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Mehr Respekt vor Lebensmitteln, fordert nicht nur Star-Köchin Sarah Wiener.

© Doris Spiekermann-Klaass

Fehlt Zehlendorfern Respekt vor dem Essen?: Die Lebensmittel-Ignoranten

Ein opulentes Mahl, teure Lebensmittel, ein gedeckter Tisch - aber warum wird kaum davon gegessen? Unser Autor hat ein paar Beobachtungen für den Zehlendorf Blog aufgeschrieben, sie handeln von mangelndem Respekt.

Es sieht furchtbar aus auf dem Tisch. Mindestens drei bestellte Essen, zwei Kaiserschmarrn mit Kompott und eine große Salatplatte, auch Getränke, kaum angerührt, alles nur angegessen und angetrunken, aber kein Mensch mehr am Tisch, der den großen Rest noch genießen will. Dafür fangen Spatzen an, das opulente Mahl zu zerpicken und zu zerfleddern. Sie zumindest wissen noch zu schätzen, was die Küche an diesem Nachmittag  zu bieten hat.

Der Anblick vermittelt den Eindruck, die Gäste hätten nach den ersten Bissen sofort die Servietten zusammengeknüllt und fluchtartig, vielleicht gar ohne zu bezahlen, den Garten des kleinen Cafés Schlacht verlassen. Ich bin gerade zufällig in der Breisgauer Straße vorbeigekommen, als mir dieser merkwürdige Tisch so unangenehm auffällt, dass ich stehen bleibe. Schon kommt der Kellner, scheucht die Spatzen vom Tisch und fängt an, mit betrübter oder eher gleichmütiger Miene abzuräumen. Bezahlt sei alles, sagt er, aber es gebe eben Leute dieser Art, er scheint sich nicht weiter zu wundern. Gestern erst habe eine Frau immer wieder ein Frühstück aus seltsamsten Gründen zurückgehen lassen. Er hält sich mit einer weiteren Bewertung diskret zurück.

Da ich dort häufiger zu Gast bin und die Preise kenne, rechne ich angesichts der Trümmerlandschaft auf dem Tisch zusammen: Essen im Wert von gut 20, wenn nicht fast 30 Euro ist jenen Menschen, die es bestellten, nach kurzem Bissen und Schluck nichts mehr wert. Haben die jüngsten öffentlichen Kampagnen, mehr auf den Wert von Nahrung zu achten, hier überhaupt nichts gefruchtet? Mir fällt die Köchin Sarah Wiener und ihr nimmermüder Appell ein, Lebensmitteln endlich den gebührenden Respekt zu erweisen. Mir wurde er als Kind eingetrichtert, Brot kann ich nur wegwerfen, wenn es verschimmelt ist. Mich hat der Anblick des verschmähten Essens jedenfalls entsetzt, weil ich das kleine Café nach meinen Besuchen stets zufrieden verlassen habe. Ich weiß nicht, was die Leute so schnell zum Aufbruch getrieben haben mag. Das Wetter ist es nicht gewesen.

Der Autor war lange Jahre Redakteur in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegel. Er lebt in Zehlendorf.
Der Autor war lange Jahre Redakteur in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegel. Er lebt in Zehlendorf.

© Mike Wolff

Ich kann sie nicht fragen, habe sie nicht gesehen, wir müssen uns wirklich nur kurz verfehlt haben, vielleicht sind sie schnell mit einem dieser Stadtpanzer davongebraust, vielleicht kamen sie mir auch gerade erst auf der Straße entgegen. Ich möchte sie nicht unbedingt näher kennen lernen, und wenn, dann nur, um sie zu fragen, warum sie den Tisch so hinterlassen haben, und um ihnen meine Meinung zu sagen. Über die Achtung vor Lebensmitteln (selbst vor Käse, den ich nicht mag), vor Menschen, die für andere in der Küche schuften und an Tischen bedienen. Die dürften sich zu Recht verletzt fühlen, wenn ihre Leistung so demonstrativ missachtet und verschmäht wird. Vor meinen Augen habe ich ein Bild dieser merkwürdigen Gäste, aber ich will das hier nicht weiter beschreiben oder ausschmücken, weil es sich nur aus meiner subjektiven Erfahrung entwickelt hat. Ich glaube oder weiß zumindest: Diesen Leuten fehlt nicht nur das Gefühl für den weltweiten Wert von Nahrung, sondern auch der geringste Respekt vorm Geld, das hier offenbar so locker sitzt, dass es beim lässigen Herumschleudern Spuren hinterlässt, die unanständig und unansehnlich sind.

Immer wieder beobachte ich, wie Kinder in Cafés oder Restaurants selbst große Gerichte bestellen, wobei zumindest doch den anwesenden Eltern klar sein müsste, dass diese Portionen gar nicht zu schaffen sind. Und so bleibt vieles unangerührt auf den Tischen liegen.  Die viel zu großen Reste sind nicht nur fürs Personal verletzende Anblicke, die keine Rechnung, kein Trinkgeld ausgleichen kann. Im Café Lebensart an der Clayallee habe ich erst kürzlich gesehen, wie eine Mutter und ihre kleine Tochter das bestellte Essen fast ignorierten, schnell zahlten und verschwanden. Zurück blieben ein voller Tisch und viele Gäste, die mit den Köpfen schüttelten.

Der Autor hat lange Jahre als Redakteur für den Berlin-Teil des Tagesspiegels gearbeitet. Er lebt in Zehlendorf. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Christian van Lessen

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