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Waris Dirie, ehemaliges Model aus Somalia und Menschenrechtsaktivistin, bei der Eröffnung eines Centers für Opfer von Genitalverstümmelungen in Berlin.

© dpa

Klinik für genitalverstümmelte Frauen in Zehlendorf eröffnet: Waris Dirie: "Beschneidung ist Folter und Verbrechen"

Mit einer emotionalen Rede hat das aus Somalia stammende Top-Model Waris Dirie das europaweit erste Medizinzentrum für genitalverstümmelte Frauen im Waldfriede-Krankenhaus in Berlin-Zehlendorf eröffnet: Der Zehlendorf Blog war vor Ort dabei.

Die Vorführung ist zu Ende, ein kleiner Ausschnitt nur aus „Wüstenblume“, die Verfilmung des autobiografischen Buches von Waris Dirie. Die entscheidende Szene, die grausamste, für das Topmodel im Film wie in der Realität „der Tag, der mein Leben veränderte“: die Beschneidung als dreijähriges Mädchen, irgendwo in den Wüsteneien Somalias.

In der Dramaturgie dieses Mittwochabends im vollbesetzten Vortragssaal des Krankenhauses Waldfriede ist das der Moment, in dem die Autorin das Wort ergreifen soll – der Höhepunkt einer durch den Anlass doch gar nicht glamourösen Feier, der Eröffnung des „Desert Flower Center“ in der Klinik an der Argentinischen Allee. Hier soll Frauen, die von genitaler Verstümmelung betroffen sind, geholfen werden, ganzheitlich, gemeinsam durch Ärzte, Seelsorger, Sozialarbeiter, Psychologen und Selbsthilfegruppen.

Langsam erhebt sich Waris Dirie, UN-Sonderbotschafterin, erfahren in solchen Auftritten. Auch den Film hat sie bestimmt viele Male gesehen, präsentierte ihn 2009 bei der Premiere in Berlin. Dennoch: Jetzt kann sie nicht weiter, steht hinter dem Pult, tupft die erste Träne ab, bittet um Geduld – und sinkt leise weinend im Hintergrund der Bühne zusammen.

Evelyn Brenda geht zu ihr, in Darmstadt lebende Kenianerin, der in ihrer Heimat das gleiche Schicksal gedroht hatte, doch ihr Vater lehnte die Beschneidung ab – etwas, wofür sie ihm unendlich dankbar ist, wie die gegen Beschneidung und Zwangsehe engagierte Frau vor dem Film ebenso temperamentvoll wie die Herzen gewinnend erzählt hatte. Nun tröstet sie, greift sich wieder das Mikrofon, spricht erneut über die Leiden der zig Millionen beschnittenen Frauen, schafft Raum für Waris Dirie, sich zu sammeln.

Das gelingt nur mühsam, stammelnd fast beginnt sie, die Erinnerung hat sie wieder einmal gepackt, obwohl sie doch, wie sie dann irgendwie hervorstößt, schon so oft beschlossen hatte, die Beschneidung, den Schmerz, die Verzweiflung hinter sich zu lassen. Fast bricht ihre Rede nun aus ihr heraus, Augenblicksaufnahmen ihres Kampfes gegen die Verstümmelung, die nicht „Kultur, Religion oder Tradition“ sei, sondern „Folter und Verbrechen“. Dieses Urteil hatte auf der Einladungskarte gestanden, Klinikdirektor Bernd Quoß hatte es in der Begrüßung zitiert, und so ähnlich sagt sie es auch jetzt, zusehends gefasster, energischer, und so mündet die Rede in ein optimistisches Bekenntnis, wie glücklich sie sei, hier zu stehen und Träume in Erfüllung gehen zu sehen. Großer Beifall, Standing Ovations.

Deutlicher kann man nicht werden, um das maßlose Leid erfahrbar zu machen, das die grausamen Rituale der Tradition besonders in Afrika, aber nicht nur dort, verursachen. Aber man kann es zeigen, in schockierenden Dia-Serien von verstümmelten Frauen und rekonstruierenden Operationen, wie sie der Pariser Chirurg Pierre Foldès schon tausendfach vollzogen hat und nun erläutert – Hoffnung dank Skalpell. Später wird auf dem Podium diskutiert, moderiert von Tagesspiegel-Redakteur Armin Lehmann. Und es gibt weitere Grußworte, auch Sir Simon Rattle hat eines vorbereitet.

In den Krankenzimmern schlafen sie jetzt wohl schon; besonders zwei Frauen ist das zu wünschen, aus Dschibuti die eine, aus Äthiopien die andere. Sie sind die ersten Patientinnen des „Desert Flower Center“. Heute sollen sie operiert werden.

Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels. Das Waldfriede-Krankenhaus gehört zu den Premium-Partnern des Blogs.

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