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© K. Kleist-Heinrich

Bezirk im Wandel: Umgekrempelter Friedrichshain

Vom Arbeiterbezirk zur Partymeile – Friedrichshain und das Erbe der Hausbesetzer.

Berlin - „Für bezahlbare Mieten“, steht auf dem Transparent des bis zum Dach bunt bemalten Wohnhauses. Die umliegenden frisch renovierten Altbauten sind von Farbbeutelwürfen übersät. Die Hausverwaltungen kommen kaum nach, die Häuserwände zu streichen, so schnell werden sie wieder als Zielscheibe benutzt. „Vorsicht Krisengebiet“, ist zwei Ecken weiter an eine Wand gesprüht. Darunter das Bild eines brennenden Polizeiautos.

An keinem anderen Ort wird der Konflikt zwischen dem Friedrichshain der neunziger Jahre und dem heutigen Ausgehbezirk so deutlich wie in der Rigaerstraße. Für die eine Seite ist es ein Kampf gegen steigende Mieten und „Yuppiesierung“, für Subkultur und „linke Freiräume“. Für die andere geht es um „Aufwertung“, Investitionen in gewinnbringende Immobilien und schönes Wohnen in einem angesagten Bezirk.

Dazwischen stehen die Friedrichshainer, die hier lange wohnen und miterlebten, wie aus dem Arbeiterviertel eine beliebte Partymeile wurde. Eine von ihnen ist Beate Klemm. 1991 zog die Buchhändlerin in die Simon-Dach-Straße. „Damals gab es hier nur eine Kneipe und einen Bäcker“, erzählt die 38-Jährige. Dass sich knapp 20 Jahre später eine Cocktailbar an die nächste reihen würde, erschien ihr damals unmöglich. Wohnen wollte in der heruntergekommenen Gegend kaum jemand. Klemm erinnert sich, wie sie in einer Silvesternacht mit einer Freundin vorm Haus feiern wollte. „Die Straße war komplett leer“, sagt sie, „wir standen da ganz allein mit unseren Sektgläsern“. Sie selbst hatte viele Freunde, die in besetzten Häusern im Kiez wohnten. „Für uns waren die Hausbesetzungen etwas völlig Normales.“ Vor allem junge Leute hätten sich auf der Suche nach billigem Wohnraum den Besetzern angeschlossen.

Die große Hausbesetzerwelle begann in Friedrichshain und anderen Ostbezirken Anfang der neunziger Jahre. Gleich nach dem Mauerfall wurden dutzende leer stehende Gebäude von Punks, Künstlern und Autonomen in Beschlag genommen. Bis zur Wiedervereinigung im Oktober 1990 konnte man problemlos Häuser besetzen. Die West-Berliner Polizei durfte im Osten nicht eingreifen und die Volkspolizei war mit der Situation überfordert. Am Ende waren ganze Straßen wie die Mainzer Straße besetzt. Illegale Kneipen und Klubs eröffneten und machten die Gegend nicht nur für Politaktivisten attraktiv.

Der große Schock für die Hausbesetzer kam kurz nach der Wiedervereinigung. Begleitet von stundenlangen Straßenschlachten stürmten am 14. November knapp 4000 westdeutsche Polizisten die Mainzer Straße. Die Besetzer warfen Brandsätze und Steine, die Polizei antwortete mit Tränengasgranaten und Räumpanzern. Es gab Schwerverletzte auf beiden Seiten, fast 300 Personen wurden festgenommen. Am Abend demonstrierten mehr als 10 000 Menschen gegen die Räumung. Später setzten die meisten Besetzer auf Verhandlungen mit der Stadt. Reihenweise wurden Wohnprojekte legalisiert und erhielten Mietverträge, die zum Teil immer noch gelten.

Die Mischung aus Künstlern, Musikern und Hausbesetzern habe den Bezirk in diesen Jahren geprägt, sagt Klemm. „Es gab plötzlich ganz andere Bedürfnisse im Kiez.“ Vorher habe es beispielsweise kaum Cafés gegeben, die ein Frühstücksbuffet anbieten oder Kneipen, vor denen man im Sommer die ganze Nacht sitzen konnte. 1996 gründete Klemm den kleinen Buchladen „Lesen und lesen lassen“ in der Wühlischstraße, den es bis heute gibt. Mit dem Bezirk änderte sich auch langsam ihre Kundschaft. Klemm erzählt von Kunden, die wegziehen mussten, weil ihr Haus teuer saniert und dadurch unbezahlbar wurde. Inzwischen fließen Touristenströme durch die Straßen.

Gentrifizierung nennen Sozialwissenschaftler die Verdrängung von einkommensschwachen Bevölkerungsschichten aus Innenstadtbereichen. Mit durchschnittlich 5,58 Euro pro Quadratmeter hat Friedrichshain-Kreuzberg derzeit bei Neuverträgen die höchsten Mietpreise der Stadt. Das Paradoxe daran ist, dass die Hausbesetzerszene – ohne es zu wollen – über die Jahre selbst dafür sorgte, dass sich Immobilienfirmen jetzt um Häuser im Kiez reißen. Normalerweise gelten mit Straßenkunst überzogene Wände als Sachbeschädigung, lautstarke Demonstrationen und illegale Freiluftparties als Ärgernis. In Friedrichshain erhöht ausgerechnet all das die Anziehungskraft für Studenten und junge Unternehmer, die sich noch nicht ganz erwachsen fühlen wollen. Werbeagenturen und Klubbesitzer werden nicht müde den Bezirk trotz brennender Autos als „großartiges kreatives Umfeld“ zu loben.

Thomas, der in Wirklichkeit anders heißt, sagt von sich selbst, dass er genau in das Klischee vom zugezogenen Neureichen aus Westdeutschland passt. Mit einem Laptop sitzt er in einem Cafe an der Revaler Straße. Im Minutentakt klingelt sein Handy. „Ja, ich fahre einen teuren Wagen und verdiene mehr als die meisten im Bezirk", sagt der 26-Jährige selbstbewusst. Er wählt FDP und arbeitet für die Unternehmenskommunikation einer großen Firma. Trotzdem fühlt er sich in Friedrichshain seit vier Jahren Zuhause. Gerade das „raue Underground- Flair“, die ungewöhnlichen Klubs und die Straßenkunst machen für ihn den Kiez einzigartig. „Warum sollte ich nicht hier wohnen?“, fragt er. Mit dem Geld, das er im Bezirk ausgebe, helfe er indirekt allen Anwohnern. Für die Proteste der linken Szene gegen steigende Mieten oder das Mediaspree-Projekt hat er wenig Verständnis. „Vielen von denen geht es doch eher um Randale als um Inhalte.“ Für sein Auto hat er eine Garage gemietet.

Die steigende Attraktivität hat tatsächlich wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. 1999 gab es in Friedrichshain rund 20 000 Gewerbebetriebe, heute sind es knapp 42 000. Besonders stark vertreten ist die sogenannte Kreativbranche zu der etwa Webdesigner und Werbefirmen zählen. Dennoch lag die Arbeitslosenquote in Friedrichshain-Kreuzberg im letzten Jahr bei rund 17 Prozent.

Heute prallen im Kiez zwei Welten aufeinander. Im Norden gibt es noch viele linke Hausprojekte und Bauwagenplätze. Südlich der Frankfurter Allee, rund um den Boxhagener Platz, warten dagegen die neu entstandenen Restaurants und Bars auf die Besucher von Universal Music, MTV und der O2-World.

Für die Überbleibsel der Hausbesetzerbewegung bleibt seit einigen Jahren das immer wiederkehrende Ritual von Kündigungen, Gerichtsverhandlungen, Räumungen und anschließenden Demonstrationen. Die ehemaligen Hausbesetzer wollen ihre alternativen Wohnprojekte erhalten. Neue Immobilieneigentümer versuchen die alten Mieter loszuwerden, damit saniert und neu vermietet werden kann. Dabei kommt es teilweise zu skurrilen Szenen, wenn Makler die oft beanstandeten individuellen Umbauten der ehemaligen Bewohner plötzlich als verkaufsfördernden Hausbesetzercharme vermarkten.

„Die schönsten Graffiti-Kunstwerke der Vergangenheit werden mit Klarlack in das neue Treppenhaus integriert und erhalten“, heißt es in einer Wohnungsannonce für ein ehemals besetztes Haus im Internet. Daneben ein Foto des weiß gestrichenen Treppenaufgangs mit sorgfältig ummalten Hausbesetzergraffiti. Die Gemeinschaftsküche wird einen Klick weiter als „sehr große Wohnküche“, mit „Freiraum für jede Art von Gestaltungsmöglichkeiten“ angepriesen.

Wenn Beate Klemm heute durch die hell erleuchtete Simon-Dach-Straße läuft, erinnert sie kaum noch etwas an die damalige Zeit. Nur die Hausnummer 7, in der sie damals wohnte, sieht noch aus wie früher. Es ist das einzige Haus hier, das bislang nicht saniert wurde. Aber auch das wird sich bald ändern: An der Fassade hängt ein Schild, das über die anstehende Renovierung informiert.

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