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Schüler und Elternvertreter vor der Sitzung der Bezirksverordneten im Juni in Zehlendorf.

© Alexandra Friz

Zehlendorfer Schulstreit: 10 000 neue Einwohner, keine Schule: Eltern kämpfen in BVV - Bezirkspolitiker schweigen

Die Eltern von zwei Zehlendorfer Schulen haben es geschafft, ihr Anliegen per Einwohnerantrag in die Bezirksverordnetenversammlung zu bringen. Es geht um die merkwürdige Schulpolitik des Bezirksamts. Die anwesenden Verordneten aber schwiegen.

Sie war wieder nicht da, um persönlich Antworten zu geben. Steglitz-Zehlendorfs Bildungsstadträtin Cerstin Richter-Kotowski von der CDU weilte bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwoch bereits im Urlaub und ließ sich von ihrer Kollegin, Jugendstadträtin Christa Markl-Vieto (Grüne) vertreten. Im Grunde ist das auch völlig normal und keiner Erwähnung wert, allerdings hat die CDU-Bezirkspolitikerin bisher keine glückliche Figur gemacht, wenn es um die Interessen der Eltern der beiden Schulen Biesalski und Quentin-Blake-Europaschule geht, auf deren Gelände ab 2014 ein Regelschulzweig angesiedelt werden soll, ohne dass Neubauten oder Erweiterungsbauten geplant wären. Schon an dem Tag, als die Unterschriften für den Einwohnerantrag abgegeben wurden, hatte sich die Stadträtin der kleinen Demonstration vor dem Rathaus und möglichen Fragen entzogen, obwohl sie im Gebäude war.

Immerhin ließ Richter-Kotowski die Beteiligten wissen, dass sie sich "über das Engagement der Eltern" freue. So kann man es in der Tat auch sehen, denn was am gestrigen Mittwoch in der BVV passiert ist, ist ein gutes Beispiel dafür, wie es Bürger schaffen können, mit eigenem Engagement ein Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Denn wenn die Elternvertreter der beiden betroffenen Schulen nicht gehandelt und in kürzester Zeit 3448 Unterschriften gesammelt hätten, dann wäre die "Hinhalte-Taktik des Bezirks", wie es eine Elternvertreterin ausdrückte, aufgegangen.

Tatsächlich ist die Geschichte nicht deswegen schon ein Skandal, weil der Bezirk versucht, einen Notstand an Grundschulplätzen zu beheben, sondern die Geschichte wird erst dadurch Sinnbild für bürgerfernes Regieren, weil die schwarz-grüne Zählgemeinschaft im Bezirksamt diesen Versuch im Alleingang durchziehen wollte, ohne dabei offenbar die Realitäten im Blick zu haben. Und schon gar nicht die Interessen der Bürger.

Jens Rolff (li.), einer der Vertrauenspersonen der Unterzeichner des Einwohnerantrags, die auf der BVV am Mittwoch geredet haben.
Jens Rolff (li.), einer der Vertrauenspersonen der Unterzeichner des Einwohnerantrags, die auf der BVV am Mittwoch geredet haben.

© Alexandra Friz

Kennt man den Hintergrund, ist die Eltern-Empörung verständlicher: In Zehlendorf werden rund um die Truman-Plaza und den U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim mehrere hochwertige neue Siedlungen gebaut: Fünf Morgen, Metropolitan Gardens, Dahlem Paradise und das Parkviertel Dahlem. Experten gehen von über 10000 Bewohnern aus. Allerdings hat der Bezirk nie in Erwägung gezogen, eine neue Schule zu bauen.

In Aussagen, die dem Zehlendorf Blog vorliegen, haben verschiedene Bezirkspolitiker, unter anderen Cerstin Richter-Kotowski, darauf verwiesen, dass es sich im Großen und Ganzen um ältere Bewohnern handeln werde, die da kämen. Die Elternvertreter der Quentin-Blake-Europaschule, wie etwa Jens Rolff, Biologie-Professor an der Freien Universität, sagen dagegen: "Die Investoren haben selbst Planungen für Kindertagesstätten erfüllen müssen, ich frage also, ob es ältere Bewohner sind, die dort einzuziehen oder nicht doch Familien, die ihre Kinder erst in die vom Bezirk ja erwünschte Kita und dann in die Schule schicken wollen."

Rolff gehört zu jenen, denen vor allem die Art und Weise missfällt, wie die Zehlendorfer Bezirkspolitiker mit den Betroffenen reden. Sie würden immer versuchen, nicht konkret zu sein oder darauf spekulieren, einen Wissensvorsprung ausnutzen zu können. Allerdings werde ein bestimmter Kenntnisstand auch einfach dargestellt, ohne dass dieser unbedingt den Tatsachen entspreche. Die beiden Schulen sind ohnehin in einer schwierigen Situation, weil beide Schulleiter-Stellen seit einiger Zeit vakant sind. Der Verdacht mancher Eltern lautet deshalb: "Richter-Kotowski wollte die Lage der Schulen ausnutzen, um ihre Pläne durchzubringen."

Warten auf den Beginn der BVV-Sitzung, auf der der Einwohnerantrag, den die Eltern der beiden Schulen mit ihrem Einsatz ermöglicht haben, diskutiert wurde.
Warten auf den Beginn der BVV-Sitzung, auf der der Einwohnerantrag, den die Eltern der beiden Schulen mit ihrem Einsatz ermöglicht haben, diskutiert wurde.

© Alexandra Fiz

Am Mittwoch ließ sie ihre Vertreterin auch einen erstaunlich klaren und völlig unmissverständlichen Satz ausrichten: "Wir brauchen diesen Regelzug, um Schüler unterzubringen." Es ist nämlich so, das hat die Stadträtin nach Aussage der Elternvertreter selbst formuliert, dass andere Grundschulen, wie etwas die Erich-Kästner-Schule und demnächst auch die Zinnowald-Grundschule an ihren Kapazitätsgrenzen gestoßen seien. Der Regelschulzweig auf dem Gelände von Quentin-Blake und Biesalski würde deshalb nicht einmal zu den Schulen selbst gehören - sondern zu anderen.

Das wiederum ist organisatorisch eine, charmant gesagt, große Herausforderung. Die GEV-Vorsitzende der Biesalski-Schule, Gudrun Streit, die dieses Amt seit neun Jahren inne hat, hat dazu in der BVV einiges gesagt. Sie hat gefragt, wo denn die Kinder in der Hort gehen sollen, welche Mensa sie benutzen sollen, es gibt nämlich keine, und wie die vielen Rollstuhlfahrer mit dem dann knapper werdenden Platz klar kommen sollen. Offenbar hat sich bisher niemand darüber Gedanken gemacht im Bezirksamt.

Ein, wie manche Eltern finden, "besonders zynisches Argument", ist das der angeblich schrumpfenden Schule. Wegen der Inklusionspolitik des Senats, hieß es als Entschuldigung für die Biesalski-Schule, würden die Schülerzahlen dort sinken. Aber bisher ist das Gegenteil der Fall, weil das Inklusions-Vorhaben mangels Personal, Geld und Platz an anderen Schulen gescheitert oder noch gar nicht in Angriff genommen worden ist.

Elternprotest und Schülerdemo:
Elternprotest und Schülerdemo: Die Platznot brachte schon im Jahr 2013 Kinder und Eltern der Biesalski- und der Quention-Blake-Europaschule auf die Straße.

© Roland Münter, www.leibfotografen.de

Die Biesalski-Schule ist seit Jahren eine Integrationsschule, sie arbeitet mit motorisch behinderten Kindern und geistig behinderten Kindern, mit an Krebs erkrankten Kindern, nonverbalen Kindern oder auch Kindern, die sterben müssen. Der Bezirk hat es bis heute nicht geschafft, trotz der jahrelangen Vorkenntnis der Bauvorhaben, einen sinnvollen Vorschlag für die Schul-Situation zu machen. Auch das Argument, es kämen zu viele Schüler aus anderen Bezirken, finden die Eltern eher "kleinkariert" und "falsch". An der Quentin-Blake - einer Europa-Schule - seien 75 Prozent der Kinder aus Steglitz-Zehlendorf, und dass die Biesalski-Schule aufgrund ihrer speziellen Ausrichtung Kinder von überall her hat, sei doch selbstverständlich.

Am Mittwoch sind die Elternvertreter nicht auf die Barrikaden gegangen, sondern haben sehr klug Kompromisse formuliert. Gudrun Streit und Jens Rolff betonten, dass die Schulen keineswegs grundsätzlich einen Regelschulzweig mit 150 Kindern ablehnen würden, aber der könne eben nur dann kommen, wenn bauliche Maßnahmen umgesetzt werden. Die Eltern arbeiten bereits mit anerkannten Architekten zusammen und würden sich selbst auf Provisorien einlassen. Eine räumliche Erweiterung könnte beide Schulen in die Lage versetzen, ihre Zukunft selbst zu gestalten, für eine Europa-Schule ist ohnehin der Bedarf groß, und für eine Schule, die etwas von Inklusion versteht, allemal.

90 Pädagogen, aber kein Lehrerzimmer

Unverständlich ist den Eltern auch, dass die Bildungsstadträtin offenbar seit über einem Jahr keine Gespräche mit den Investoren geführt hat, die für die dortigen Bauvorhaben verantwortlich sind. Einige von ihnen haben Gesprächsbereitschaft signalisiert, allerdings will das niemand offen sagen. Beim Groß-Investor Stofanel sieht man den Bezirk in der Pflicht, denn man selbst habe seine Auflagen erfüllt, etwa im Hinblick auf den Bau einer Kita. Auch bei anderen Investoren ist die Bereitschaft erst einmal gering, für solche Bauten selbst Geld zu geben, allerdings, das betonen alle, hätte man sich gewünscht, dass der Bezirk hier mit offenen Karten spielt.

Ein hoher Manager eines der Bauprojekte sagte dem Zehlendorf Blog, dass er eine neue Schule für sehr sinnvoll halte, aber diese Ansicht werde der Investor so nicht selbst öffentlich formulieren. In dem Einwohnerantrag vom Mittwoch in der BVV heißt es: "Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen..., das Bezirksamt zu ersuchen, umgehend für zusätzliche Grundschul-Raumkapazitäten im Bereich um die Truman Plaza zu sorgen." In der Begründung heißt es unter anderem: "Die anerkannten pädagogischen Konzepte der ansässigen Biesalski-Schule und der Quentin-Blake-Europa-Schule sind aber nicht mehr durchzuführen, wenn zehn Räume... in Anspruch genommen werden." Die Biesalski-Schule hat für 90 angestellte Lehrer, Erzieher und Pädagogen nicht einmal einen eigenes Lehrerzimmer.

Von den anwesenden Bezirksverordneten wollte am Mittwoch niemand ans Mikrofon treten, um Stellung zu beziehen. Wie es bei solchen Anträgen üblich ist, hatte man bereits zuvor beschlossen, den Antrag in den Schulausschuss zu überweisen. Im Herbst 2012 waren übrigens nach Informationen des Zehlendorf Blogs die Pläne des Bezirksamts schon soweit gediehen, dass beinahe bereits in Räumen Trennwände eingezogen worden wären. Die Schulen wussten davon, aber sie waren nicht in der Lage, sich zu wehren. Das haben nun die Eltern in die Hand genommen.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin dieser Zeitung.

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