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Großes Interesse an dem Religionen-Gespräch in Zehlendorf, die Plätze in der Kirche reichten kaum

© Anett Kirchner

Juden, Christen, Muslime diskutieren in Zehlendorf: "Ohne Religion wäre die Welt kälter!"

Im Zeichen von Krieg und Gewalt sinkt die Toleranz gegenüber anderen Religionen. In Zehlendorf wurde dagegen zum Dialog aufgerufen, es diskutierten vor großem Publikum unter anderem Rabbiner Andreas Nachama, Superintendent Johannes Krug und Imam Ferid Heider

Zu harmonisch? Geht das? Offensichtlich hat es eine Zuschauerin bei dem „Gespräch der Religionen“ kürzlich in der Kirche des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf genau so empfunden. „Wenn ich Sie hier gemeinsam sitzen sehe und reden höre, ist das nett, aber die Realität sieht anders aus“, sagte die sichtlich aufgebrachte Dame und erinnerte an die aktuellen Krisenherde weltweit. „Menschen verschiedener Religionen schlagen sich die Köpfe ein.“ Machtausübungen im Namen des Glaubens seien an der Tagesordnung. Unter anderem deshalb sei sie aus der Katholischen Kirche ausgetreten.

Die Äußerung der Frau aus dem Publikum war wohl der emotionalste und zugleich auch am meisten polarisierende Moment an diesem Abend. Einige Zuschauer im überfüllten Kirchenraum im Van-Delden-Haus an der Zehlendorfer Busseallee reagierten empört, manche nickten zustimmend, andere steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.

Die Diskussion fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zehlendorfer Impulse“ statt. Juden, Christen und Muslime waren zu einem Dialog eingeladen worden. Als Gäste auf dem Podium saßen Rabbiner Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Pfarrer Johannes Krug, Superintendent im Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf und Imam Ferid Heider, Prediger und Lehrer in mehreren muslimischen Gemeinden in Berlin.  

„Das, wovon Sie reden, ist eindeutig Machtmissbrauch“, ging Andreas Nachama auf die Zuschauerin ein. In diesem Fall werde die Religion für bestimmte Ideologien gewaltbereiter Menschen herangezogen. Es dürfe nicht der Fehler gemacht werden, diese Menschen als Repräsentanten ihrer Religion zu sehen. Mit Blick auf die aktuellen Kämpfe der IS-Milizen im Irak ergänzte Ferid Heider: „Das sind keine Muslime! Das sind Verbrecher!“

Und genau deshalb sind Religionen für viele Menschen heutzutage „verdächtig oder ein Problem“, fügte Johannes Krug hinzu und betonte: „Das ist Unsinn!“ Er verwies auf die rund 50 000 ehrenamtlichen Menschen in der Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz; wie etwa bei der Sterbebegleitung. „Ohne die Religionen wäre die Welt einige Grad kälter“, gab Krug zu bedenken.

Imam Ferid Heider, Rabbiner Andreas Nachama, Pfarrer Horst Leckner und Pfarrer Johannes Krug (v.l.n.r.).
Imam Ferid Heider, Rabbiner Andreas Nachama, Pfarrer Horst Leckner und Pfarrer Johannes Krug (v.l.n.r.).

© Anett Kirchner

Außerdem sagte er, dass sich die Mehrheit der Menschen im Gebiet der Landeskirche ohnehin keiner Religion zugehörig fühle. Christen, Juden und Muslime seien Minderheiten. „Deshalb bringt uns der Blick auf die Differenzen zwischen den Religionen auch nicht weiter“, erklärte er und schlug als Lösungsweg vor, die Wahrheitsfrage, die über allem stehe, mit einer „heiteren Gelassenheit“ zu ertragen.

Dass Juden, Christen und Muslime zusammenhalten sollten, wiederholte auch Ferid Heider mehrfach. „Wir sind uns gar nicht so fremd wie wir manchmal denken“, sagte der Imam. Er beobachte das zum Beispiel bei dem Projekt „meet2respect“, bei dem er und der Rabbiner Daniel Alter Berliner Schulklassen besuchen und von ihrem Glauben erzählen. Die Initiative „meet2respect“ hat Daniel Alter ins Leben gerufen, nachdem er vor zwei Jahren in Schöneberg wegen seiner Religion von Jugendlichen auf offener Straße beleidigt und zusammengeschlagen worden war. Ihm ist es wichtig, für Toleranz und Frieden bei jungen Leuten zu werben; gegen Antisemitismus und Islamophobie.

Die Mischung ist wichtig, um Vorurteile abzubauen

In weiten Teilen der Stadt findet sowieso inzwischen eine religiöse Durchmischung bei den Jugendlichen statt, so die Beobachtungen von Ferid Heider. „Schön wär’s“, sagte Johannes Krug und konnte das aus Zehlendorf nicht bestätigen. Der Superintendent ist Vater von vier Kindern und wohnt im Berliner Südwesten. „In der Klasse meines Sohnes gibt es nur einen muslimischen Jungen“, berichtete er. Eine Mischung sei wichtig, um Vorbehalte abzubauen.

Wo jedoch liegen die Grenzen für einen Dialog zwischen den Religionen, fragte Gastgeber Horst Leckner, Pfarrer im Evangelischen Diakonieverein? Nach kurzem Schweigen, reagierte der Rabbiner Andreas Nachama: „Die Grenze liegt dort, wo die Mehrheit der Gesellschaft kein Interesse an einem Dialog hat.“ In der heutigen, säkularisierten Welt empfänden viele Menschen Religion als störend. Ein Grund dafür sei, dass zum Beispiel bestimmte Ideologien auf die Religionen projiziert würden. „Nun müssen wir sehen, wie wir aus dieser Falle wieder herauskommen“, sagte Nachama.

„Menschen verschiedener Religionen schlagen sich die Köpfe ein.“ Die Äußerung einer Frau aus dem Publikum war wohl der emotionalste und zugleich auch am meisten polarisierende Moment an diesem Abend.
„Menschen verschiedener Religionen schlagen sich die Köpfe ein.“ Die Äußerung einer Frau aus dem Publikum war wohl der emotionalste und zugleich auch am meisten polarisierende Moment an diesem Abend.

© Anett Kirchner

Der Harmoniegedanke also, den die aufgebrachte Frau aus dem Publikum unpassend fand, war offenbar wirklich der Tenor des Gespräches. Nicht auf die Differenzen, vielmehr auf die Gemeinsamkeiten schauen und zusammenhalten – darin waren sich die Gäste auf dem Podium einig. Niemand stellte sich jedoch die Frage, ob Annäherungen auch in den Differenzen möglich wären, vielleicht um neue, weitere Gemeinsamkeiten zu schaffen?

Ebenfalls an dem Abend stellte Imam Kadir Sanci das Projekt „The house of one“ vor. Juden, Christen und Muslime wollen erstmalig weltweit in Berlin ein Haus errichten, unter dessen Dach eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee vereint sind.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt seit Januar 2014 als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf-Blog des Tagesspiegels.

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