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Beim Überqueren einer Straße orientieren sich Sehbehinderte an Verkehrsgeräuschen und Stimmen. Nur selten helfen Mitmenschen auch mal

© Tagesspiegel

Vom Alltag einer Sehbehinderten: Was Stille mit mir macht

Geräusche helfen Sehbehinderten bei der Orientierung. Umso schlimmer, wenn die Geräusche plötzlich verstummen. Unsere Autorin ist selbst sehbehindert und schildert für den Zehlendorf Blog ihren Alltag..

Für mich als sehbehinderter Mensch sind Geräusche lebenswichtig. Vor allem menschliche Stimmen gehören dazu. Sie helfen mir bei der Orientierung. Durch ein Gespräch zweier Personen in einem Einkaufsladen, zum Beispiel bei den Kühltruhen, kann ich etwas über den Inhalt der Truhen oder sogar über Angebote erfahren.

Stürme wie in den Januartagen oder Stille machen hingegen Angst. Da kann ich nichts Sachdienliches hören. Fahrende Autos weisen mir auf dem Gehweg den Weg. Abfahrende Autos an der Kreuzung sagen mir, wer gerade laufen kann, wer also grün hat. Doch immer wieder wird es still. Die Blinde ist gleich mit dem Bezahlen dran. Stille. Die Blinde kommt auf die Straßenecke zu. Stille. Passanten, vorher in ein Gespräch vertieft, schweigen plötzlich. Eltern tratschen vor der Schule, mitten auf dem Gehweg. Wie von Geisterhand sind sie weg. Stille und das einzige was mir in den Sinn kommt: sie gaffen. Sie schauen mir zu, wie ich klar komme oder eben nicht. Ich empfinde diese Stille als unerträglich, als falsch und gemein. Sie tut weh.

Die "bösen" Blinden

Es gab Zeiten, in denen mir diese Menschen leid taten, wo ich Verständnis aufbrachte. Heute ist es nicht mehr so, denn ich wohne hier in Lichterfelde schon einige Jahre. Ich glaube, ich kann behaupten, dass ich zum Straßenbild gehöre, wie die Bäume, die Häuser und manche Autos. Ich bin zu hören mit meinem Langstock und ich bin zu sehen mit meinem großen Blindenführhund. Trotzdem reagieren einige Menschen weiterhin so. Ich frage mich, warum?

Kathrin Backhaus lebt seit Jahren mit ihrer Sehbehinderung und war immer wieder enttäuscht über die Reaktionen von einigen Mitmenschen. Jetzt ist es anders.

© Anett Kirchner

In den Schulen wird im Unterricht von Blinden berichtet und darüber aufgeklärt. Kinder rauschen jedoch oftmals mit Fahrrädern auf den Gehwegen an mir vorbei, streifen mich am Arm, bremsen scharf. Eltern, nicht alle, aber ich habe es leider schon mehrfach erlebt, reden über die "bösen" Blinden, wenn ich an ihnen vorbeigehe. Von Berührungsängsten sind diese Menschen weit weg, denke ich. Nein, sie tun es nicht aus Angst, aber sie machen mir Angst. Selbst in dem Geschäft, wo ich fast jeden zweiten Tag bin, gibt es diese Menschen. Die Kassierer kennen mich inzwischen, wir flachsen herum, lachen, machen Witze, während ich das Gefühl habe, dass sich in meine linke Seite die Blicke der "Gaffer" bohren. Na! Schafft sie es denn endlich? Wie jetzt? Zahlt die auch noch mit Karte?

"Welche Marmelade suchen Sie denn?"

Zu bestimmten Zeiten meide ich deshalb bestimmte Straßenzüge, unter anderem auch zu den Schulwegzeiten morgens und nachmittags. Zu sehr haben mich diese Erfahrungen verärgert und verletzt. Umso mehr genieße ich die lieben Zurufe derer, die mich anders und auf bestimmte Weise richtig wahrnehmen. Das sind die, die zum Beispiel ein "Sie können jetzt loslaufen!" fröhlich schmettern oder die, die mich während ihres eigenen Einkaufes fragen: "Welche Marmelade suchen Sie denn?" Darüber freue ich mich und es hilft mir, dass ich jeden Tag aufs Neue hinausgehe und weiterhin die Hoffnung habe, dass sich eines Tages auch die anderen Menschen noch verändern.

Autoreninfo: Ein ausführliches Porträt zu unserer Autorin finden Sie auf dem Zehlendorf Blog. Kathrin Backhaus ist sehbehindert, lebt in Lichterfelde und engagiert sich unter anderem im Beirat für Menschen mit Behinderung.

Kathrin Backhaus

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