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In Berlin darf Wiese noch wild sein. Nur selten kommt der Rasenmäher zum Einsatz - denn den Bezirken mangelt es an Angestellten.

© dpa

Bezirken mangelt es an Grünflächenmitarbeitern: In Berlin wuchert es

Weil Geld und Personal fehlen, kümmern sich die Bezirke seltener ums Grün. Doch Wissenschaftler können dem viel Gutes abgewinnen.

Sträucher am Straßenrand. Bäumchen, wo Blumen sprießen sollten. Gestrüpp am Gehsteig. In Berlin wuchert es. Eigentlich sollten die Bezirksangestellten diesen ausufernden Pflanzenbewuchs jäten und gegen ihn anmähen. Aber dafür fehlen Geld und Personal.

Diese Klagen hört Herbert Lohner aus fast allen Bezirken. „Allein Marzahn-Hellersdorf hat 120 Grünflächenmitarbeiter zu wenig“, sagt der Referent für Naturschutz beim BUND. Er kenne die Zahlen, denn er stehe in engem Kontakt mit den Ämtern. Zum Haushaltsproblem gesellt sich laut Lohner noch ein konzeptionelles: Marzahn-Hellersdorf sei der einzige Bezirk, der überhaupt ein Management-System für Grünflächen habe.

Die positiven Nebeneffekte des Wildwuches

Wenn der Rasen nicht mehr auf Stoppeln rasiert wird, sondern stattdessen die Langgraswiese wogt, hat das nicht nur Auswirkungen auf das Stadtbild: Eine „große Wirkung auf die Oberflächentemperatur“ der Stadt sieht Fred Meier. „Ungemähte Wiesen haben mehr Blattfläche und damit ein größeres Verdunstungspotenzial“, erläutert der Spezialist für Stadtklimatologie an der TU Berlin. „Das sorgt für Abkühlung“ – eines der Argumente der Volksinitiative „100 % Tempelhofer Feld“. Die warb außerdem mit der „Frischluftschneise“ für ihr Gesetz.

Frische, saubere Luft – das ist ein weiterer positiver Nebeneffekt des urbanen Wildwuchses. Wie Wissenschaftlerinnen der Ökosystemkunde an der TU Berlin in einer Studie nachwiesen, habe die – als Unkraut verunglimpfte – „spontane Straßenbegleitvegetation“ eine „lufthygienische Entlastungsfunktion“. Heißt: Die Pflanzen wirken als Filter für verschiedenste Aerosole, die durch die Berliner Luft fliegen, und binden Teilchen, die der Regen von den Bäumen wäscht.

Zwischen und auf den Pflanzen der wuchernden Wiesen finden aber nicht nur Staubpartikel einen Platz, sondern auch Tiere. „Der Effekt für den Artenschutz dieser Langgraswiesen ist groß“, sagt Lohner. „Wir vom BUND begrüßen das.“

Statt der Grünflächen pflegt Berlin sein Image

Darüber dürfte sich auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung freuen. Denn Lebensraumvielfalt und Artenreichtum sind laut der bis 2020 festgelegten „Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt“ gewollt. Denn diese „macht glücklich!“, schreibt Professor Ingo Kowarik mit einem Ausrufezeichen ins Vorwort des Papiers. Es gebe einen „engen positiven Zusammenhang“ zwischen dem Wohlbefinden von Besuchern von Parkanlagen und der dortigen Biodiversität, so der Landesbeauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege.

Zwar mag sich Wohlbefinden ab und an nicht einstellen, wenn der Bürgersteig ob peitschenden Gebüsches unpassierbar scheint. Doch für Berlin als Tourismusmagnet ist das Gold wert. „Zu Berlin gehört ja das leicht Raue oder Wilde – im Gegensatz zu München oder Hamburg“, sagt Lohner. Statt der Grünflächen pflegt Berlin sein Image.

Vinzenz Greiner

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