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Anwohner und Bürger, die vermuten, dass das Bezirksamt immer mehr Ausnahmen in den Bebauungsplänen zulasse und somit die Gefahr bestehe, dass das gewachsene Bild der Villenkolonie zerstört werde. Das Amt ist da ganz anderer Ansicht und sagt: Im Gegenteil, man wolle den Bestand erhalten. Alle Personen auf dem Bild waren einverstanden mit dem Foto, wollten aber nicht namentlich genannt werden.

© Anett Kirchner

Streit um Neubau in Nikolassee: Anwohner: Villenkolonie verliert ihren Charakter

Seit Jahren wird über einen geplanten Neubau in der Lückhoffstraße in Nikolassee gestritten. Anwohner werfen dem Bezirksamt vor, es schaffe immer neue Ausnahmen, die den typischen Charakter der Villenkolonie zerstören.

Gilt gleiches Recht für alle - oder nicht? Das fragen sich Nachbarn und Anwohner eines Grundstückes in der Lückhoffstraße in Nikolassee. Es geht um einen geplanten Neubau, bei dem, so behaupten die Gegner des Baus, "diverse Auflagen nicht erfüllt" würden und der deshalb in der Nachbarschaft für Aufregung sorgt. Die Abteilung Stadtentwicklung im Bezirksamt, so lautet ein weiterer Vorwurf der Bürger, erteile hier "Ausnahmegenehmigungen" und passe den neuen Bebauungsplanentwurf für Teile von Nikolassee den Wünschen Einzelner an.

"Ein Dammbruch", finden Anwohner, die namentlich nicht genannt werden wollen. „Das kann eine Präzedenzwirkung für Investoren haben, die später hier bauen wollen“, sagen sie und befürchten, dass als Folge der historisch gewachsene, typische Charakter der Villenkolonie in Nikolassee sukzessiv verloren gehe.

Trotz des nasskalten Wetters an diesem Nachmittag Ende März, ist das Ambiente des Ortsteils spürbar. Imposante Villen, zum Teil Baudenkmale, dazwischen viel Grün mit altem Baumbestand. Die elf Anwohner, zumeist Eigentümer der umliegenden Häuser, die sich auf dem Weg zum Gespräch mit Tagesspiegel-Zehlendorf gemacht haben, sind unübersehbar aufgebracht und reden wild durcheinander. Offenbar hat sich viel angestaut. Sie wollen nicht einzeln mit Namen genannt werden. „Sonst reduziert es sich auf einen simplen Nachbarschaftsstreit“, sagen sie. Es sei aber weit mehr. Hier gehe es um die Glaubwürdigkeit des Bezirksamtes.

Der Stadtrat widerspricht den Anwohnern

Ein wesentlicher Kritikpunkt ist die Bebauungstiefe, also die maximale Länge, mit der ein Grundstück „nach hinten“ bebaut werden darf. Noch im Bebauungsplanentwurf vom Juli 2014 habe diese für das Grundstück, wie bei allen anderen, 20 Meter betragen, erzählen die Nachbarn und zeigen entsprechende amtliche Unterlagen. In der nächsten Stufe des Bebauungsplanverfahrens sei die Bebauungstiefe im September 2015 überraschend auf 44 Meter erweitert worden - mit der Angabe „auf Anregung der Bauherren“. Unrecht, finden die Anwohner.

Zudem würden hier wesentliche Teile der geltenden Erhaltungsverordnung außer Kraft gesetzt. Eine größere Bebauungstiefe könnte bedeuten, dass Gebäude auch im hinteren Teil des Grundstückes stehen dürften, dies wiederum könnte etwa den Erhalt der schützenswerten Grünflächen dort gefährden.

Die Lückhoffstraße in Nikolassee.
Die Lückhoffstraße in Nikolassee.

© Anett Kirchner

Erhaltungsverordnung? Das ist eine Vorschrift für den Erhalt und die städtebauliche Bewertung von Villen- und Landhausgebieten. Frank Mückisch (CDU), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, erklärt, dass diese seit den 1980er Jahren Bestandteil der generellen Bebauungspläne in Steglitz-Zehlendorf seien. Anhand dieser Verordnung müsse jeder Einzelfall geprüft werden. Beispiel: Kann ein Gebäude abgerissen werden, weil es den Straßenzug nicht oder nicht mehr entscheidend prägt? Ebenso bei einem Neubau gelten die jeweiligen Kriterien des Erhaltungsgebietes, damit sich dieser später in das Ortsbild einfüge. 

Mückisch widerspricht den Anwohnern. Er betont, dass bei dem aktuell geplanten Neubau auf dem Grundstück die Erhaltungsverordnung eingehalten werde. „Das Haus würde sich in den ortstypischen Villencharakter einfügen.“ Der von den Anwohnern angeführte Punkt zur Bebauungstiefe sei hingegen nicht Bestandteil der Erhaltungsverordnung. „Denn diese ist eine selbständige, planungsrechtliche Regelungsart“, erklärt der Stadtrat und ergänzt noch, dass die Bebauungstiefe hier ein besonderes Thema sei, da ein wertvoller Baum - eine alte Buche - im Vorgarten erhalten werden soll und bereits der vorhandene Altbau tiefer auf dem Grundstück stehe.

Die Lückhoffstraße ist Teil eines neuen Bebauungsplans für Nikolassee

Die endgültige Abwägung über den Neubau im Rahmen des laufenden Bebauungsplanverfahrens für dieses Grundstück sei noch nicht abgeschlossen. Eine endgültige Entscheidung sei noch nicht gefallen. Das Stadtentwicklungsamt arbeitet nämlich seit etwa drei Jahren an einem übergeordneten Bebauungsplan, der für größere Teile von Nikolassee gelten soll. Hier geht es im Kern nicht wirklich um ein neues Baugebiet, sondern darum, möglichst den Bestand zu erhalten, in diesem Fall: den Bestand des historisch gewachsenen Villenviertels. Die Lückhoffstraße ist Teil dieses allgemeinen Bebauungsplans. Bis Ende des Jahres soll dieser voraussichtlich fertig gestellt sein, heißt es. Damit schwebt dieser neue Plan, der neues Recht schafft, über dem geplanten Neubau auf dem Grundstück.

Es ist also keineswegs sicher, dass es so gebaut werden kann, wie die Eigentümer es gerne hätten.

Den Anwohnern fällt es wiederum schwer, diesen Argumenten zu glauben. „Irgendetwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu“, meinen sie. Bereits mehrfach hätten sie das Gespräch sowohl mit den Grundstückseigentümern als auch mit dem Bezirksamt gesucht. Die Antworten seien jeweils gewesen, dass alle Vorschriften eingehalten würden. Nun befürchten sie, hier könne eine Eigentumswohnanlage mit bis zu sechs Parteien entstehen. Denn in der neuesten Fassung des Bebauungsplanentwurfes vom Februar 2016, der kürzlich öffentlich ausgelegt war, gebe es eine weitere Ausnahmegenehmigung für das Grundstück: „Die nun dort Geschosswohnungsbau möglich macht.“ Normalerweise seien hier aber nur Einfamilien- oder Doppelhäuser erlaubt.

Mückisch dagegen sagt, dass ihm die Planung einer solchen Wohnanlage nicht bekannt sei. Der private Bauherr plane eine zweigeschossige Villa mit einem Mansarddach sowie einen eingeschossigen Anbau mit Walmdach. Der Neubau soll als Zwei- oder Dreifamilienhaus genutzt werden. Bis Herbst gelte für dieses Grundstück noch eine Veränderungssperre, die 2013 aufgrund eines vorherigen Neubauantrages erlassen worden war, der die Kriterien des Erhaltungsgebietes nicht erfüllt habe.

Der ehemalige Stadtrat für Stadtentwicklung Norbert Schmidt (CDU), links im Bild, und sein Nachfolger Frank Mückisch (CDU).
Der ehemalige Stadtrat für Stadtentwicklung Norbert Schmidt (CDU), links im Bild, und sein Nachfolger Frank Mückisch (CDU).

© Anett Kirchner

Der Konflikt ist demnach nicht neu und zieht sich offenbar seit Jahren hin. Die privaten Grundstückseigentümer und Bauherren, die hier namentlich nicht genannt werden möchten, machen einen mindestens genauso aufgebrachten Eindruck wie die Anwohner. Sie haben das Gefühl, dass sich einige Nachbarn mit ihnen „auf dem Kriegspfad“ befänden. „Neue“ seien hier wohl unerwünscht.

Im Jahr 2009 haben die Eigentümer das Haus mit dem Grundstück gekauft. Nach dem Auszug des damaligen Mieters Ende 2010 sei es im Winter durch den Ausfall einer Heizungspumpe zu Frostschäden gekommen, berichten sie. Diese enormen Schäden und die Tatsache, dass der Vorbesitzer 30 Jahre kaum in das Haus investiert habe, hätten nach Einholen fachkundiger Meinungen zu dem Schluss geführt, dass eine Sanierung im Vergleich zu einem Neubau unwirtschaftlich sei.

Ihr erster Entwurf eines modernen Neubaus sei nicht genehmigt worden, obwohl die Bereiche Stadtentwicklung und Denkmalschutz zunächst einverstanden gewesen seien. Ihre Nachbarn hätten einiges unternommen, um den Bau zu verhindern. „Sie verteilten zum Beispiel ein Flugblatt mit einer überdimensionierten Visualisierung des geplanten Neubaus und riefen zu einer Demo auf“, erinnern sie sich.

Historisch gewachsene Villenkolonie.
Historisch gewachsene Villenkolonie.

© Anett Kirchner

Weil sie grundsätzlich kompromissbereit seien, hätten sie ein weiteres Mal viel Geld für eine neue Planung in die Hand genommen. Entstanden sei der Entwurf einer klassischen Villa nach den Vorgaben und Gestaltungsanforderungen des Bebauungsplanentwurfes. Hierbei würden zum Beispiel die Abstände von fünf Metern zu den Nachbarn eingehalten, der Anbau sei verkürzt und geschmälert und die Abfahrt zur Garage verlegt worden. Übrigens, so sagen die Bauherren, auch einige Nachbarhäuser entsprächen nicht der „Norm“: Gebäude in der Lückhoffstraße. Eines sei mehr als 40 Meter lang, andere hätten drei Geschosse. Ein homogenes Ortsbild in Nikolassee existiere demnach gar nicht.

„Wir haben viele Wünsche der Nachbarn umgesetzt, aber trotzdem gibt es leider nun wieder Proteste“, sagen die Eigentümer. Aufgeben wollen sie nicht. Irgendwen störe immer etwas. Ihr Fazit: „In Berlin wird begrüßt, dass die Stadt wächst, sich verändert und lebendig ist, aber wohl nur als Nimby: not in my backyard.“

Der Text erscheint auf Tagesspiegel-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteilportal aus dem Südwesten.

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