zum Hauptinhalt
Der Autor, Christian Petzold, ist Jahrgang 1965 und lebt mit seiner Familie in Zehlendorf.

© privat

Diskussion unter Pädagogen: Inklusion, nein danke! Darf man das so sagen?

Berliner Schulen sollen zu "Inklusiven Schulen" werden, Menschen mit Behinderung soll Teilhabe ermöglicht werden. Unser Autor hat für den Zehlendorf Blog in Zehlendorf darüber diskutiert und ist auf große Skepsis gestoßen.

Inklusion ist in aller Munde. Wie schön! Die Ausgangsfrage lautet: Inklusion - in was eigentlich? Warum und vom wem wird dieser Begriff so plötzlich inflationär genutzt? Seit einiger Zeit auch im fast täglichen Sprachgebrauch an Berliner Schulen.

Vor kurzer Zeit gab es die Möglichkeit, mit Lehrerinnen und Lehrern aus einer Zehlendorfer Grundschule zum Thema „Inklusion in der Schule“ zu diskutieren. Aufmerksam geworden durch sich häufende öffentliche Beiträge zum Thema, welche nicht selten dafür plädierten, sich dieses „Allheilmittels“ zu bemächtigen, es nicht nur einzuhauchen. So war die Neugier geweckt, wie denn Inklusion in der Grundschulpraxis erlebbar ist.

In Berlin haben wir die „Inklusive Schule“. Das bedeutet,  dass Menschen mit Behinderungen die vollständige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen ist

Als Ziel. Auch in der Schule. Verwiesen wird auf die so genannte UN – Behindertenrechtskonvention. Dazu muss man wissen, das (erst) am 26.3.2009 mit Zustimmung von Bundestag und  Bundesrat in Deutschland das  „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (BRK) in Kraft getreten ist. Für diese Konvention ist ihre doppelte Schutzfunktion charakteristisch. Sie schützt Menschen mit Behinderungen über die universalen Menschenrechte, deren Verpflichtungsseite sie aus der Perspektive von Menschen mit  Behinderungen präzisiert. Gleichzeitig fordert die Konvention die konsequente Entfaltung des Diskriminierungsverbotes und erstreckt dieses auf alle menschlichen Lebensbereiche. Zahlreiche weiterführende Informationen finden sich auch in dem Bericht des Beirats zur "Inklusive Schule Berlin".

Das vernimmt sich gut, es tönt lebensnah. In Zehlendorf an der Grundschule stellt sich eine mögliche Umsetzung dieser guten Vorhaben, des „Inkludierens“ anders dar. Gelobt werden bei dem Gespräch mit dem Direktor und weiteren Lehrerinnen und Lehrern die guten Absichten, welche nicht zuletzt die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft verfolgt. Es ist ein Ansatz, den die Schule bereit wäre zu unterstützen, den so herausfordernden Weg zu beschreiten. Doch nur wenige Momente später wird beklagt, dass es praktisch dabei kaum Unterstützung gibt. Die durchaus guten Absichten müssen doch begleitet sein vom Vermögen, diese auch umsetzen zu können. Da fehlt es an allen Enden. Woher soll denn das zusätzliche Personal dafür kommen? In Berlin! Wo sind die zusätzlichen Spezialisten wie Sozialarbeiter oder Pflegefachpersonal, wenn ich es denn ernst meine mit der „inklusiven Schule“. Wie setze ich die dafür nötigen Baumaßnahmen um? Welche Mittel stehen denn zur Verfügung, wenn schon heute ein erheblicher Investitionsstau zu erkennen ist. Barrierefreiheit? Baulich nicht auf die Schnelle zu machen.

Welche grundsätzlichen Entwicklungen verbergen sich oder werden befördert? Warum soll alles gleichgemacht werden? Wo bleibt der Raum für Unterschiedlichkeit? Ein müdes Lächeln huscht über das Gesicht der Religionslehrerin und sie sagt: "Der Begriff Inklusion verdankt sich einer entpolitisierten Betrachtungsweise." Sogleich kommt es zu sehr grundsätzlichen Fragen und befördert nun eine lebendige Diskussion: Der Schuldirektor erinnert sich an das schöne "Nein danke!", das in der Anti- AKW-Bewegung geprägt wurde. Das sei immer noch ein knackiges Wort. Inklusion in eine Gesellschaft, in der immer mehr Leute unter psychischen Störungen leiden? Wo immer mehr Eltern überfordert scheinen? In der immer mehr Ritalin in Kinder geschüttet wird? In der der Unterschied zwischen reich und arm immer schneller wächst? Ja, auch in Zehlendorf, wird von ihm rasch angefügt.

"Nein danke!" Der Direktor hat ja nichts dagegen. Nein. Aber es beschäftigt ihn die Frage, was wir heute alles in die Überschrift "Inklusion" subsumieren. Es werden doch "zunehmende Disparitäten regelrecht verkleistert".

Jean Baudrillard hat die Gesellschaft, in der wir leben, als eine tote beschrieben, in der Stumpfsinn und fröhliche Verblödung herrschen. Ist da vielleicht was dran?

Das ideale Vernebelungsinstrument

Inklusion wäre dann der Versuch, alle in die Grube zu ziehen, in der man selber schon ist, alle in denselben Verblendungszusammenhang zu zerren. Der Begriff "Inklusion" verdankt sich nicht nur einer entpolitisierten Betrachtungsweise – einer Mittelschicht-Soziologie, die gar nicht bemerkt, dass ihr der Mittelschichtboden gerade unter den Füßen weggezogen wird, sondern Inklusion will ausdrücklich den Begriff der Gesellschaft durch den des Systems ablösen. Die Systemidee hat ja den Begriff der Gesellschaft längst erfolgreich liquidiert.

Der Begriff Inklusion ist das ideale Vernebelungsinstrument, mit der die zunehmenden Disparitäten verkleistert werden sollen, es ist das zeitgemäße neoliberale Konzept, das dazu geeignet ist, den Bürgern und Bürgerinnen den Durchblick zu nehmen: Ihre Rechte auf Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit werden ihnen genommen und der Inklusionsbrei, mit dem sie gefüttert werden, soll sie daran hindern, eine kritische Analyse auch nur zu versuchen.

Ein Deutschlehrer drückt es so aus: Es mache ihn misstrauisch, dass eine große Stiftung wie die Bertelsmann-Stiftung ausgerechnet die Inklusion zu ihrem Markenzeichen und ihrem Hauptanliegen mache. Es sei aber ein fragwürdiges Anliegen, alle Schüler und Schülerinnen in eine Schule zu "inkludieren", deren Verhängnis  es doch gerade ist, dass sie aus Menschen Konkurrenten mache und machen wolle. "Alle sollen in das gleiche Elend integriert werden, das ist der Sinn von Inklusion", führt der Deutschlehrer abschießend aus.

Wir also, alle, vollgestopft mit natürlich nur den besten Absichten, völlig inkludiert!

Der Autor ist Experte auf dem Gebiet Demenz, Pflege und Alternde Gesellschaft. Er lebt mit seiner Familie in Zehlendorf. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Christian Petzold

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false