schon einmal von schwindelerregendem Bevölkerungswachstum geraunt wurde, bis sich dies als nicht fundierte Spekulation erwies, die nur einen ersten Bauboom befeuerte.

Immerhin sind schon in den vergangenen Jahren jeweils 40.000 Menschen nach Berlin gekommen. Es lockt gerade der Charme des Unfertigen, und dass hier noch lange darum gerungen werden kann, wie diese Stadt ihre endgültige Form findet. Berlin erlebt deswegen eine Sonderkonjunktur in der Bevölkerungswanderung; die Entwicklung folgt aber zugleich dem weltweiten Megatrend. Große Städte werden noch größer – das gilt in allen Erdteilen.

Neu an der Prognose des Senats ist deswegen nicht der Zuwachs, sondern die mögliche weitere Beschleunigung des Zuzugs. Der wird zudem nicht an den Stadtgrenzen enden. In 20 Jahren wird Potsdam ein Vorort von Berlin sein, mag er auch eine eigene Verwaltung haben – wie auch Richmond oder Greenwich in Greater London aufgegangen sind. Auch diese zwei Millionen Menschen rings um Berlins Stadtgrenze werden dazu beitragen, dass es an der Spree dann noch beschleunigter, teurer, vermutlich auch aggressiver zugehen wird.

Die BVG reagiert schon auf das Wachstum

Berlin muss sich neu denken – nur so wird es gelingen, dieses Wachstum zu bewältigen. Dann ist diese Entwicklung eine Chance, keine Verdammnis zum Elend, sondern Quelle neuen Wohlstands. Eine neue Phase der Stadtgestaltung steht an: Erst kam das Zusammenfügen der Stadt nach dem Mauerfall, dann der radikale Sparkurs als Konsequenz eines ungesteuerten Schuldenmachens, nun müssen die Berliner Verhältnisse grundstürzend neu buchstabiert werden – vom Bildungswesen bis zur Energieerzeugung. Der neue Verkehrsvertrag mit der BVG etwa reagiert schon auf dieses Wachstum. In den 1990er Jahren galt Berlin unter den Bundesländern als innovativer Verwaltungsreformer, was heute unvorstellbar erscheint. Man muss also nur wollen.

Nichts weniger als eine mutige Gründerzeit ist nötig; so wie vor hundert Jahren, als die Gebietsreform aus Berlin die flächenmäßig größte Kommune der Welt machte und der legendäre Ernst Reuter mit der BVG das weltweit modernste Nahverkehrssystem formte. Unmöglich? Eine Überforderung für die Berliner Politik? Aus Überforderung kann man auch eine Chance machen. Es bleibt der Landesregierung eh nichts anderes übrig.

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