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Graffiti kann, genau so wie gute Kunst, auch sehr politisch sein. In Steglitz-Zehlendorf wird gerade nach einer legalen Wand für Sprayer gefahndet.

© dpa

Graffiti in Steglitz-Zehlendorf: Gesucht: Die legale Superwand

Raus aus der Illegalität. So denken viele Graffitikünstler in Steglitz-Zehlendorf. Im Modellprojekt "Legale Spraywand" wird nun die passende Sprühfläche gesucht. Unsere Zehlendorf-Reporterin hat die Protagonisten auf ihrer Suche begleitet.

Meist sprüht er im Dunkeln, lässt sich dann von seinem Gefühl leiten. Es muss schnell gehen. Man lernt es mit der Zeit, verrät er. Graffiti sei ein Lebensgefühl. Er bemale S-Bahnzüge und Wände, die möglichst viele Menschen sehen. „Dabei geht es auch um Anerkennung, um Respekt in der Szene.“ Und erst wenn es morgens hell wird, kann er sein Kunstwerk betrachten; wenigstens aus der Ferne. Sascha, seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen, kommt aus Zehlendorf und sprüht seit 20 Jahren. Meist illegal. Er will sich jedoch nicht mehr verstecken, würde sein Hobby gern offiziell allen zeigen und mit anderen teilen.

"Nicht jeder Sprayer ist ein Krimineller"

So denken inzwischen viele junge Graffitikünstler hier im Bezirk und deshalb wurde jetzt das Modellprojekt „Legale Spraywand in Steglitz-Zehlendorf“ gestartet. Dass es jedoch nicht einfach ist, eine geeignete Wand zu finden, haben die Sozialarbeiter Anja Conrad, Daniela Gukelberger und Stefan vom Scheidt schon festgestellt.

Sie sind in diesen Tagen in Steglitz-Zehlendorf unterwegs und suchen nach Flächen, die in Frage kommen. Dabei gibt es gewisse Kriterien, auf die sie achten: Zum Beispiel sollte die Wand nicht höher als zweieinhalb Meter sein, nicht zu nah an einem Wohngebiet oder einer Straße, aber auch nicht zu weit entfernt von den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ferner zählen Zustand und Beschaffenheit der Wand: Holz und Beton eignen sich gut, wie sie sagen. „Wer eine Idee hat, wo wir eine Spraywand finden, kann sich bei uns melden“, bittet Stefan vom Scheidt um Hilfe. Firmen, Vereine oder Privatpersonen seien angesprochen. Das Projekt hat im Internet eine eigene Facebookseite.

Kürzlich besuchten die drei Sozialarbeiter unter anderem einen Jugend-Spielplatz an der Goerzallee. Hier steht eine Holzwand; zwar ein wenig durchlöchert, beschmiert und mit Pflanzen überwachsen, aber durchaus zum Sprühen geeignet. Sascha, der mitgefahren war, hatte Bedenken: Die Bewohner der Häuser direkt hinter der Wand könnten sich gestört fühlen. „Denn beim Sprühen entstehen Gerüche nach Farben und Lösungsmitteln“, erklärt er.

Die Suche geht also weiter. Spätestens im Dezember soll eine Auswahl an Standorten getroffen sein. „Dann fahren wir die Wände mit den Jugendlichen ab und entscheiden“, erklärt Daniela Gukelberger. Sie arbeitet für das Projekt Mobiles Wohnzimmer (MoWo) des Nachbarschaftshauses Wannseebahn. Gemeinsam mit Kollegen drei weiterer Träger des Bezirkes, die in der mobilen Jugendarbeit aktiv sind, begleitet sie das Spraywand-Projekt. Ebenfalls zum Team gehören Anja Conrad und Stefan vom Scheidt von dem Träger „Outreach - Mobile Jugendarbeit Berlin“.

Nach ihren Beobachtungen möchten immer mehr junge Leute in Ruhe und ohne Angst haben zu müssen, erwischt zu werden, Graffiti sprühen. Während andere Berliner Bezirke bereits legale Spraywände haben, gibt es in Steglitz-Zehlendorf bislang keine. „Es bleibt uns deshalb nichts anderes übrig, als illegal zu sprühen“, sagt Sascha.

Die CDU tat sich schwer, stimmte aber zu

Politischen Rückenwind für eine legale Spraywand bekommen die Initiatoren unter anderem von der Grünen-Bezirksverordneten Nina Stahr. „Ich finde es super, wenn sich Jugendliche künstlerisch betätigen und sie bereit sind, ihre Graffiti an legalen Flächen zu sprühen“, erklärt sie. Allerdings müssten sie auch verstehen, dass so etwas nur funktioniere, wenn sich alle an das Gesetz hielten. Ein entsprechender Antrag für das Projekt sei Anfang 2014 in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zwar beschlossen, vorher aber kontrovers diskutiert worden.

„Wir haben uns die Entscheidung, das Modellprojekt mit zu tragen, nicht leicht gemacht“, erklärt Jeannine Perduss, stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende. Man setze sich für ein konsequentes Vorgehen gegen Vandalismus und Schmierereien im Bezirk ein. Doch die Jugendlichen, die legal Graffiti sprühen wollen, ohne Sachbeschädigung zu begehen, hätten die Unterstützung ihrer Fraktion. Bedingung sei jedoch eine pädagogische Begleitung des Projektes. Überdies müsse beobachtet werden, dass im Umfeld der legalen Spraywand kein Vandalismus entstehe.

Anett Kirchner ist freie Journalistin und bloggt seit Januar 2014 auch für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels
Anett Kirchner ist freie Journalistin und bloggt seit Januar 2014 auch für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels, außerdem schreibt sie für die evangelische Wochenzeitung "dieKirche".

© privat

Die SPD-Bezirksverordneten halten sich auf Anfrage des Tagesspiegels vergleichsweise bedeckt. Renate Krohm, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, erklärt, dass ihre Partei das neue Modellprojekt zur Kenntnis nehme und es mit großem Interesse verfolgen werde.

Fachlich unterstützt werden die Projektmitarbeiter von der Graffiti Lobby Berlin, die die Graffiti-Kultur in der Stadt fördern möchte und sich für legale Spraywände einsetzt. Mit Hilfe dieser Erfahrung soll ein nachhaltiges Konzept entstehen, denn so eine Wand muss auch gepflegt und gewartet werden. Das Modellprojekt läuft vorerst bis Ende 2015 und wird vom Jugendamt Steglitz-Zehlendorf mit 5000 Euro gefördert. Der offizielle Startschuss war in diesem Sommer mit einem Graffiti-Workshop auf dem Bauwagengelände des MoWo am Brittendorfer Weg.

In den Herbstferien soll es weitere Workshops geben. Sascha würde dann gern sein Können und seine Erfahrung an junge Sprayer weitergeben; sich ehrenamtlich in das Projekt einbringen und aufklären. Graffiti immer sofort mit Vandalismus und Schmiererei gleichzusetzen, ärgert ihn. Nicht jeder Sprayer sei ein Krimineller. „Für mich ist Graffiti eine Form, mich künstlerisch auszudrücken“, sagt er.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt seit Januar 2014 als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf-Blog des Tagesspiegels.

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