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So schön sah es früher aus: Der Markt auf dem Karl-August-Platz im Jahre 2009.

© Kai-Uwe Heinrich

Karl-August-Platz in Charlottenburg: Wenn Wochenmärkte sich überflüssig machen

Vor der Gentrifizierung kommt die Kulinarisierung. Nach dem Prenzlauer Berg greift sie nun nach dem schönsten Wochenmarkt Berlins - dem Karl-August-Platz in Charlottenburg. Eine Kolumne.

Ich bin wieder hier. Ab und an muss man, oder muss man nicht, ich musste, mal eine Auszeit nehmen. Meine war weit, weit weg von Daheim. Daheim ist Charlottenburg, nicht von Geburt, aber von Gemüt. Ein paar Eingrenzungspunkte des Daheims: Lietzensee, Stutti, Adenauer, Savigny, okay, Bahnhof Zoo, weil das Delphi und das Quasimodo auch zum Daheim gehören. Da bin ich wieder und flaniere.

Während der Auszeit bin ich mal fremdgegangen. Der Liebe wegen. Mit der Liebe ist es ja wie mit dem Fußballverein des Herzens: Man sucht es sich nicht aus. So kam ich in den Prenzlauer Berg, also in den Kiez, in dem die Söhne Moses-Elias heißen und die Töchter Sarah-Bernadette.

Also, die Liebe hält – aber Prenzlberg hält leider auch, was das Klischee verspricht: „Moses-Elias, geh‘ nicht so nahe an die Straße, da fahren die bösen, bösen Autos.“ Das habe ich mit eigenen Augen gesehen und eigenen Ohren gehört. Und auch den Appell an Sarah-Bernadette, nicht hinter der Mutter zu gehen, weil „die Mama sonst ganz traurig ist, weil sie sich nicht mit Sarah-Bernadette unterhalten kann.“

In meinem Revier hießen die Kinder früher auch mal Sophie-Charlotte oder Karl-August, aber dann haben wir einfach mal eine Straße nach ihr und einen Platz nach ihm benannt und kurzerhand den gesamten Kiez der Charlotte namentlich zu Füßen gelegt. Ich habe hier auf jeden Fall noch keinen Karl-August im Kampf mit bösen, bösen Autos gesehen. Aber auf dem Karl-August-Platz war ich schon wieder bei meiner Reintegrationstour nach der Auszeit. Und dort auf dem Markt. Der verdient den Namen, wohingegen der Markt auf dem Kollwitz-Platz, ach, vergiss‘ es, Prenzlberg eben…

Mein Karl-August hat aber auch zu kämpfen. Mit der Kulinarisierung, die ein böser, böser Bruder der Gentrifizierung ist. Vor meiner Auszeit gab es an allen vier Ecken des Marktes etwas zu essen (Bratwürste und so) und etwas zu trinken (frisch gepresste Säfte und so). Inzwischen gibt es in den Gassen zwischen den Ecken an gefühlt jedem dritten Stand kulinarische Höhepunkte (Galette und so). Ob das wirkliche Höhepunkte sind, weiß ich nicht.

Es ist ja so: Wenn man durch die Höhepunkte durch ist, ist man satt und braucht das herkömmliche Angebot des Marktes (Kartoffeln und so) nicht mehr. Wenn das so weitergeht hat Karl-August verloren, weil der Markt sich als Markt überflüssig gemacht hat. Also Karl-August, mach dich nicht gemein mit den Kollwitzern, sonst kommen die bösen, bösen Feinschmecker.

Der Flaneur: Helmut Schümann

© Kai-Uwe Heinrich

Unser Autor Helmut Schümann flaniert an dieser Stelle in unregelmäßigen Abständen durch seinen Heimatkiez in Charlottenburg.

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