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Hunger nach Aufmerksamkeit. Der Oranienplatz muss Protestort bleiben, finden die Veranstalter der Hungerstreik-Mahnwache auf der Ostseite des Platzes.

© Doris Spiekermann-Klaas

Flüchtlingscamp in Berlin: Haben Kreuzbergs Grüne beim Oranienplatz versagt?

Berlins ehemalige Ausländerbeauftragte Barbara John kritisiert Kreuzbergs Grüne: Sie hätten die Flüchtlinge nicht human behandelt. Parteivertreter sehen das anders. Und am Oranienplatz geht der Hungerstreik weiter.

„We will rise“, steht auf der Flagge, die über Ostern auf dem Oranienplatz gehisst wurde. Wir werden emporsteigen, sichtbar werden, bedeutet das. Anderthalb Jahre lang ist die Debatte von und mit Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisenregionen wie Libyen, Mali und Tschad von Kreuzberg SO 36 aus geführt worden. Zwei Winter und einen Sommer lang rückte das Elend der Flüchtlinge aus Afrika, die das westliche Europa über Malta und Lampedusa erreichten, mitten in den Berliner Kiez.

Jetzt, wo die Asylbewerber den Demonstrationsort freiwillig räumten und nur noch ein Dutzend Hungerstreikende aus dem weiteren Unterstützerfeld und einige allgemein heimatlos wirkende Zeitgenossen mit einer Mahnwache die Stellung halten, brandet sie neu auf, die Diskussion um den Protestort im von den Grünen dominierten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

Die teils linksextremen Sympathisanten, aber auch die Grünen im Bezirk, hätten „mit dem unmenschlichen Behausungselend vieler afrikanischer Flüchtlinge den Preis für den besetzten Platz als Pfand in der Debatte mit dem Senat erst hochgetrieben“, kritisiert die frühere Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) gegenüber dem Tagesspiegel. John bezieht sich auf eine Presseerklärung der Bezirksbündnisgrünen, die sich für ihren Kampf um „menschenwürdige Asylpolitik“ loben. „Die Menschen dort so verkommen und hausen zu lassen, ist alles andere als menschenwürdig“, sagt John. Die Flüchtlinge seien die Leidtragenden gewesen, weil die grüne Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung „ihre Illusionen genährt habe auf ein Bleiberecht“, welches Bezirk oder Senat gar nicht beeinflussen könnten.

John kritisiert auch die Zustände in der Gerhard-Hauptmann-Schule

Dabei gehe es John nicht um parteipolitische Kritik, „ich habe auch als Ausländerbeauftragte meine Partei kritisiert, wenn grundsätzlich etwas falsch war“. Sie fühle sich humanitär verantwortlich – und da sei auch die Lage in der von Flüchtlingen und Sympathisanten besetzen Gerhard-Hauptmann-Schule nach Qualitätsanforderungen der „Berliner Unterbringungsleitstelle“ vom Landesamt für Gesundheit und Soziales unverantwortlich. Und dies toleriere der Bezirk. „Wenn ein privater Anbieter diese Unterkunft betreiben würde, müsste sie geschlossen werden.“ Die Unterbringungssituation „widerspricht in jeder Hinsicht, ob in baulicher, hygienischer und personeller, den zwingenden Vorschriften im Land Berlin“. Das schade den Menschen und ihrem Bild in der Öffentlichkeit.

Bei den Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg begegnet man dieser Kritik mit Unverständnis. „Die Hauptmann-Schule ist doch ein besetztes Haus“, sagt die Bezirksverordnete Taina Gärtner. John betont hingegen, der Bezirk selbst habe das Gebäude als Winterquartier angeboten.

Gärtner war wohl von allen Grünen – abgesehen von den Bezirksbürgermeistern – am engsten mit dem O-Platz befasst. Sie wohnte fünf Monate lang selbst dort, leistete bürgerschaftliches Engagement. „Von den Demonstranten habe ich kaum einen gesehen, der Essen und Kleidung vorbeibrachte oder auch mal eine Spende.“ Aber der muslimische Verein „Salam Refugees e.V.“ habe viel getan.

Die Kreuzberger Grünen wehren sich

Den Vorwurf, grüne Unterstützer hätten Machteinfluss vorgegaukelt, weist sie von sich. „Wir haben immer deutlich gemacht, dass das Bundes- und EU-Gesetze sind“, sagt Gärtner. „Wenn nicht die Grünen im Bezirk diesen bundesweit einzigartigen Demo-Ort zugestanden hätten, hätten sie heute nicht die Art der Unterstützung. Das Flüchtlingselend wäre nicht so in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.“ Und es hätte nicht die Vereinbarung mit dem Senat gegeben, der sich nun um die Asylverfahren kümmern will, meint Gärtner.  Berlins Politiker hätten aber viel früher am Platz mit den Menschen reden sollen. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) war am Ostermontag nicht zu erreichen.

Nach Angaben Johns leben in Berlin derzeit rund 12000 Asylbewerber. Hinzu kommen die 200 Lampedusa-Flüchtlinge, nun in Namenslisten erfasst. Ihre Vorgänge werden laut John nach Buchstaben auf die Bezirke verteilt. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stehe jedem nach den neuen Regeln des Asylbewerberleistungsgesetzes für die Zeit des Verfahrens eine monatliche Unterstützung in Höhe des Hartz-IV-Satzes zu. Bislang gab es ein Willkommensgeld.

Berlin stellt sich auf weitere Flüchtlinge ein

Unterdessen stellen sich auch Berlins Behörden auf weitere Flüchtlinge ein: Der Bürgerkrieg in Syrien, die Lage in der Ukraine, und auch wegen zunehmender Dürren und Naturkatastrophen infolge der Erderwärmung fliehen mehr Menschen aus Afrika. Rund 60 000 Flüchtlinge sollen dort nun an den Küsten im Norden ihre Chance auf ein besseres Leben ergreifen wollen. Nach Informationen des Tagesspiegels befürchtet auch der dichtest besiedelte Staat der EU, Malta, im Sommer wieder jede Woche hunderte Bootsflüchtlinge – zuletzt kamen 20 Flüchtlinge auf 1000 Einwohner. „Die reichen Länder müssen dringend die Lebensverhältnisse in den ärmeren Ländern verbessern helfen“, mahnt John.

Ein afrikanischer Flüchtling auf dem Oranienplatz sagt derweil leise: „Ich bin dankbar, dass Deutschland als demokratischer Staat den Protest auf dem Oranienplatz zugelassen hat. In meiner Heimat wären wir erschossen und der Platz von Panzern überrollt worden.“

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