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Wie man sich bettet. Der größte kommunale Klinikkonzern Deutschlands wirkt in letzter Zeit oft selbst wie ein Patient.

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Berliner Klinikkonzern in Schräglage: Bestechung, Abfindungen und Streiks bei Vivantes

Bei den landeseigenen Vivantes-Kliniken kommen und gehen die Chefs, Staatsanwälte ermitteln, Mitarbeiter sind verunsichert - was ist los? Eine Analyse.

Sicher, am Flughafen läuft es auch nicht gerade gut. Nach der geplatzten Eröffnung wird der BER-Boss ersetzt, der Neue wiederum schmeißt den Technik-Leiter raus, während man erfolglos einen Aufsichtsratschef sucht, bis wieder der alte ran muss. Ähnlich dramatisch, nur unbemerkt, läuft es bei Vivantes. Die landeseigene Klinikkette ist mit fast 15.000 Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgeber der Stadt. Jeder dritte Berliner Krankenhauspatient liegt in einem der 5300 Vivantes-Betten.

Vivantes macht fast acht Millionen Euro Gewinn

Doch als ob so ein Konzern nicht schon schwer genug zu steuern sei, wechselt auch noch seit Jahren das Führungspersonal. Seit zwei Tagen ist Andrea Grebe offiziell Vivantes-Vorsitzende. Intern ist die Ärztin beliebt, am Donnerstag stellte sie neue Zahlen vor: Bei 941 Millionen Euro Umsatz hat Vivantes 2013 fast acht Millionen Euro Plus gemacht, etwas mehr als 2012. Allein 2013 investierte man 68 Millionen Euro, in OP-Roboter, Röntgentechnik, Bauten. Und man wolle mehr, zusammen mit der Charité die Strahlentherapie in Friedrichshain etwa.

Vorstand ausgewechselt, Aufsichtsratsspitze auch

Klingt gut und wird in einer alternden, wachsenden Stadt gebraucht. Doch wird Grebe erst etwas anderes tun müssen: Die eigene Truppe beruhigen. Damit sind nicht nur die 200 Schwestern und Pfleger gemeint, die am Donnerstag gestreikt haben, weil den öffentlichen Arbeitgebern 3,5 Prozent mehr Lohn zu viel ist. Grebe wird nach innen wirken müssen, weil in den vergangenen zwei, drei Jahren der komplette Vorstand ausgewechselt wurde, dazu auch die Aufsichtsratsspitze. Weil langjährig beschäftigte Ärzte gingen oder gehen mussten. Weil der Senat nicht mehr Geld für die maroden, aber denkmalgeschützten Vivantes-Gebäude geben will. Weil Rettungsstellen knapp besetzt sind und Ärzte bald protestieren könnten. Grebe wird auch gefragt werden, warum 2012 ein Finanzexperte aus Bayern geholt wird, um in der Hauptstadt eine Klinikkette zu leiten, offenbar ohne ein Mindestmaß an nötigem Instinkt.

Vivantes-Finanzchef soll Dealer getroffen haben

Vor zwei Wochen oben in der Vivantes-Zentrale in der Aroser Allee in Reinickendorf. Überraschend klopfen Staatsanwälte, fordern den Finanzchef auf, die Räume nicht zu verlassen, durchsuchen sein Büro, nehmen Akten mit. Aus Justizkreisen heißt es: Der Mann sei wegen Bestechlichkeitsverdachts fast in Untersuchungshaft gekommen. Seine Dienstnummer sei in den Telefonprotokollen eines anderen Verdächtigen aufgetaucht, mehr als 100 Mal hätten sie kommuniziert. Jener Mann war schon vor Wochen festgenommen worden, weil er mit dem Sprössling eines arabischen Clans gedealt haben soll. Der mutmaßliche Dealer soll dem Finanzchef 20.000 Euro gegeben haben, damit ein bestimmter Reinigungsdienst einen Vivantes-Auftrag bekommt. Wem reichen 20.000 Euro Schmiergeld, wenn er 35.000 Euro im Monat als Gehalt bekommt? Zu allem Überfluss soll es von dem Finanzchef und dem mutmaßlichen Dealer ein Überwachungsfoto geben, auf dem ein überreichter Briefumschlag zu sehen sei. Der Finanzchef war nicht zu erreichen, er ist kürzlich von Vivantes entlassen worden.

Wie naiv, sollten die Vorwürfe stimmen, sind eigentlich Vivantes-Topmanager? Ein Kenner formuliert: „Der kommt aus Bayern, Großstadt kann er nicht.“ Nur: Es war nicht die erste Razzia. Gegen den langjährigen Vivantes-Chef Joachim Bovelet wird seit Monaten wegen möglicher Untreue ermittelt. Interessanterweise heißt es aus dessen Umfeld aber anders als beim geschassten Finanzchef, an den Vorwürfen sei nichts dran. Hintergrund ist ein Compliance-Bericht, wonach Bovelet zu viel für kaum oder nicht erbrachte Leistungen ausgegeben habe. Komisch, ein paar Monate zuvor hatte die gleiche Wirtschaftsagentur in einer Jahresprüfung nichts beanstandet.

Streit zwischen Klinikchef und Senator

Einige sagen, Bovelet sollte ruhiggestellt werden, weil er 2013 im Streit mit dem Senat zurückgetreten war. Wenig später legt der Aufsichtsratschef sein Mandat nieder, dann muss ein gut vernetzter Bovelet-Vertrauter das Gremium verlassen, der Posten wird mit einer VW-Managerin besetzt. Aufsichtsratschef ist nun Peter Zühlsdorff, weithin geachtet, aber auch nicht aus der Gesundheitsbranche. Immer wieder heißt es, Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) will Vivantes auf Sparkurs trimmen, die alte Garde störe da.

Millionen für Abfindungen bei Vivantes

Aus dem Senat wird das nicht kommentiert. Zumal es auch unter Bovelet bebte. Vize-Chefin Dorothea Dreizehnter verlässt 2012 den Vorstand, zuvor sollte Karin Büttner- Janz, in den 70ern Olympia-Turnerin, nun Chef-Orthopädin, gehen. Sie klagte, Bovelet zahlte ihr 590.000 Euro Abfindung. Allein 2012 wurden insgesamt 3,2 Millionen Euro an Abfindungen gezahlt. Für 2013 nennt der Vorstand keine Zahlen, es dürfte aber ähnlich viel zusammengekommen sein.

Wann ging das Hauen und Stechen los?

Wann ging das los, die Unruhe, das Hauen und Stechen? Auffällig zu kriseln beginnt es vor drei, vier Jahren. Unter den 4500 Schwestern und Pflegern rumort es, auf den Stationen fehlt Personal, um bis zu 20 Patienten muss sich eine Pflegekraft kümmern. Der Senat lässt den Vorstand sparen, gleichzeitig locken private Krankenhäuser die zahlungskräftigen Patienten. Bovelet bittet den Senat um Unterstützung. Tenor: Gesundheit hat ihren Preis. Ende 2011 einigen sich Bovelet, Nußbaum und Betriebsrat auf ein Paket: Vivantes soll mit Hilfe des Senats 180 Millionen Euro an Krediten für dringende Investitionen aufnehmen. Dafür sollen Strukturen schlanker werden, sprich: Für Verwaltungskräfte, Hausmeister und Fahrer soll weniger ausgegeben werden.

Der Vorstand will das nun fortsetzen, weshalb es mit der Ruhe im Betrieb noch dauern könnte. Lange haben die Gewerkschaften dafür gekämpft, dass für Vivantes der bundesweite Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst gilt. Nun, da es so weit ist, sagt der Vorstand, dass ein eigener Konzerntarifvertrag günstiger wäre. Also raus aus dem Vertrag, für den Schwestern und Pfleger gerade die Arbeit niedergelegt haben?

Solider Betrieb, in politisch schwierigem Fahrwasser?

Wolfgang Albers (Linke), Chef des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus und lange Chirurg bei Vivantes, sagt diplomatisch: „Eigentlich ein solider Betrieb, aber in politisch schwierigem Fahrwasser.“ Die Politik mische sich ein, zahle aber nichts dazu, wenn ihre Entscheidungen was kosten. Beispiel: das betreute Wohnen in der Dominicusstraße in Schöneberg. Vivantes ist per Gesetz angehalten, das Haus zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen. Dann müssten die psychisch Kranken ausziehen. Die Proteste sind groß. Der Senat könnte sagen: Ihr verkauft das Haus an den Sozialverein, der die Bewohner betreut, die Stadt braucht das! Wir schießen Geld dazu. Oder er sagt, ihr verkauft das Haus – wie vorgeschrieben – an den Meistbietenden! Wir kümmern uns um ein Ersatzhaus für die kranken Bewohner, die Stadt braucht das!

"Kreative Lösungen" sind was für bestimmte Leute

Auch Giovanni Ammirabile, Betriebsratschef und Sozialdemokrat alter Schule, formuliert angesichts der vielen Personalwechsel vorsichtig: Die Lücken in der Klinikfinanzierung ermutigten zu „kreative Lösungen“. Und wer sich in der Abrechnungskosmetik auszukennen glaubt, ist womöglich jemand, der ohnehin ganz gern mit Geldern jongliert.

Was am Flughafen passieren wird, ist unklar. Doch anders als am BER ist bei Vivantes nicht mehr mit neuem Spitzenpersonal zu rechnen: Andrea Grebe wird es richten müssen.

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