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Das ist unser Haus. Salsaal Ezatullah, Hassaini Eida, Roland Schirmer (stellv. Geschäftsführer), Sven Hubold (stellv. Einrichtungsleiter), Kambiz Shams, Kimya Mokri und Indira Muratovic.

© Kai-Uwe Heinrich

Gemeinsame Sache in Friedrichshain-Kreuzberg 2015: Kreuzberg: Ein Haus mit 190 Geschichten

Im Plett-Haus wohnen Flüchtlingsfamilien mit Berlinern zusammen. Am Aktionstag renovieren sie Terrasse und Garten.

Ein graues Hochhaus zwischen viel Grün: unscheinbar, aber mitten in Kreuzberg. 190 Menschen wohnen in der Blücherstraße 26/26a. Dirk Keitel kennt so gut wie jeden von ihnen. Der 51-Jährige ist hier seit fünf Jahren Hausmeister. Und, was heute selten geworden ist, er bewohnt auch selbst eine Wohnung in dem früheren Seniorenheim. Von den 116 Wohnungen sind fast die Hälfte an Berliner „Altmieter“ vergeben: an Menschen wie Keitel, an Senioren, Künstler oder Punks. Die andere Hälfte der 1-Zimmer-Wohnungen bewohnen seit über einem Jahr Flüchtlinge und Asylsuchende.

Als „Altenwohnheim Heinrich-Plett-Haus“ wurde das Gebäude aus den 60er Jahren betrieben, bis es 2012 die Vereine „VITA e.V.“ und „Jugendwohnen im Kiez e.V.“ erwarben. „Als Ende 2013 die Flüchtlingsnot begann, wollten wir uns engagieren“, sagt Roland Schirmer, stellvertretender Geschäftsführer bei VITA. Seit Juni 2014 wurden leer stehende Wohnungen Flüchtlingen als Unterkunft angeboten. Die Altmieter blieben. „Heute ist das Haus kunterbunt gemischt.“

Aziza Hossaini und Salsaal Ezatullah sind vor einem Jahr aus Afghanistan geflohen. Das junge Paar hat eine zehn Monate alte Tochter. Weil Ezatullah in einer Firma arbeitete, die mit dem amerikanischen Militär zusammenarbeitete, bedrohten die Taliban ihn und seine Familie. Seit sechs Monaten wohnen sie im Heinrich-Plett-Haus. „Es ist schöner hier als in den Erstaufnahmeeinrichtungen“, sagt Ezatullah. Auch wenn sie zu dritt in einem Zimmer leben, sind sie immerhin selbstständig: Sie haben eine eigene Kochnische und ihr eigenes Bad. Ezatullah will in Deutschland als Physik-Lehrer arbeiten. In Afghanistan hat er darin schon drei Jahre Berufserfahrung.

Die meisten Flüchtlinge stammen aus Syrien, Irak, Iran, Ägypten oder Pakistan und kommen nach drei Monaten in einer Erstaufnahmeeinrichtung zum Heinrich-Plett-Haus. Der stellvertretende Leiter der Unterkunft, Sven Hubold, unterstützt die Bewohner bei der Suche nach einer größeren Wohnung, hilft bei Anträgen und Behördengängen und organisiert Deutsch- und Integrationskurse im Haus. Jede Wohnung besteht aus einem Zimmer mit Kochnische und kleinem Bad. Die 25 bis 28 Quadratmeter großen Wohnungen sind mit zwei oder drei Betten, einem Tisch mit Stühlen sowie einem Schrank ausgestattet. Sie werden von Alleinstehenden, Paaren und Familien bewohnt.

Senioren mussten sich an Familientrubel erst gewöhnen

„Das Gute ist, dass die Leute hier gleich ein Bild bekommen, wie es sich in einem Mietshaus in Berlin lebt“, sagt Hausmeister Dirk Keitel. Weil das halbe Haus leer stand, war es früher sehr leise. Gerade für die Senioren im Haus war es eine Umstellung, als es letztes Jahr belebter wurde und Familien einzogen, erzählt Schirmer. Bei der Mietersprechstunde im Haus können Mieter ansprechen, wenn es ihnen zu laut ist.

Dann vermitteln Hubold und seine Kollegen. „Wir sagen den Familien auch, dass sie an ihre älteren Nachbarn denken sollen.“ Das funktioniert: „Das Zusammenleben im Haus läuft bisher richtig gut“, sagt Hubold. Um langfristig Perspektiven zu bieten, bildet der Verein seit August außerdem auch Flüchtlinge aus dem Heinrich-Plett-Haus als Pflegekräfte für ältere Menschen aus.

Niemand verstand die Abschiebung des serbischen Ehepaars

Hausmeister Keitel erlebt im Haus täglich Neues. „Man lernt sehr interessante Charaktere kennen.“ Die Geschichte eines älteren Ehepaares aus Serbien machte Keitel betroffen. Oft half er den beiden älteren Leuten, die chronisch erkrankt waren. Vor Kurzem wurden die beiden abgeschoben, ihre Kinder durften bleiben. „So etwas ist finster“, sagt der Berliner. Keiner habe verstanden, warum das ältere Paar gehen musste.

Eine andere Geschichte hat die 47-jährige Indira Muratovic aus Bosnien. Sie spricht perfekt Deutsch, ihre Schulzeit verbrachte sie in Österreich. Seit Februar wohnt sie mit ihren drei Kindern in einem Zimmer des Hauses. „Wir sind sehr zufrieden, auch wenn es eng ist.“ Muratovic ist Muslim-Roma und hat in Bosnien Ausgrenzung, Gewalt und Armut erfahren. Nun sind ihre Kinder in einer Kreuzberger Willkommensklasse untergebracht und kommen gut mit.

Am 16. September macht die Dussmann Group einen „Social Day“ im Haus. Mitarbeiter und Bewohner wollen die Terrasse renovieren und im Garten arbeiten. Danach gibt es ein Fest für alle Bewohner mit Kinderprogramm des Rundfunk-Sinfonieorchesters. Außerdem erhalten die Flüchtlinge die Möglichkeit, Berufe und Ausbildungsplätze bei Dussmann kennenzulernen. Auch Arbeitssenatorin Dilek Kolat wird dabei sein.

Jana Scholz

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