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Christina und Thomas Bausch (75) sind glücklich, dass sie helfen können.

© Thilo Rückeis

Ehepaar in Berlin-Zehlendorf hilft Flüchtlingen: Verantwortung übernehmen, ein ganzes Leben lang

Ranas syrische Familie konnte legal und sicher nach Deutschland reisen – weil ein Zehlendorfer Ehepaar für sie bürgt. Ab jetzt haften die Bauschs für alles, was passiert.

Als Rana sagt, dass die kleine Lilli vielleicht Fieber hat, springt Christina Bausch sofort auf, durchquert den Raum mit zwei schnellen Schritten, streicht die dunklen Haare des Mädchens beiseite und legt ihre Hände behutsam an ihre Wangen. Großmütterlich schaut die 75-Jährige durch ihre Brille zu Rana und nickt besorgt. „Wir müssen ein paar kalte Wadenwickel machen“, sagt sie, und es klingt, als würde eine Mutter zu ihrer Tochter sprechen. Doch die beiden sind nicht miteinander verwandt. Sie kennen sich erst seit sechs Monaten. Und doch sind sie längst eine Familie. Christina Bausch und ihr Mann Thomas tragen nämlich die Verantwortung für Rana und ihre fünf Verwandten. Sie haften sogar für sie. Das haben sie unterschrieben, dafür bürgen sie. Ab jetzt und ihr Leben lang.

Hier sind sie jetzt zu Hause - in Nikolassee

Es ist schon lange dunkel draußen, doch in der Wohnung von Rana und ihrer Familie ist noch einiges los. Auf dem kleinen Wohnzimmertisch in der Nähe des Nikolassees steht Kuchen. Tee wird getrunken, und alle reden durcheinander: English, Deutsch, Arabisch. Dazwischen die kleine Lilli, die gerade ein Jahr alt ist und trotz Fieber vergnügt über das Sofa krabbelt. Hier sind sie jetzt zu Hause. Sie – das sind die 35-jährige Rana mit ihrer Tochter Lilli, ihre Schwester Rahaf mit ihrem 15-jährigen Sohn Fahdi und dem zehnjährigen Leo, sowie ihre Mutter Amal.

Sie verdanken es Thomas und Christina Bausch, dass sie heute zusammen hier sind und dass für sie gesorgt wird. Denn die Bauschs sind Mitbegründer des Vereins „Flüchtlingspaten Syrien“, einer ehrenamtlichen Initiative, die die beiden 75-Jährigen zusammen mit Ulrich Karpenstein initiierten. Mehr als 100 Syrer haben sie mithilfe des Vereins auf legalem und damit sicherem Weg nach Deutschland gebracht, im Rahmen der sogenannten Landesaufnahmeprogramme. Darin heißt es, dass eine Person immer dann legal nach Deutschland geholt werden kann, wenn sich dafür ein Bürge findet, der eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet. Einmal unterschrieben haftet dieser dann für die Person, die er ins Land geholt hat. Mit allem, was er hat und besitzt, solange bis er stirbt.

Ein Risiko, das wahrlich nicht jeder auf sich nehmen kann und will. Der Verein soll deshalb helfen, die Verpflichtungsgeber zu entlasten. Das System, das es so ähnlich auch in Bonn und Hamburg gibt, ist ein simples: Ein Syrer in Deutschland bittet um Unterstützung des Vereins, dieser sucht einen Bürgen. Ist dieser gefunden, wird das Familienmitglied eingeflogen, die Kosten trägt fortan der Verein. Der Bürge haftet also zunächst einmal nur auf dem Papier.

Für die Familie von Rana begann dieser Prozess im August 2015. Ohne dass die Angehörigen in Syrien davon etwas ahnten. Denn die gebürtige Syrerin bat den Verein um Hilfe, ohne ihrer Familie Bescheid zu sagen. Zu groß wäre die Enttäuschung gewesen, hätte es nicht geklappt, sagt sie und schiebt die rote Brille auf ihrer Nase nach oben. „Ich hatte eigentlich keine Hoffnung mehr, als ich den Antrag gestellt habe“, sagt die 35-Jährige, die vor drei Jahren nach Deutschland kam.

Ein Glauben, den die Terrormiliz auslöschen will

Rana arbeitet heute an der Technischen Universität, betreut das Erasmus-Programm. Vor drei Jahren kam sie noch als Urlauberin. Doch als sich die Lage in ihrer Heimatstadt Damaskus dramatisch verschlechterte, blieb sie in Berlin. Denn nicht nur der Krieg machte ihr Angst, sondern auch, dass ihre Familie Christen sind. Ein Glauben, den die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ausrotten will.

Einige Wochen gingen ins Land, bevor die Rückmeldung kam. Es gebe da potenzielle Bürgen für ihre Familie. Kurze Zeit später trifft Rana sich mit Christina Bausch. Die beiden mögen sich auf Anhieb. Die Bauschs unterschreiben die Verpflichtungserklärung. Dann soll alles schnell gehen – dauert aber doch mehr als zwei Monate, weil die Behörden Dokumente prüfen müssen.

An einem Freitag Ende vergangenen Jahres landet die Maschine aus dem Libanon in Berlin. Ranas Familie – sie ist endlich wieder vereint. Kurz darauf erobert der IS die Gegend, in der die Familie früher lebte. Sie gehört jetzt den Extremisten, den „Mördern“, wie Rana sagt.

Hier angekommen, ziehen sie für eine Woche bei Rana ein, dann alle zusammen in eine neue Wohnung in der Nähe des Nikolassees. Gefunden und gemietet wurde sie vom Verein. Die Möbel sind von Spendern, eingerichtet wurde sie vom „Trupp“, also Ehrenamtler, erzählt Christina Bausch. Der zehnjährige Leo schaut sie zögerlich an. Dann spricht er Christina Bausch an: „Möchten Sie ...?“ Leo stockt. „Ja?“, fragt Bausch und die Augen hinter den dünn geschliffenen Brillengläsern glänzen erwartungsvoll. „Möchten Sie noch eine Tasse Tee trinken?“, fragt Leo etwas schüchtern. Kurze Stille, dann klatscht Christina Bausch, ihre Augen strahlen, sie platzt beinahe vor Stolz. Immerhin übt sie seit seiner Ankunft Deutsch mit Leo. Es ist also auch ihr Verdienst, dass der Junge nach nur zwei Monaten die Sprache bereits recht gut beherrscht. „Gut gemacht“, lobt sie. Leo lächelt, seine Wangen werden rot.

800 Euro für Erwachsene, 400 Euro für ein Kind

Die Bauschs wollen, dass die Familie in der deutschen Gesellschaft ankommt, dass sie alle irgendwann auf eigenen Beinen stehen können. In drei bis fünf Jahren ist es so weit, das seien so die Erfahrungswerte, sagt Thomas Bausch. Bis dahin kommt der Verein für den Lebensunterhalt auf. 800 Euro pro Erwachsenen, 400 Euro für ein Kind kalkulieren die „Flüchtlingspaten“ zurzeit monatlich.

Mehr als 50.000 Euro wendet der Verein jeden Monat auf, um die Kosten für all die Bürgschaften zu tragen. Bleibt etwas übrig, werden Rücklagen gebildet. „Die monatlichen Spenden reichen von zehn Euro bis zu 3000 Euro pro Monat“, berichtet Ulrich Karpenstein, Mitbegründer der „Flüchtlingspaten“. Sollten diese Einnahmen irgendwann versiegen, fiele die finanzielle Last zurück auf die privaten Verpflichtungsgeber. Sie müssten dann allein für alle Kosten aufkommen. Ein Szenario, das sich viele nicht vorstellen möchten. Doch darum macht sich Karpenstein zurzeit wenig Gedanken.

Ihn beschäftigt vielmehr die Verlängerung des Landesaufnahmeprogramms, auf dessen rechtlichen Rahmen sich der Verein stützt. In vielen Bundesländern wurde es nach kurzer Zeit wieder abgeschafft, in Niedersachsen gerade erst abgelehnt und in Bayern beispielsweise nie eingeführt. Immerhin haben Berlin und Brandenburg die Programme verlängert, seufzt Karpenstein. „Dabei liegen wir dem Staat nicht auf der Tasche, alles wird vom Verein bezahlt.“

Die aktuelle Gesetzeslage sieht lediglich vor, Kranken- und Pflegekosten von der Haftung auszunehmen. Theoretisch ein guter Schritt. Doch praktisch bedeutet das, dass die Flüchtlinge eine sogenannte Gesundheitskarte bekommen. Sie berechtigt, bei Schmerzen und im Notfall zum Arzt zu gehen. Vorbeugende Untersuchungen? Jährliche Prophylaxe beim Zahnarzt? Das geht nicht ohne eine zusätzliche Krankenversicherung. „Aber finden Sie erst mal eine Versicherung, die syrische Flüchtlingskinder freiwillig aufnimmt“, klagt Ulrich Karpenstein. Und auf die Hilfe der Behörden hofft er ohnehin nicht mehr. Zu lange kämpft er schon gegen sie an.

Und noch etwas bereitet ihm Sorgen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière vertritt die Auffassung, dass die Verpflichtungserklärung auch nach Anerkennung von Asyl gelte – und damit lebenslänglich. Karpenstein plädiert, wie unter anderem auch NRW-Innenminister Ralf Jäger, auf ein Ende nach Anerkennung des Asyls. Bisher vergebens. So bleibt das Risiko für die Bürgen ein Leben lang. „Bei einer klaren zeitlichen Begrenzung stünden hunderte neue Bürgen bereit. Aber was sind derzeit schon ein paar hundert geretteter Leben?“, fragt er zynisch.

Thomas und Christina Bausch haben dennoch die Verpflichtungserklärung unterschrieben. Trotz lebenslangem Risiko. Eine Entscheidung, die sie bisher nicht bereuen. Im Gegenteil. Sie sind glücklich, dass sie helfen können. Und Rana ist glücklich, bei ihrer Familie zu sein. „Jetzt fehlen nur noch mein Onkel, mein Vater und meine Schwester“, sagt sie. „Es ist mein Traum, dass sie alle hier sind.“

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Nils Wischmeyer

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