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Berlin: Bleiben Sie gesund – ab heute streiken die Ärzte

Berliner Mediziner wollen jeden Tag 1000 Praxen geschlossen halten. Die Klinikambulanzen erwarten einen Ansturm der Patienten

„Wir sind grimmig entschlossen“: Mit starken Worten kündigten Berliner Ärztesprecher gestern den Start ihrer fünfwöchigen Protestaktion gegen die derzeitige Gesundheitspolitik an. Ab dem heutigen Mittwoch bis zum 4. März sollen werktags rund 1000 Praxen von Fachärzten und Allgemeinmedizinern in bestimmten Bezirken oder Ortsteilen geschlossen bleiben. „Wir wollen die Folgen einer reduzierten Medizin vorführen, wie sie Kassen und Politiker schon lange fordern“, sagte Albrecht Scheffer vom Verband der Fachärzte. Deshalb sei die Aktion auch im Interesse der Patienten. Mehrere Kassen warfen den Medizinern dagegen gestern vor, sie verletzten ihre ärztlichen Pflichten.

Die Ambulanzen beider Universitätsklinika erklärten am Dienstag , sie könnten einen größeren Patientenansturm während des Streiks nur schwer verkraften. „Dazu ist unsere Poliklinik personell zu knapp besetzt“, so der Vizedirektor am Benjamin-Franklin-Klinikum, Professor Hans Scherer. Doch die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die Berlins ambulante medizinische Versorgung sicherstellen muss, erwartet ohnehin keine „allzu großen Probleme“. Patienten streikender Ärzte würden über Ersatzpraxen in Nachbarbezirken informiert, hieß es gestern. Die Senatsgesundheitsverwaltung bleibt dagegen skeptisch. Sollte es zu Engpässen kommen, will sie per Anordnung durchsetzen, dass mehr Praxen geöffnet bleiben.

Ob tatsächlich jeden Tag rund 1000 Praxen schließen, konnten auch Ärztefunktionäre gestern nicht sagen. Nach ihrer Schätzung werden sich 60 bis 80 Prozent der rund 5000 niedergelassenen Fachärzte und Allgemeinmediziner in Berlin beteiligen.

Sollten die Mediziner ihr Ziel erreichen, so wären täglich etwa 20 Prozent aller Praxen unerreichbar. Auf diese Zahl einigten sie sich im Hinblick auf die Auseinandersetzungen mit den Kassen um die aus ihrer Sicht zu geringen Honorarbudgets. „Uns wird ständig vorgeworfen, es gebe 20 Prozent zu viele Ärzte und wir würden im gleichen Ausmaß zu viel arbeiten“, so der Vorsitzende der Dermatologen, Thomas Stavermann. „Also erbringen wir jetzt entsprechend weniger Leistungen, zumal etliche ohnehin nicht mehr bezahlt werden.“ Die Patienten sollen erkennen, „was auf sie zukommt, wenn sich Kassen und Politiker durchsetzen“.

Aus Sicht der Ärzte wird bei ihnen ohnehin „am falschen Ende“ radikal gespart. Denn für die ambulante Versorgung in Berlin müssten die Versicherungen nur 16 Prozent ihrer Gesamtausgaben aufbringen. „Trotzdem gelten wir als Preistreiber“, so der Sprecher der Orthopäden, Helmut Mälzer. Im bundesweiten Vergleich zahle sich die hohe Dichte der Facharztpraxen in Berlin für die Kassen aber aus, „weil wir oft durch unsere hohe Spezialisierung einen sehr viel teureren Krankenhausaufenthalt verhindern können“. So wurden in Berlin nach Mälzers Angaben im vergangenen Jahr von 10 000 Einwohnern 1780 in einer Klinik behandelt, in Thüringen oder Mecklenburg waren es hingegen rund 2100.

Ganz anders bewertete die Krankenkasse des Landes Berlin (BKK) gestern die Situation. „Gibt es zu viele Ärzte, geraten sie in wirtschaftliche Konkurrenz zueinander und sind versucht, auch unnötige Leistungen zu erbringen“, so BKK-Chef Jochem Schulz. Die Ersatzkassen drohten unterdessen Sanktionen an. Sobald sie nach der Gesundheitsreform mit Ärzten Einzelverträge abschließen könnten, werde man nur solche berücksichtigen, „für die das Wohl ihrer Patienten Priorität hat“. Und die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) bietet ab sofort eine Telefon-Hotline unter 2531-2003 an. „Wer unversorgt nach Hause geschickt wird, sollte anrufen“, schreibt die Kasse – und erhält Unterstützung aus dem Abgeordnetenhaus: Auch die PDS ruft dazu auf, geschlossene Praxen zu melden.

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