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Frühmorgens stehen die Anwohner Schlange am Stand der Krügers

© Raack

25 Jahre Gemüsestand Krüger in Zehlendorf: Nicht nur "Kraut und Rüben"

Sie haben keine Website, wiegen alles noch mit alten Apothekergewichten - und verwenden keine Pestizide oder Düngemittel. So manches scheint beim Gemüsestand von Familie Krüger aus der Zeit gefallen. Trotzdem - oder vielleicht genau deshalb läuft der "Laden" seit 25 Jahren.

Sie sagt Sätze wie: „Erst wenn es regnet, wird es anstrengend. Denn dann wird es hier ganz schön laut.“ Oder „Im Winter können wir auch mal ausschlafen. Also bis 5.30, vielleicht auch mal 6 Uhr.“

Jeannine Krüger und ihr Mann Olaf sind Arbeit gewöhnt. Und ihre Arbeit macht ihnen sichtlich Freude: "Hallo Frau Helbig“, einen Gruß hier, ein Späßchen nach da - die Krügers haben rosige Gesichter, blanke Augen und für jeden ein Lächeln. Ein echtes, kein verbindliches Verkäuferlächeln. Sie haben das auch gar nicht nötig, das "sich Verkaufen".

Freitag morgen, kurz vor acht. Hausfrauen mit Korb am Arm oder Kind am Rockzipfel stehen neben Herren im Anzug oder einer Jaguarfahrerin im Kostüm. „Der größte Ansturm ist immer gegen 7.30 und 8 Uhr", sagt Frau Krüger. "Viele kommen mit zerknittertem Gesicht und noch halb im Schlafanzug - Hauptsache: erstmal alles eingekauft, was sie zum Frühstück noch brauchen. Gegen 10 Uhr ist dann oft schon fast alles weg.“ So geht das jeden Montag, Mittwoch und Freitag von Mai bis Oktober: die Leute stehen Schlange an Krügers Stand an der Clayallee Ecke Winfriedstraße. Von 6.30 bis 11.30 Uhr verkaufen die Krügers hier alles, was ihr ein Hektar großer Garten hergibt: Pflaumenmarmelade, Kohlrabi, Kartoffeln, Pfefferminze und Basilikum, Äpfel und Heidelbeeren.

Für die Krügers heißt das: Jeden Montag, Mittwoch und Freitag um 3.30 aufstehen, dann ernten, abwiegen, abpacken und um 4.50 Uhr ist Abfahrt in Werder.

Am Ziel an der Clayallee heißt es dann - gerade freitags, wenn viele Zehlendorfer ihre Wochenendeinkäufe erledigen - schnell zupacken, knappe Anweisungen fliegen hin und her, jeder Handgriff sitzt. Man muss sich lange kennen, um seine Bewegung wie ein Zahnrad in die Bewegung des anderen einzurasten. Jetzt um kurz vor acht ist die Schlange noch immer lang, der Transporter noch halb voll. Autos halten in zweiter Reihe, eine ältere Kundin steigt aus einem Kleinwagen, etwas atemlos. Jeannine Krüger begrüßt sie trocken: „Heute etwas später dran?“, während sich die Kundin schon über Marmeladengläser, Eierkartons und Obstschalen beugt.

"Gießen und sauber halten"

Was die Verpackungen angeht, gibt es an Krügers Stand ein eigenes Recyclingsystem. "Die muss man doch nicht wegschmeißen und jedes Mal neu kaufen. Auch die Blumen- und Spargelbändchen bringen manche wieder mit, die verwenden wir dann auch wieder." Früher selbstverständlich, heute etwas besonderes - und gerade darum scheinen sich die Zehlendorfer um Krügers Obst und Gemüse zu reißen. Denn in mancherlei Hinsicht scheint Krügers Marktstand ein wenig aus der Zeit gefallen, und hätte wohl unter anderen Umständen auf dem freien Markt wenig Chancen: Es gibt keine Website, alles wird mit alten Apothekergewichten abgewogen und es gibt die Möglichkeit, anschreiben zu lassen: "Wenn es jemand mal nicht rechtzeitig zur Bank geschafft hat oder doch mehr mitnehmen möchte, als der Geldbeutel hergibt, dann zahlt derjenige eben beim nächsten Mal“, sagt Jeannine Krüger.

Aber für viele Kunden das Entscheidende: Die Krügers verwenden keinerlei Pestizide oder Düngemittel. "Das Wichtigste ist: Gießen und sauber halten. Das Unkraut nimmt nur die Kraft weg", weiß Frau Krüger.

Manche Kunden sind den Krügers schon seit 25 Jahren treu. „Zu Weihnachten bekommen wir auch mal eine Weihnachtskarte. Und im April dann schreiben uns Kunden auch schon an per SMS, wann wir denn wieder kommen. Oder sie fragen auf Whatsapp, was wir denn mitbringen.“ Die meisten ihrer Kunden sind den Krügers mit Namen bekannt, "auch die Familiengeschichte oder Krankheitsgeschichten kennen wir meistens. Und die Kinder von damals kommen jetzt selbst als Erwachsene mit eigenen Kindern."

Eine Kundin mit Kind im Buggy kauft gerade Tomaten und Pflaumen und sagt: „Mir ist es wichtig, meine Familie gesund zu ernähren. Und hier weiß man, es ist unbelastet.“ Eine andere Kundin kommt seit drei Jahren einmal pro Woche mit ihrem Korb, heute hat sie einige Obstschälchen darin, die wird sie gegen neue, volle eintauschen. „Ich möchte Verpackungen ungern wegwerfen, wenn ich an die ganze Energie denke, die die Produktion gekostet hat. Und aus China möchte ich auch nichts kaufen, das ist doch alles gespritzt ohne Ende.“

Ein Kunde im Anzug hat gerade zwei Bund bunte Wiesenblumen gekauft: „Das ist hier fast ein bisschen Italien für mich. In meinen Italienurlaub im Sommer kaufe ich auch immer auf dem Markt ein. Und hier weiß ich sogar, woher das Gemüse kommt.“

Frühmorgens biegt sich der Tisch unter all den Knollen und Obstsorten
Frühmorgens biegt sich der Tisch unter all den Knollen und Obstsorten

© Raack

Der Tagesspiegel Zehlendorf hakt nach, ob das wirklich funktioniert: so ganz ohne zu spritzen. Natürlich käme es schon mal vor, dass ein paar Salatköpfe abgefressen werden, sagt Frau Krüger. "Aber wir sind ja sehr vielseitig aufgestellt, das ist dann nicht so schlimm bei all unserem Obst und den Gurken und Kartoffeln, Kohlrabi, Kürbis und Zierblumen auf unserem Grund." Aber die tage- und wochenlange Hitzewelle bis Mitte August hat sich auch im Garten der Familie Krüger ausgewirkt: „Die Landgurken haben fast überall Sonnenbrand, wir haben nur einen Rest, der im Schatten war. Die Kürbisse konnten wir auch nicht genug gießen, die sind dieses Jahr kleiner als sonst. Und beim Salat ist fast die Hälfte eingegangen. Wenigstens konnten die Äpfel gerettet werden, die wären sonst auch noch alle runtergekommen.“

Hände wie eine Landkarte

Früher arbeitete Frau Krüger mehr als sechs Jahre bei der Bahn. Als sie dann heiratete und die Kinder kamen, wollte sie nicht mehr im Schichtsystem arbeiten. „Ich habe Mutti ja schon immer an ihrem Stand hier geholfen. Und als ihr Partner Bruno starb, mussten wir ran. Bruno hatte in der DDR eine Sammelstelle, da gab es Erdbeeren und Gemüse, es gab ja damals nichts. Daraus hatte sich Muttis Gemüsestand entwickelt.“ "Mutti" heißt Heidi Körner und arbeitet auch heute meistens freitags noch mit - auch wenn Tochter Jeannine inzwischen mit ihrem Mann Olaf den Stand übernommen hat.

Auch Olaf Krüger kommt ursprünglich aus einem anderen Metier: Er war Kraftfahrer. Vermisst hat er seinen alten Job nie. „Seitdem ich hier arbeite, bin ich nicht mehr krank“, sagt er lächelnd, „und mein Rücken dankt es mir auch.“ Die beiden Töchter machen auch mit - wenn die Eltern sie fragen. "Aber eigentlich interessieren sie sich eher für andere Sachen – wohl vor allem deshalb" - Frau Krüger zeigt ihre Hände: „Das hier geht nicht ab.“ Ihre Hände sind von dunkelbraunen Rissen durchzogen wie eine Landkarte. Schnell lässt sie sie hinter dem Rücken verschwinden und meint: „Es muss einem auch Spaß machen.“ 

Um 11.30 packen die Krügers dann alles ein und sind gegen halb eins zu Hause. Dort heißt es dann, den Transporter ausräumen. „Nach dem Mittagessen geht es schon wieder raus, in die Kräuter oder es muss gepflanzt und Unkraut gejätet werden, wir müssen wässern, die Sprenger laufen.“ Es sei eben so, das man weniger Zeit hat im Sommer. "Im Winter kann man sich dann auch mal was einteilen. Dann kommen im Garten auch Bäume und trockene Äste raus. Und wir treffen uns mit Freunden und genießen unser Haus. Denn im Sommer sind wir ja nur draußen und unterwegs.“

Um 21h ist jedenfalls Schluss, sagt Frau Krüger, "da leg ich mich hin und schlafe.“

Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint. Folgen Sie Maike Edda Raack auch auf Twitter.

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