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Im Stimmbezirk Dahlem holte Wellmann bei den Bundestagswahlen über 56 Prozent der Erststimmen.

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CDU-Politiker löst Kirchenstreit in Dahlem aus: Pfarrer: Wellmann hat eine entscheidende Grenze überschritten

Seit langem rumort es in der Evangelischen Kirchengemeinde Dahlem. Zur Ratswahl am Sonntag hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann in einem Brief namentlich zur Wahl von sechs Kandidaten aufgerufen. Der Pfarrer ist empört. Und Wellmann? Schrieb noch einen Brief.

In der traditionsreichen Evangelischen Kirchengemeinde in Dahlem ist kurz vor der Gemeindekirchenratswahl am kommenden Sonntag große Unruhe ausgebrochen. Auslöser ist ein Brief von Karl-Georg Wellmann, CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der CDU-Dahlem, in dem er auf offiziellem CDU-Papier zur Wahl von sechs Kandidaten aufruft. Wellmann nennt sechs der 13 Kandidaten namentlich und schreibt in dem Brief vom 10. Oktober, der dem Tagesspiegel vorliegt: "Ich möchte Sie herzlich bitten, sich an den Wahlen zu beteiligen und diese sechs Damen und Herren zu wählen. Sie alle bringen frischen Wind in die Gemeinde und wären eine große Bereicherung für uns alle."

Pfarrer Oliver Dekara sagte auf Nachfrage dazu: "Ich bin empört. Herr Wellmann hat damit eine entscheidende Grenze kirchlichen Selbstverständnisses überschritten." Die Vorsitzende des Gemeindekirchenrats, Katja von Damaros, sagte dem Tagesspiegel: "Wir sehen in dem Brief eine unzulässige parteipolitische Einflussnahme. Das Vorgehen von Herrn Wellmann widerspricht dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Der Gemeindekirchenrat wird Herrn Wellmann auffordern, das Recht unserer Kirche zu respektieren, die eigenen Angelegenheiten selbst und ohne politische Einflussnahme zu regeln. Als Privatperson und als evangelischer Christ kann er gerne Stellung beziehen, aber nicht in seiner politischen Funktion."

Dekara zeigte sich "betrübt und unglücklich über diesen Lagerwahlkampf. Das habe ich in 20 Jahren Pfarrdienst so noch nicht erlebt". Von den sechs neuen Kandidaten wollten sich die meisten auf Nachfrage nicht mehr öffentlich äußern. Seit längerer Zeit gibt es Streit über die Ausrichtung der Gemeinde, die einst den Kern der Bekennenden Kirche bildete und in der Martin Niemöller Pfarrer war.

Zur Gemeinde gehören die Kirchen St. Annen und Jesus-Christus. Weltweit bekannt wurde die Kirche vor allem als Aufnahmestudio für Klassik-CDs. Herbert von Karajan war zwar praktizierender Katholik. Wenn er aber in Berlin weilte, konnte man den Maestro regelmäßig in der evangelischen Jesus-Christus-Kirche in Dahlem antreffen. In dem Backsteinbau aus dem Jahr 1931 pflegte Karajan in den sechziger und siebziger Jahren fast alle Schallplattenprojekte mit den Berliner Philharmonikern zu realisieren.

Die Jesus-Christus-Kirche in Dahlem. Weltweit bekannt wurde die Kirche vor allem als Aufnahmestudio für Klassik-CDs
Die Jesus-Christus-Kirche in Dahlem. Weltweit bekannt wurde die Kirche vor allem als Aufnahmestudio für Klassik-CDs. Herbert von Karajan war zwar praktizierender Katholik. Wenn er aber in Berlin weilte, konnte man den Maestro regelmäßig in der evangelischen Jesus-Christus-Kirche in Dahlem antreffen. In dem Backsteinbau aus dem Jahr 1931 pflegte Karajan in den sechziger und siebziger Jahren fast alle Schallplattenprojekte mit den Berliner Philharmonikern zu realisieren.

© Mike Wolff

Einige der rund 6000 Mitglieder kritisieren, dass "vor allem die Verkündigung der Seelsorge und die Senioren- und Jugendarbeit zu kurz kommen", wie ein Mitglied sagt, das seinen Namen nicht nennen will. Auch der Konfirmandenunterricht sei "nicht gut". Die Kritiker wollen "den Blick mehr auf das Theologische lenken" und auf "die Arbeit für die Kerngemeinde". Man verstehe Kirche in erster Linie "als Ortsgemeinde" und wolle "eine neue Willkommenskultur", heißt es. Damaros und Dekara verweisen darauf, dass man 80 bis 90 Konfirmanden pro Jahr habe, das sein eine große Zahl, die für sich spreche.

Wellmann bringt die allgemeine Kritik der unzufriedenen Gemeindemitglieder in seinem Brief zum Ausdruck. Die genannten Bewerber, schreibt Wellmann, "verstehen Kirchengemeinde nicht in erster Linie als eine sozial- und gesellschaftspolitische Institution". Wellmann fordert eine Gemeinde, "in der jedes Gemeindemitglied als großes Geschenk und Bereicherung betrachtet" werde; "in der miteinander so umgegangen wird, dass sich keiner ausgegrenzt fühlt". Dekara und Damaros weisen die Vorwürfe zurück. Offensichtlich ist einigen Mitgliedern vor allem das soziale Engagement zu breit angelegt, andere wiederum können diese Kritik nicht verstehen und finden, sie "diskreditiere" die Arbeit der Gemeinde.

Katja von Damaros sagt: "Natürlich haben wir als Kirche auch ein gesellschaftliches Mandat. Es ist Teil unseres biblisch begründeten Auftrages. Der Gemeindekirchenrat ist offen für  Ideen und Vorschläge. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Ideen einzubringen, sich auszutauschen und sich zu engagieren. Es dauert aber  immer auch seine Zeit, um bei strittigen Themen und unterschiedlichen Ansichten Konsens herzustellen."

Dahlem ist ein gut bürgerlich, eher konservativer Ortsteil, die Einkommensgrenze ist eine der höchsten in Berlin. Wellmann holte als Direktkandidat allein in Dahlem über 56 Prozent der Erststimmen. Die Evangelische Kirchengemeinde ist schon aus der Tradition der Bekennenden Kirche heraus "eher links und rot", wie es ein sozialdemokratisches Gemeindemitglied formuliert, das einst auch in der Friedensbewegung aktiv war.

"Natürlich haben wir ein gesellschaftliches Mandat"

Wellmann weist eine politische Absicht vehement zurück und beteuert: "Es geht mir nicht um Politik, es geht nicht um Rechts oder Links, sondern um die Zukunft der Gemeinde. Viele Gemeindemitglieder sind der Meinung, dass es Verkrustungen gibt." Er finde es "traurig, dass andere personelle Alternativen bisher keine Chance hatten". Wellmann wünscht sich "mehr Konzentration auf spirituelle Bedürfnisse, mehr Vielfalt und Offenheit".

Karl-Georg Wellmann, CDU-Vorsitzender in Dahlem und Bundestagsabgeordneter sowie Mitglied der Evangelische Kirchengemeinde in Dahlem.
Karl-Georg Wellmann, CDU-Vorsitzender in Dahlem und Bundestagsabgeordneter sowie Mitglied der Evangelischen Kirchengemeinde in Dahlem.

© promo

Wellmanns Vorgehen war aber offensichtlich zu viel der Offenheit. Er musste einen neuen Brief verfassen, obwohl er bis Dienstagabend in Montenegro weilte. Nicht nur die Mitglieder des Gemeindekirchenrats fanden, Wellmann habe "die Belange von Kirche und Staat“ nicht getrennt, auch mehrere der von ihm gelobten Kandidaten waren sauer. Katrin Sachs, die zu den von Wellmann Hervorgehobenen zählt, sagte dem Tagesspiegel: „Er hätte das sicherlich eleganter und glaubwürdiger machen können."

Wellmann: Ich bedauere das Missverständnis

Am Dienstag also schrieb Wellmann einen neuen Rundbrief, über dessen Inhalt er bereits am Montagabend den Tagesspiegel informierte: „Diese Empfehlung hat innerhalb der Gemeinde große Aufregung verursacht und wurde als quasi staatliche Einmischung verstanden, obwohl ich meine Empfehlung nicht öffentlich, sondern nur intern gemacht hatte. Wir würden uns auch umgekehrt jede kirchliche Empfehlung bei allgemeinen Wahlen verbeten. Diese Kritik verstehe und akzeptiere ich. Ich bedauere das Missverständnis."

Am Montagnachmittag hatte Wellmann noch keine Einmischung des Staates sehen wollen, er habe nur als Vorsitzender der CDU-Dahlem geschrieben. Wellmann hatte sich auch Hoffnungen gemacht, CDU-Kreisvorsitzender von Steglitz-Zehlendorf zu werden, das Amt hat nun Justizsenator Thomas Heilmann inne. In seinem neuen Brief, der "auf neutralem Papier verfasst" worden sei, heißt es nun: „Ich habe den Brief an Sie als engagiertes Gemeindemitglied verfasst, eine Beteiligung der CDU, auch wenn sie sich als christliche Partei versteht, spielt für die Gemeinde keine Rolle."

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.

© Kai-Uwe Heinrich

Am Sonntag werden nur sechs der zwölf Ältesten für eine Amtszeit von sechs Jahren neu gewählt. Die beiden Gemeindepfarrer stehen sowieso nicht zur Disposition. Dennoch sagt ein langjähriges und engagiertes Gemeindemitglied, das nicht genannt werden will: "Es war schon seit einiger Zeit schwierig bei uns, aber nun lodern die Flammen bis in den Himmel."

Der Autor arbeitet als Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin der Zeitung.

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