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Anwohner leiden unter zum Teil unerträglichem Fluglärm, wie sie berichten

© Anett Kirchner

Ausbau: Hubschrauberlandeplatzes der Charité in Steglitz: Lebensretter oder Lebensbelastung?

40 Mal am Tag startet der Rettungshubschrauber des Steglitzer Franklin-Campus. Viele Anwohner leiden unter Lärm. Jetzt soll eine neue Startfläche entstehen.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Hermann Hesse. Auch hier trifft das zu. Anfangs fanden viele Anwohner den Rettungshubschrauber am Benjamin-Franklin-Campus der Charité in Steglitz faszinierend. Papa stand mit dem Sohn im Garten und staunte, wenn der Helikopter in den Himmel stieg, um Menschenleben zu retten. Inzwischen ist der Faszination Frust gewichen. Durch eine sukzessiv steigende Zahl der Einsätze in den letzten Jahren sowie zum Teil tiefe Flüge direkt über dem Wohngebiet südlich des Stadions Lichterfelde leiden viele der Anwohner unter unerträglichem Lärm, wie sie berichten. Und jetzt kommt hinzu, dass der Landeplatz baulich umgestaltet werden soll. Die Anwohner machen sich Sorgen, dass ein zweiter Hubschrauber sowie Nachtflüge hinzukommen könnten und die Lärmbelastung weiter steigt; der Lebensretter zur Lebensbelastung wird.

„Bitte verstehen Sie uns nicht falsch“, sagt Vanessa Eckel. „Wir sind generell für einen Notfall-Hubschrauberlandeplatz an diesem Standort.“ Dieser sollte allerdings nicht dazu beitragen, dass die in der Nähe wohnenden Bürger über das notwendige Maß hinaus belastet würden. Denn Lärm führe nachweislich zu diversen Krankheiten. Dabei spricht sie stellvertretend für die Anwohner, die an diesem Nachmittag im April zu dem Vor-Ort-Termin mit dem Tagesspiegel-Zehlendorf an die Paul-Schwarz-Promenade am Teltowkanal gekommen sind. Hier in Höhe des Benjamin-Franklin-Krankenhauses befindet sich der Hubschrauberlandeplatz.

„Selbst wenn wir die Fenster schließen, ist es so laut, dass ich mich bei den Hausaufgaben kaum konzentrieren kann“, berichtet eine Schülerin, die mit ihren Eltern in der Nähe wohnt. Eine Dame, die mit Namen nicht genannt werden möchte, erzählt, dass sie mit einer Lärm-App auf ihrem Smartphone einen Schallpegel von bis zu 97 Dezibel aus ihrer Dachgeschosswohnung in der zweiten Etage gemessen habe. Der Grenzwert für Lärm liege bei etwa 55 Dezibel.

Sie führe zudem ein „Fahrtenbuch“ über die Einsätze und habe an einem Sonntag zwischen 8 und 14 Uhr acht Flüge notiert, also 16 Mal Hin und Zurück. Zu Spitzenzeiten zähle sie 20 Flüge pro Tag, also 40 Mal hin und zurück. Auf dem Balkon oder im Garten sitzen, sei dann kaum möglich. Hinzu komme, dass der Motor des Hubschraubers vor und nach den Einsätzen oft unverhältnismäßig lang laufe. Manchmal hätten die Anwohner an diesem Landeplatz sogar gleich drei verschiedene Helikopter beobachtet.

Besonders lärmintensiv sei es im Sommer letzten Jahres gewesen. Die Bürger beschwerten sich. Politiker stellten Anfragen beim Senat. Die Presse berichtete. Seither fliege der Hubschrauber höher und nutze die Route entlang des Teltowkanals. Doch die Anwohner trauen dem Braten nicht. „Man will uns nur ruhig halten“, glaubt Vanessa Eckel. Auch Uwe Patzwahl, ebenfalls Anwohner, ist skeptisch. Er hat sich den kürzlich öffentlich ausgelegten Antrag der Charité für den Umbau des Landeplatzes genau durchgelesen.

Es soll ein zweites Lärmgutachten geben - mit „verheerenden Ergebnissen“

An dem Standort sollen eine neue Plattform für eine Start- und Landefläche sowie zwei Standpositionen an dem Landeplatz entstehen. Die Kosten für den Umbau werden auf 2,5 Millionen Euro geschätzt. Das Geld soll aus dem Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt (SIWA) kommen. Worüber sich Uwe Patzwahl wundert: Der derzeitige Hubschrauber hat eine maximale Startmasse von 2910 Kilogramm. „Die Charité hat jedoch den Betrieb eines Hubschraubers mit einer maximalen Startmasse von 6000 Kilogramm beantragt.“ Zudem sei das Schallgutachten, das dem Antrag zugrunde gelegt werde, unwissenschaftlich und tendenziös. Es gehe von der Zahl der Flugbewegungen des Jahres 2014 aus. „Doch bereits nach dem ersten Halbjahr 2015 lag die Anzahl der Flüge deutlich über denen des ersten Halbjahres 2014“, sagt Patzwahl. Ferner gingen die Berechnungen von einem anderen, schwereren Helikopter aus. Ein Insider will außerdem wissen, dass ein zweites Lärmgutachten existiere - mit „verheerenden Ergebnissen“.

Was die Anwohner ebenfalls irritiert: „Uns sagte jemand von der Charité, dass der Hubschrauber überwiegend Medikamente und Notärzte von einem Krankenhaus zum anderen fliege“, erzählt Vanessa Eckel. Und in der Tat: An diesem Nachmittag startet der Helikopter zu einem Einsatz und kommt offensichtlich ohne Notfall-Patienten zurück.

Die Anwohner haben sich auch an Politiker hier im Bezirk gewandt, fühlen sich von ihnen jedoch allein gelassen. Nur einer habe sich gekümmert: Benedikt Lux, Abgeordneter der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er wohnt in Steglitz-Zehlendorf und befasst sich als Innenpolitiker seit Jahren mit dem Rettungsdienst in Berlin. Der Sparkurs des Landes führe dazu, dass die Helfer immer seltener in den vorgeschriebenen acht Minuten am Unfallort seien. „Der Rettungsdienst muss heute mehr als 100.000 Mal häufiger ausfahren als vor zehn Jahren“, erklärt er. Die Feuerwehr habe aber weniger Personal als noch vor zehn Jahren.

Auch deshalb werde verstärkt der Rettungshubschrauber eingesetzt. „Wir wollen den Standort am Benjamin-Franklin erhalten, denn jeder erwartet zu Recht schnelle Hilfe im Notfall“, fährt Lux fort. Damit die Akzeptanz der Anwohner erhalten bleibe, seien Senat und Charité gut beraten, von sich aus mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen und offensiver in der Nachbarschaft zu informieren. Wichtig sei, dass die Anflugkorridore über den Teltowkanal möglichst immer genutzt würden, um Wohngebiete zu schonen. „Und bei einem neutralen Gutachten sollten die tatsächlichen Lärmbelastungen berücksichtigt werden“, schlägt er vor.

Charité: Aufregung der Anwohner unbegründet

Seitens der Charité ist die ganze Aufregung offenbar unbegründet. Auf Anfrage teilt ihr Sprecher Uwe Dolderer mit, dass es sich bei den Maßnahmen um eine bauliche Anpassung der Anlage handle, die aufgrund veränderter EU-Verwaltungsvorschriften erforderlich geworden sei. „Es geht dabei nicht um einen Ausbau des Flugbetriebs oder die Stationierung eines zweiten Hubschraubers“, sagt er. Derzeit prüfe die zuständige Obere Luftfahrtbehörde Berlin-Brandenburg (LuBB) den Antrag der Charité

Vergleichsweise wenig Einfluss scheint hier der Bezirk zu haben. Zwar sollten das Umwelt- und Naturschutzamt, das Straßen- und Grünflächenamt sowie Stadtentwicklungsamt eine gemeinsame Stellungnahme abgeben, Entscheidungen hierzu werden allerdings auf Landesebene getroffen. Frank Mückisch (CDU), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, hält jedoch die Befürchtungen der Anwohner, dass der Lärm nach dem Umbau intensiver werden könnte, für nicht unbegründet. Zum einen, weil die Antragsunterlagen zum Thema „Lärm“ für die umfangreiche Ausbauplanung der Charité wenig aussagekräftig seien und zum anderen wegen der Tatsache, dass sich die Anzahl der Flüge von 3.402 im Jahr 2009 auf 6.452 im Jahr 2014 fast verdoppelt hätten.

Senatsverwaltung: Bauvorhaben führt nicht zu einer Zunahme von Flügen

Derk Ehlert, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, die dem LuBB übergeordnet ist, widerspricht dem und sagt, dass die Befürchtungen der Anwohner nicht berechtigt seien. „Der vorgesehene Ausbau des Hubschrauberlandeplatzes führt zu einer Änderung der bisherigen An- und Abflugwege, so dass die Hubschrauber künftig weniger über besiedeltes Gebiet an- und abfliegen“, beschreibt er und erklärt weiter, dass das Bauvorhaben nicht zu einer Zunahme von Flügen führe. Vielmehr würden die jetzt häufig überflogenen Grundstücke der Anwohner nach dem Umbau entlastet.

Ob Maßnahmen oder Festlegungen zu einer weiteren Reduzierung des Lärms möglich oder sinnvoll seien, soll bei einem Erörterungstermin über die Einwendungen zu dem Antrag der Charité diskutiert werden. Der Termin sei für Ende April oder Mai geplant. Insgesamt habe es elf Einwendungen von 66 Einwendern gegeben.

Und zu dem besagten Lärmgutachten erklärt Ehlert: Es wurde wie auch die restlichen Unterlagen vor Durchführung des Änderungsgenehmigungsverfahrens von der LuBB geprüft. „Es ist nachvollziehbar, schlüssig und erfüllt alle Anforderungen an ein Gutachten.“ Mit Hilfe des Gutachtens könne für jeden Ort in der Umgebung des Landeplatzes die Lärmbelastung in Dezibel ermittelt werden. Klingt plausibel. Ob das Verfahren die Skepsis der Anwohner besänftigen und wieder in die anfängliche Faszination für den Helikopter umwandeln wird? Denn auch ein Umbau ist doch irgendwie ein Anfang, dem ein Zauber inne wohnen könnte… 

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Die Anwohner sind generell für einen Rettungshubschrauber-Landeplatz - dieser solle allerdings nicht dazu beitragen, dass die in der Nähe wohnenden Bürger über das notwendige Maß hinaus belastet würden
Die Anwohner sind generell für einen Rettungshubschrauber-Landeplatz - dieser solle allerdings nicht dazu beitragen, dass die in der Nähe wohnenden Bürger über das notwendige Maß hinaus belastet würden

© Anett Kirchner

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