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Unsere Autorin möchte nicht erkannt werden; hier sieht man sie mit zwei "ihrer" Flüchtlinge. Den Menschen, die sie in ihrer Wohnung aufnimmt, hilft sie etwa auch beim Ausfüllen von Dokumenten

© privat

Ehrenamt und Flüchtlinge in Berlin-Zehlendorf: Die anderen Bewohner fühlen sich nicht mehr wohl

Seit Jahren nimmt unsere Leserin Flüchtlinge in ihrer Wohnung auf. Kürzlich zog sie sogar zu ihrem Partner, um ihre Wohnung ganz für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Hier schreibt sie, warum sich nun Widerstand formt.

Es begann damit, dass meine beiden Töchter zum Studieren ins Ausland gingen und ihre beiden Zimmer leer wurden. Da ich eine große Affinität zu Französisch habe, wurde ich 2012 "Gastfamilie" für französische Jugendliche, die ein paar Tage mit ihrer Klasse nach Berlin kamen. Zur Betreuung gehörte Frühstück machen und abends bei einem warmen Abendessen mit den (meistens drei) Schülern Deutsch zu sprechen. Das machte großen Spaß.

Irgendwann fand ich aber den Aufwand doch sehr groß und wandte mich an eine Sprachschule, an der Deutsch unterrichtet wurde und deren Schüler einige Wochen oder sogar Monate in Berlin blieben. Diese Gäste versorgten sich selbst und dennoch hatte ich Kontakt zu ihnen. Sie kamen auch aus Italien, Norwegen, Indonesien, Russland und sogar einmal aus China, was geradezu umwerfend interessant war.

Eines Tages, 2013, stand ein Herr vor meiner Tür mit drei syrischen jungen Männern und einer syrischen jungen Frau. Es war November und bereits dunkel. Mir wurde etwas unheimlich, als ich die dunklen Gestalten vor der Haustüre stehen sah. Ich sagte mir selbst, "Blödsinn, weg mit der komischen Angst". Meine ganze Wohnung wollten diese Leute gleich mieten. Ich wollte ja nur zwei Zimmer vorübergehend vergeben.

Die fünf besprachen sich kurz, und ich verstand natürlich gar nichts. Die Wahl fiel anscheinend auf den Jüngsten, der gerade mal 19 Jahre alt war. Samer blieb also, flog aber nach sechs Monaten wegen Heimwehs wieder zurück nach Syrien. Mir fiel der Abschied schwer. Wir haben heute noch ab und zu Kontakt. Danach zogen die junge Frau und einer der jungen Männern ein, die ein halbes Jahr zu vor im Dunkeln vor meiner Tür standen. Sie gehören nicht zur aktuellen Flüchtlingswelle. Sie kamen einfach als Studenten, natürlich auch, weil das Studieren in ihrem Heimatland nicht mehr ungefährlich war. Sie bezahlten die geringe Miete selbst, unterstützt von ihren Eltern. (Die Lebenshaltungskosten stiegen in Syrien durch den Krieg inzwischen so an, dass die Eltern, beides Ärzte, kein Geld mehr schicken können.)

Das war der Zeitpunkt, an dem ich "meine Zahnbürste" schnappte und zu meinem Lebenspartner zog, der zum Glück nur etwa 200 Meter weiter wohnt. So konnte ich täglich in meine Wohnung und mich auch immer erkundigen, wie es den jungen Leuten ging. Jeden Abend sprachen wir eine Weile mit einander, und ich half beim Erklären von dies und jenem, füllte Formulare aus, suchte Stipendien-Anbieter im Netz, füllte Anträge aus und formulierte Bewerbungsschreiben und Lebensläufe. Oder schrieb den einen oder anderen Brief an die Ausländerbehörde, falls Fragen zu lange nicht beantwortet wurden. Dann kam nach einigen Wochen noch eine Schwester an.

Die drei studierten Architektur bzw. Pharmazie. Sie zogen irgendwann weiter nach Kleinmachnow, wo sie mehr Platz hatten, und ein Cousin von ihnen aus Syrien zog ein; auch ein ganz besonders netter junger Mann, der hier Volkswirtschaft studiert. Ich möchte ihn gar nicht mehr gehen lassen. Aber seine ältere Schwester lebt bereits in Trier und seine jüngere Schwester kam vor ein paar Wochen mit ihrem Freund sehr abenteuerlich auch in Berlin an, möchte aber in Trier leben.

Sie hatten als Koch und als Sprachlehrerin fast ein Jahr in der Türkei gearbeitet, waren aber nicht bezahlt worden. Schlepper hatten sie mit einem Schlauchboot nach Griechenland gebracht, dort arbeiteten die beiden auch einige Monate, bis sie zwei tschechische Pässe erwerben und so von Athen nach Brüssel fliegen konnten. Von dort nahmen sie einfach den Zug nach Berlin. Für mich war es sehr aufregend, die beiden an meinem Esstisch zu haben. Ich freute mich, sie kennen zu lernen und bin nun traurig, Hasan nach Trier ziehen zu lassen.

In einem anderen Zimmer in meiner Wohnung wohnt seit Juli 2015 Omid, der über das Kirchenasyl einer Steglitzer Gemeinde zu mir kam. Er ist aus Afghanistan. Sein Zimmer wird von einer staatlichen Stelle bezahlt.

Ich weiß nicht, wann "das Boot" voll ist

Meine Wohnung liegt in einem Sechsfamilienhaus. Zu meinem großen Bedauern ist das Verhältnis zu den anderen Hausbewohnern sehr abgekühlt. Ich wurde in einer für mich sehr unangenehmen Versammlung von allen Mitbewohnern gebeten, fast gedrängt, nicht so viele verschiedene Personen aufzunehmen und nur langfristig zu vermieten z. B. an eine Person, die beim Auswärtigen Amt arbeitet. Die anderen fühlen sich nicht mehr wohl im Haus und möchten in Ruhe leben. Das kann ich gut verstehen. Mir macht dieser Konflikt viel aus, da ich das freundschaftliche Verhältnis innerhalb des Hauses sehr mochte.

Natürlich sehe, lese und höre ich die tagesaktuellen Berichte über Flüchtlinge und manches davon löst auch bei mir Ängste und Bedenken aus. Ich kann und möchte aber nicht sagen, wann "das Boot" nun voll ist oder nicht. Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich helfe, wenn jemand direkt in mein Leben tritt, und Hilfe benötigt, unabhängig davon, ob nun acht oder achthunderttausend weitere Menschen unterwegs sind.

Anne N. (Name wurde auf Wunsch geändert) wohnt in Zehlendorf-Mitte. Sie beherbergt seit Herbst 2013 bis zu drei Flüchtlinge in ihrer Wohnung. Sie arbeitet als Verwaltungsangestellte in einem Berliner Museum.

Anne N.

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