zum Hauptinhalt
Viele der Bedürftigen kommen zu Kathi Schweers-Reinhardt vor allem um zu reden

© Kathi Schweers-Reinhardt

Friseurmeisterin aus Wannsee hilft Bedürftigen: Für ein Stück Würde und Normalität

Sie lebt in Wannsee und ist als Mediatorin tätig. Doch Kathi Schweers-Reinhardt kennt auch das Leben hart am Existenzminimum aus eigener Erfahrung. Sie möchte daher gerne etwas zurückgeben und helfen: Einmal im Monat schneidet die gelernte Friseurmeisterin Bedürftigen die Haare. Das Zehlendorf-Redaktionsteam hat sie getroffen.

Wenn der eigene, achtjährige Sohn Hunger hat, den Kühlschrank öffnet und fragt, warum nichts drin ist, bleibt einer Mutter die Sprache weg. „Ich weiß, wie es ist, von Sozialhilfe zu leben“, sagt Kathi Schweers-Reinhardt aus Wannsee und beschreibt das Gefühl: Es deprimiert, macht einsam und raubt einem das Selbstbewusstsein. Das ist jetzt fast 20 Jahre her. Damals lebte sie in Hamburg, war alleinziehend. Heute geht es der 50-Jährigen gut, privat und beruflich, alles stimmt. Deswegen möchte sie etwas tun, etwas zurückgeben, helfen. „Denn ich mag Menschen“, sagt sie, „auch körperliche Berührungen wie Hände drücken, eine Wange streicheln, umarmen.“ Also hilft sie Bedürftigen und macht das, was sie am besten kann: Haare schneiden.

Ihr „Friseursalon“ ist eine kleine Sakristei gleich neben dem Andachtsraum der City-Station der Berliner Stadtmission in Wilmersdorf. Ein Spiegel und Stühle stehen bereit. Scheren, Kämme, Umhang, Fön und Haarschneidemaschine bringt sie mit. Seit fast acht Jahren schneidet sie hier Bedürftigen ehrenamtlich die Haare; jeweils dienstags, einmal im Monat. Dann heißt es: Schneiden, Fönen, Zuhören. Letzteres ist im Grunde das Wichtigste. Manche Gäste sind inzwischen wie Freunde geworden. Sie hört gern zu, will ihnen damit auch ein Stück Würde und Normalität zurückgeben.

"Ich mag Menschen", sagt die gelernte Friseurmeisterin. Seit fast acht Jahren schneidet sie Bedürftigen die Haare

© Kathi Schweers-Reinhardt

„Die meisten haben kaum jemanden zum Reden“, sagt die Friseurmeisterin. Und es gebe nichts Schlimmeres, als sozial abgeschottet zu sein. Ein Gast habe ihr einmal im Vertrauen erzählt, dass er vor allem deshalb zum Haareschneiden komme, weil er dabei berührt werde. Solche Worte machen Kathi Schweers-Reinhardt nachdenklich. Sie ist froh, wenn sie helfen kann. „Das macht mich glücklich.“

Mit ihrer Familie wohnt sie seit drei Jahren in Wannsee. Als ihr jüngster Sohn geboren wurde, entschied sie sich für den Berliner Südwesten. „Ich komme sozusagen aus einer Kleinstadt und vom Wasser“, sagt das gebürtige Nordlicht. Ihre Heimat ist das Ostseebad Warnemünde, ein Stadtteil von Rostock. Wannsee sei ähnlich, wie eine Kleinstadt und mit viel Wasser. Außerdem sehne sie sich nicht mehr nach dem wilden, jungen Berliner Stadtleben. Früher wohnte Kathi Schweers-Reinhardt in Pankow. „Hier in Wannsee ist es gemütlich, man kennt sich und hilft einander.“

So unterstützt sie gelegentlich auch eine syrische Familie, die seit November vorübergehend bei der Evangelischen Kirchengemeinde Wannsee wohnt. Unter anderem begleitet sie die Flüchtlinge bei Behördengängen, lädt die Familie ins Theater ein oder geht einfach nur mit Darin Geurgeus, der Mutter der Familie, einen Kaffee trinken. Die Söhne der beiden Frauen sind etwa in demselben Alter, jeweils vier. „Als der Kleine kürzlich bei uns Zuhause das Holzschwert meines Sohnes in die Hand nahm, sagte er: nicht gut, macht aua“, erinnert sich Schweers-Reinhardt. Die Reaktion des Jungen habe sie zutiefst erschüttert.

Kathi Schweers-Reinhardt hatte nicht immer nur Glück im Leben. Seit drei Jahren wohnt sie in Wannsee und möchte gerne "etwas zurückgeben". Hier mit der Mutter der syrischen Flüchtlingsfamilie, Darin Geurgeus

© Anett Kirchner

„Ich schaue lieber in fröhliche als in traurige Gesichter“, umschreibt die zweifache Mutter. Das gelte vor allem auch für ihr Ehrenamt als Friseurin. Die Erfahrung zeige, dass sich ein Mensch mit einem neuen Haarschnitt verändere; nicht nur äußerlich, auch die innere Stärke wachse. In den vier Stunden, in denen sie in der City-Station Haare schneidet, kommen etwa 15 Gäste, überwiegend Männer.

„Sie sind nicht alle obdachlos, sehen oft gepflegt aus und sind frisch geduscht“, verrät sie. Es seien einfach Menschen, die wenig Geld haben. Der Haarschnitt kostet symbolisch einen Euro. Die Gäste möchten gern bezahlen, geben oft sogar Trinkgeld, sagt Kathi Schweers-Reinhardt. Es soll nicht heißen: was nichts kostet, ist nichts wert.

Wie der Einzelne jeweils in seine schwierige Lebenslage gekommen ist, weiß die Friseurmeisterin generell nicht. Und sie fragt auch nicht nach. Das ist eine eiserne Regel. Ohnehin wenige würden sich öffnen, reden hauptsächlich über allgemeine Dinge – das Wetter, Essen, die Nachbarn.

Früher hat Kathi Schweers-Reinhardt von Zeit zu Zeit auch prominenten Köpfen die Haare geschnitten. Sie leitete einen Friseursalon am Gendarmenmarkt. Obwohl sie diesen Beruf leidenschaftlich gern ausübte, hat sie sich entschieden, ihn aufzugeben. „Die Leistung eines guten Friseurs wird nicht genug anerkannt“, findet sie und verweist auf die schlechte Bezahlung und die körperliche Anstrengung, die der Job mit sich bringe. Sie habe das Handwerk noch von Grund auf gelernt, zum Beispiel auch wie man eine Perücke knüpft. Ein Friseur sei heute jedoch nicht mehr gleich ein Friseur.

Deshalb beschloss sie, nach ihrer Elternzeit einen neuen beruflichen Weg zu gehen, machte eine weitere Ausbildung und arbeitet heute als Mediatorin. Dabei moderiert sie zwischen streitenden Konfliktparteien; mit dem Ziel, eine außergerichtliche Einigung zu finden. „Ich versuche, dass sich beide Seiten zuhören, sie das Problem hinterfragen und dann bestenfalls eigene Lösungsansätze finden“, beschreibt sie. Zwischen zwei Seiten jonglieren, in gewisser Weise ausgleichend wirken, darin hat Kathi Schweers-Reinhardt hinreichend Übung - als Mutter und als Friseurmeisterin. Demnach ist sie auch in ihrem neuen Job wieder bei jenen angekommen, die sie so gern mag: den Menschen.D

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false