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Die Autorin. Linda Podszus, Schüler-Reporterin für den Zehlendorf-Blog des Tagesspiegel.

© Thilo Rückeis

Die Schüler-Reporter: Hilfe, wir ziehen nach Zehlendorf!

Es gibt viele Klischees über diesen Stadtteil. Unsere Autorin kannte sie alle: reich, langweilig, weit weg. Dann ist sie nach Zehlendorf gezogen und schreibt hier, wie es ihr ergangen ist.

„Schatz, wir ziehen ins Grüne“,  teilte meine Mutter mir freudig mit und schaute mich erwartungsvoll an. Ihre Freude konnte ich damals nicht teilen. „Ins Grüne?“ – ich konnte es nicht fassen! Unsere Wohnung war doch schön und die Lage noch besser. Direkt am Ku’damm, sehr zentral und das Wichtigste: Es waren alle Verkehrsverbindungen vorhanden, die ein Jugendlicher braucht, um glücklich zu sein. Nicht eine halbe Stunde hat es gedauert und man war am Alexanderplatz. Alle meine Freunde wohnten in der Nähe, und zur Schule brauchte ich auch nur 20 Minuten. Es war perfekt.

Vor einem Jahr überbrachte meine Mutter mir die Nachricht. Und kurze Zeit später fand der Umzug statt. Wir sollten zu Mamas Freund ziehen, der in Zehlendorf wohnt. Meine Empörung war groß, meine Laune im Keller. Meine Mutter hat sich gefreut wie ein Honigkuchenpferd, und ich war nur noch trübsinnig. Was ich bis zu der Zeit von Zehlendorf gehört hatte, hat mir nämlich gar nicht gepasst. Schlechte Verkehrsverbindungen, nachts kommt man nicht nach Hause, man muss mindestens eine Stunde Fahrzeit einplanen, die Nachbarn sind spießig, du begegnest nur alten Omis, alles ist „verbonzt“, die interessiert nur das Geld und so weiter und so fort.

Die Negativliste war lang, und meine Freunde rieben sie mir praktisch tagtäglich unter die Nase. Natürlich wollte ich nicht weg, aber ich konnte nicht mehr mit meiner Mutter verhandeln, ihre Begeisterung war zu groß. Ich sollte sogar die Schule wechseln, weil mein Weg sonst viel zu lang geworden wäre. Sie fand das toll: „Dann lernst du noch mehr neue Leute kennen, die alle bestimmt super nett sind!“

Ich dachte an die Worte meiner Freunde, die mich davor warnten, dass die Schulen in Zehlendorf viel zu schwer seien und die Mitschüler extrem von ihren Eltern verwöhnt werden. „Wer nicht mit Gucci oder Prada-Tasche zur Schule kommt, der kann auch gleich zu Hause bleiben“, lautete das Zitat einer Freundin. Wenn das alles wahr werden würde, wäre ich verloren. Doch die schlagkräftigen Argumente meiner Mutter ließen kaum Gegenwehr zu: „Ich hab endlich einen Parkplatz und muss nicht jeden Abend eine halbe Stunde nach einem suchen! Außerdem ertrage ich den Geruch der Shisha Bar nebenan nicht mehr und der Lärm jedes Mal am Wochenende, wenn man länger schlafen möchte, nervt. Unser Ausblick ist nicht schön und die neue Wohnung ist viel größer.“

Jeden Tag kamen noch neue Argumente dieser Qualität hinzu. Ich fühlte mich machtlos. Dann kam der Tag, an dem wir wegzogen. Weg aus Charlottenburg, weg von meiner geliebten Umgebung.

Und dann, nach zwei Wochen in der neuen Wohnung und spätestens nach meinem ersten Schultag – blieb das ganz große Grauen aus. Es war alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Fast alles, was mir erzählt wurde, entsprach nicht den Tatsachen.

Unsere Nachbarn waren von Anfang an sehr nett und entspannt, meine Mitschüler super freundlich, offen und auch nicht so verwöhnt, wie mir immer eingeredet wurde. Ich wurde mit offenen Armen empfangen und fühlte mich sofort richtig wohl und willkommen. Jeder war hilfsbereit, und alle versuchten, den Schulwechsel so angenehm wie möglich zu machen. Ich hatte mich bereits nach einer Woche super eingelebt. Das hätte ich niemals erwartet!

Es war ein großartiges Gefühl, sofort aufgenommen zu werden. Nicht nur die Schüler gaben sich große Mühe, sondern auch die Lehrer. Nach rund einem Monat fühlte es sich so an, als wenn ich schon Jahre lang diese Schule besuchen würde. Wie meine Mutter es vorhergesehen hatte, habe ich tatsächlich sehr viele neue Freunde gewonnen. Zwar ist das Niveau, im Vergleich zu meiner alten Schule, höher, aber es lässt sich mit einem bisschen Fleiß gut bewältigen. Und auch die Wohnung ist wirklich angenehmer und ruhiger als die alte. Im Großen und Ganzen war der Umzug für mich persönlich eine sehr positive Überraschung.

Allerdings waren nicht alle Befürchtungen falsch. Die Verkehrsanbindung ist wirklich schlecht und unzuverlässig. Nachts komme ich nicht immer mit den Öffentlichen nach Hause, sondern muss oft ein Taxi nehmen. Ohne Auto braucht man in die City mindestens eine Stunde oder auch gerne mal länger. Und auf Dauer, das sage nicht nur ich, ist es für einen Jugendlichen doch eher belastend in Zehlendorf zu wohnen. Man kann nicht überall mal eben zum Bäcker, Brötchen holen. Oder zum Supermarkt um die Ecke, um etwas zu besorgen. Für Erwachsene ist es schön, es ist ruhig und grün, und Familien mit kleineren Kindern können sich in den vielen Parks austoben.

Ich persönlich vermisse Charlottenburg, die vielen Menschen. Und der Lärm macht mir nichts aus. Für mich war die alte Umgebung ideal. Und Zehlendorf? Hat seine schönen Seiten, ist entspannend und angenehm.

Vielleicht würde ich in 20 Jahren sogar noch mal herziehen.

 Die Autorin ist 16 Jahre und geht auf das Arndt-Gymnasium in Dahlem

Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem neuen Online-Magazin des Tagesspiegels.

 

Linda Podszus

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