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Eine Narbe der Stadt, die bleibt. Der Anhalter Bahnhof wurde beim Bombenangriff am 3. Februar 1945 zerstört. Die Reste wurden später gesprengt. Noch heute erinnert die Ruine in Kreuzberg an den Tag, an dem Berlin so schwer zerstört wurde wie nie im Zweiten Weltkrieg.

©  Doris Spiekermann-Klaa

Angriff am 3. Februar 1945: Bomben auf Berlin: Die Spuren bleiben sichtbar

Vom Anhalter Bahnhof in Kreuzberg bis zur Waisenbrücke in Mitte: Ein Besuch an den Orten der Verwüstungen des Bombenkriegs vor 70 Jahren auf Berlin.

Das Schild am Rand der Grünanlage sieht aus wie die Anmoderation zu einem Abenteuer-Krimi. Ein Paar durchkreuzte Hosenbeine, dazu der Text des Bezirksamtes: „Gleis-Wildnis - ungesichertes Gelände - Gefahr! Betreten verboten!“

Die wüste Landschaft liegt fünf Minuten vom Potsdamer Platz entfernt, wo Glasbetontürme des Neuen Berlin himmelwärts ragen. Zur Gleis-Wildnis gelangt, wer am Ruinen-Portikus des ehemaligen Anhalter Bahnhofs über das Terrain dieser verschwundenen Riesen-Immobilie südwärts schreitet. Neben ihrem Fassaden-Fragment aus gelben Ziegeln, das am Taxistand des Askanischen Platzes wie eine Film-Kulisse rumsteht, verweist eine Informationstafel auf Deportationen von Juden ins Lager Theresienstadt; die hatte an Bahnsteigen dieser einstmals prachtvollen Haltestelle stattgefunden. Zudem warnen vier Schilder vor allem, was man an diesem Ort falsch machen könnte: weshalb die Zufahrt nur mit „Sondergenehmigung“ zu benutzen und für die Feuerwehr freizuhalten ist.

Ein Bunker, der nicht wegzusprengen war

Am 3. Februar vor 70 Jahren war der Anhalter Bahnhof bei dem folgenschwersten Bombenangriff auf die Reichshauptstadt zerstört worden. Hinter seinem Fassaden-Stummel erstreckt sich ein mit Kiesasche bestreuter Zwischenraum. Eine umzäunte Sportanlage schließt sich an, daneben duckt sich hinter einen bunt bemalten Imbisswagen ein Bunker, der nicht wegzusprengen war, mit dem lakenweißen Schriftzug „Berliner Gruselkabinett“. Eine Pappelreihe erinnert daran, dass schnellwachsendes Holz dieser Spezies früher für Gewehrkolben gebraucht und von Landwirten in den 1930er Jahren gern angepflanzt wurde. Die Bäume hier sind jünger, sie durchwurzeln nun das Bahnhofsgrundstück.

Ans Sportfeld schließt die Neuschwanstein-Architektur des Tempodrom an, ein Monument West-Berliner Postmoderne; dahinter beginnt Gleis-Wildnis – der Elise-Tilse-Park. Moosige Steinplatten, Bahnsteigkanten. Gestrüpp, Bäume. Weggeworfene Flaschen, Laternen. Papierkörbe, Hundekacke. Dicker Bahndammschotter. Amseln, Krähen. Rucksack-Passanten, Radler. Schließlich eine Fußgängerbrücke übern Landwehrkanal, auf der in Beton-Lettern hüben „Berlin“ und drüben „Anhalt“ zu lesen ist: der Anhalter Steg von Anno 2000. Er führt zum Deutschen Technikmuseum, auf dessen Dach ein US Airforce-Flieger als Blickfang schwebt. Zwei schwächelnde Skulpturen vom Portikus des Anhalterbahnhofs, „Der Tag“ und „Die Nacht“, haben in diesem Haus ihre letzte Heimat gefunden.

Selbst wer weiß, was für ein Riesenpalast der Mobilität sich an dieser Adresse mal befunden hat, kann es sich kaum vorstellen. Dass Städte durch Kriege vernichtet, neu erbaut oder vergessen werden, gehört zur Weltgeschichte: Der Drang jener, die wissen wollen, wo sie sind und woher sie kommen, treibt zur Spurensicherung. Früher wurden auch Leinwände überpinselt, Pergamente abgeschabt, neu bekritzelt; selbst das Gedächtnis funktioniert so, irgendwie, durch Übermalungen.

Was von den Schichten, den individuellen Schrecken, den Panoramen der Berliner Vergangenheit dann wiederentdeckt, konserviert und zu einem Bild eventuell zusammengesetzt werden kann, hängt auch vom Wunschdenken der Forscher und Denkmalschützer, von der Vitalität der Überlieferer, der Zuhörer-Aufmerksamkeit und von Zufällen ab. Wer das Grundstück des Anhalter Bahnhofs abschreitet, findet immerhin Anhaltspunkte und kann Details selbst recherchieren.

Die Waisenbrücke wurde von der Wehrmacht gesprengt

Wer dagegen die geschichtsträchtige Waisenbrücke am Märkischen Ufer sucht, sieht fast gar keine Rudimente. Sie führte, benannt nach dem „Großen-Friedrich-Hospital“, rund 250 Jahre von der Neuen Friedrichstraße (heute: Littenstraße) über die Spree zum Märkischen Museum, wurde nicht - wie man denken würde - bombardiert, sondern von der Wehrmacht gesprengt, nach dem Krieg behelfsmäßig ersetzt, nicht wieder aufgebaut. Nur wer genau hinsieht, erkennt am Ufer noch das vorspringende Widerlager für diese Verkehrsverbindung. Den Antrag auf Rekonstruktion lehnte der Senat 2007 ab. So gesehen verdankt das Märkische Museum vielleicht seine oft beklagte Abseitslage letztlich der Wehrmacht.

Offensiv erinnert Berlin daran, wie es war, dagegen am Bayerischen Platz. Dort hatten Bomben am 3. Februar 1945 ein Blutbad im U-Bahntunnel angerichtet. Die großzügige Parkanlage im Zentrum von Schöneberg wurde verwüstet. Den Eindruck von Großzügigkeit stellt der Platz, wie er heute bepflanzt ist, nicht wieder her.

Im Viertel ringsherum erinnern Straßenschilder eines Denkmalprojektes an den administrativen Prozess der Judenverfolgung. Wer sich aber in den ersten Stock des neuen U-Bahnhofs begibt, wo der Platz gut zu überblicken ist, gerät in eine Zeitschleuse. Kerzenleuchter, an den Wänden Monitore mit alten Fotos, aus Lautsprechern nostalgische Musik. Das „Zeithistorische Portal“ im Café Haberland ist ein Durchgangstor zur Erinnerung – deren Anmutung, wie man weiß, täuschen kann: Der Bayerische Löwe auf der Rasenfläche Bayerischer Platz ist durchaus kein historisches Mobilar, sondern erst im Jahre 1958 dort aufgestellt worden!

Das Personal auf dem Portikus des Anhalter Bahnhofs wiederum, „Der Tag“ und „Die Nacht“ genannt, sind keine Originalskulpturen, sondern nur banale Kopien. Sie zeigen trotzdem, wie man sich zur Berliner Geschichte verhält – ins Ferne schauend oder die Augen fest geschlossen.

Kriegsmahnmal in der City West: Am 22. und 23. November 1943 wurde Berlin bombardiert wie nie zuvor. Tausende starben. Auch die Gedächtniskirche wurde zerstört. Ein Augenzeuge erinnert sich unter diesem Tagesspiegel-Link.

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