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Auch Justizsenator Thomas Heilmann, CDU, stellte sich der Diskussion mit den Anwohnern

© TSP

Anwohnerversammlung zu Flüchtlingen in Wannsee: Heilmann: "Wir sagen Ja zu Unterkünften, zu denen wir lieber Nein sagen würden"

Im Ortsteil Wannsee in Zehlendorf könnte eine der größten Flüchtlingsunterkünfte Berlins entstehen. Am Mittwoch trafen sich betroffene Anwohner und diskutierten auch mit Justizsenator Thomas Heilmann.

Das Interesse an der Veranstaltung „Wannsee 300 – Integration statt Massenunterkunft“ ist überbordend an diesem Mittwochabend im Haus Sanssouci. Schon eine halbe Stunde vor dem angesetzten Beginn um 19.15 Uhr ist klar: Die Menschen, die in der Schlange vor dem Restaurant Haus Sanssouci in Wannsee anstehen, können nicht mehr alle eingelassen werden. Kurzfristig sei der Saal gemietet worden, und sie hätten nicht mit diesem Andrang gerechnet; sie bitten um Verständnis, sagt Stefan Horenberg, einer der Initiatoren der Initiative Wannsee 300.

Eigentlich seien nur Anwohner eingeladen, und er freue sich über das rege Interesse. Die meisten der anwesenden etwa 200 Anwohner haben denn auch nur einen Stehplatz, lehnen sich zum Teil noch in ihren Winterjacken an die Wände. Weitere hundert Interessierte hören aus dem Treppenhaus zu, ab und zu ruft jemand von dort „Lauter bitte!“. Es soll darum gehen, ob etwa 1500 Flüchtlinge bis Ende des Jahres in der ehemaligen Lungenklinik am Heckeshorn untergebracht werden. Die Atmosphäre ist angespannt, vielen der Anwesenden geht es um die Zukunft von Wannsee, so viel ist klar.

Stefan Horenburg und Harald Fisch von der Nachbarschaftsinitiative Wannsee 300 sagen einleitend, sie wollen die Integration der bereits in Wannsee untergebrachten etwa 300 Flüchtlinge. Man kümmere sich bereits tatkräftig um deren Integration. "300 können wir schaffen, aber nicht 1500 und mehr."

Seit Dezember 2015 leben insgesamt etwa 300 Asylsuchende in Wannsee und verteilen sich demnach auf momentan drei Unterkünfte: Eine Erstaufnahmeeinrichtung am Ende der Straße Am Großen Wannsee mit 70 Flüchtlingen, das Bettenhaus der ehemaligen Klinik am Heckeshorn mit etwa 200 Asylsuchenden, darüber hinaus seien noch bis Ende Februar 70 unbegleitete Minderjährige am Kronprinzessinnenweg untergebracht. Diese Zahl von etwa 300 Flüchtlingen sei angesichts einer Einwohnerzahl des Wahlkreises Wannsee von 1750 noch zu verkraften. Geographisch handele es sich dabei im Übrigen um das Gebiet Straße am Großen Wannsee über die Straße Am Heckeshorn bis zum McDonald's-Restaurant an der Königstraße, erklären die Initiatoren.

"Können wir unsere Töchter alleine zum Baden schicken?"

Im Raume stehen nun verschiedene Zahlen, was die Belegung der ehemaligen Lungenklinik Am Heckeshorn anginge: Im Bettenhaus der ehemaligen Klinik und in zwei geplanten Modularbauten sollen laut unterschiedlicher Angaben zwischen 1500 bis 3000 Flüchtlinge bis Ende des Jahres einziehen. „Ich frage mich schon, ob wir unsere Töchter noch alleine an den Wannsee zum Baden schicken können“, sagt Horenberg. Viele der Anwesenden sind fassungslos, verschränkte Arme und versteinerte Mienen. Einer bringt es auf den Punkt: „Dann wird unsere Wohnstruktur für alle Zeiten unwiederbringlich zerstört.“ Applaus aus dem Publikum.

Hier im Haus Sanssouci fand das Anwohnertreffen statt, unweit der ehemaligen Lungenklinik am Heckeshorn, wo bald 1500 Flüchtlinge einziehen könnten
Hier im Haus Sanssouci fand das Anwohnertreffen statt, unweit der ehemaligen Lungenklinik am Heckeshorn, wo bald 1500 Flüchtlinge einziehen könnten

© TSP

Mitinitiator Dr. Aust untermauert die Argumente der Initiative gegen einen eventuellen Massenzuzug: Die Straßen in Wannsee seien jetzt schon so marode und zugeparkt, dass der einzige Bus der Linie 114, der alle 20 Minuten zirkuliert, kaum durchkomme. Die beiden nächst gelegenen Schulen seien heute schon überfüllt, wo sollten da die etwa 300 schulpflichtigen Flüchtlingskinder unterrichtet werden? Für die vielen allein reisenden jungen Männer gebe es kaum Zerstreuung und Beschäftigung, da die Anbindung an die Stadt sehr schlecht sei und es einfach weder entsprechende Bildungs- noch Freizeiteinrichtungen gäbe. Deshalb sei Ghettoisierung vorauszusehen. „Grundsätzlich wollen wir Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten, die bei uns stranden, helfen und sie wirklich integrieren“, damit ergreift wieder Stefan Horenburg das Mikrophon. „Aber wir fühlen uns von der Politik übergangen und angesichts der Zahlen, die nun zwischen 1500 und 3000 schwanken, allein gelassen.“

Von Seiten der Politik scheint man sich allerdings doch zu bemühen: Er sei "kurzfristig eingeladen worden“, sagt Justizsenator und CDU-Kreischef in Steglitz-Zehlendorf, Thomas Heilmann, selbst. Er wirft nun die Zahl von insgesamt 720 Flüchtlingen in den Raum. Raunen im Saal, wieder eine neue Information.

"Es geht uns um die Zahl, um die Zahl!“

Die niedrigere Angabe begründet Heilmann damit, dass die Unterbringung in mobilen Einheiten vorerst nicht mehr umgesetzt würde. Er bittet um Verständnis für die Arbeit der Bundesregierung: „Wir sagen Ja zu Unterkünften, zu denen wir lieber Nein sagen würden.“ Schließlich gebe es nicht genug Unterbringungsmöglichkeiten, da müsse man Nachteile abwägen. Außerdem, ihm lägen Statistiken vor, in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften stiege die Kriminalität nicht an. Bei 90.000 Flüchtlingen in der Stadt müssten diese eben auf alle Bezirke verteilt werden. Eine Frau sagt später dazu: „Es geht uns nicht darum, ob wir hier Flüchtlinge aufnehmen oder nicht. Es geht uns um die Zahl, um die Zahl!“ Zustimmendes Raunen und Nicken von Vielen. Eine weißhaarige Frau ergreift resolut das Mikro und resolut sagt sie: „Wir wollen eine dezentrale Unterbringung. Und wir fordern eine Obergrenze von 500!“

Sogar Heilmann sagt dazu, 300 seien besser als 500. Das wäre aus Integrationsgründen besser. Zustimmende, teils skeptische Blicke aus dem Publikum.

„Die unterschiedlichen Zahlenangaben, erst 300 dann 700 oder vielleicht doch 3000, das macht die Situation unerträglich“, wirft einer der Versammelten ein.

Überhaupt habe die Sicherheit doch Priorität. „Meine Töchter sind elf und dreizehn Jahre, kann ich die noch alleine ans Wasser schicken, Herr Heilmann“, fragt nun auch ein groß gewachsener Herr. Ein Anwesender befürchtet gar, „dass man uns jetzt auf die Rolle schickt“ und erntet dafür auch vereinzelt Applaus.

„Ich möchte ein Element der Zuversicht heute beisteuern“, sagt an dieser Stelle der Sprecher des Ökumenischen Willkommensbündnisses Wannsee, Helmut Krech. „Hier ist guter Wille wichtig und der ist auch bislang vorhanden.“ Auch er sehe allerdings bei einer großen Flüchtlingszahl das Problem einer möglichen Ghettobildung. Man müsse weiter guten Willens sein, „damit keine Lawine auf uns zurollt.“

Was passiere eigentlich bei einem Waldbrand oder bei Massenpanik?, fragt eine Dame. Und wie solle man die hohe Anzahl Analphabeten beschäftigen? Diese Frage ist wieder an Herrn Heilmann gerichtet.

Auch der Vorsitzende des CDU-Ortsverbandes Wannsee, Stefan Schlede, sprach von einem krassen Missverhältnis zwischen Einwohner- und der Flüchtlingszahl, wenn es zu einer Einquartierung von 1500 und mehr Asylsuchenden käme, machte aber konkrete Lösungsvorschläge: Man müsse auch bei einer Zahl von 500 bis 600 Flüchtlingen mit der BVG die Taktung des nur alle 20 Minuten fahrenden 114er Buslinie vereinbaren und etwa die schulpflichtigen Flüchtlinge auf ganz Zehlendorf verteilen.

Für den 26. Januar ist nun eine Bürgersprechstunde bei Bezirksbürgermeister Kopp angesetzt, bei der eine Unterschriftenliste übergeben werden soll.

Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint.

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