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Berlin: Bloß nicht vom Gegenwind umpusten lassen

Von Brigitte Grunert Als die Kindergärtnerin dem kleinen Klaus eine schallerte, verzog er keine Miene. Still und stumm machte er sich fort, aus Protest gegen die Schelle.

Von Brigitte Grunert

Als die Kindergärtnerin dem kleinen Klaus eine schallerte, verzog er keine Miene. Still und stumm machte er sich fort, aus Protest gegen die Schelle. Sein Verschwinden löste Aufregung aus, er war einfach nach Hause gestapft. Lange her, es muss sein erster Tabubruch gewesen sein, in Lichtenrade wars. Die Rede ist von Klaus Wowereit (49). Man glaubt ihm die Episode gern, sie passt zu seinem Naturell. Heute kann er mit der größten Liebenswürdigkeit und Gelassenheit Tabus brechen. Die ganze Stadt wirbelt er damit durcheinander.

Am Abend des 16. Juni 2001 feierten die Sozialdemokraten überglücklich beim Britzer Sommerfest der SPD-Rechten den Machtwechsel. Klaus Wowereit legte einen bühnenreifen Cancan hin. Die Trennung von der CDU nach zehn Jahren Großer Koalition, Sturz des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen durch Misstrauensvotum im Parlament und die Wahl Wowereits zu dessen Nachfolger mit Hilfe der PDS, sein Outing wenige Tage zuvor („Ich bin schwul, und das ist auch gut so!“): Das alles erschien bis dahin realitätsfern.

Die Leichtigkeit ist hin, die Bedenkenlosigkeit geblieben. Klaus Wowereit steht unter Dauerfeuer. Einen Sommer lang talkte und tänzelte er als regierender Zwischenmeister durch die Politik, immer darauf bedacht, einen guten Eindruck zu machen und nicht anzuecken; der rot-grüne Minderheitssenat wollte sich durch Neuwahlen die Mehrheit holen. Wowereit plauderte nett und sagte wenig. Man fragte sich: Will er nicht, oder kann er nicht?

Seit der Wahl klappt nichts mehr wie geschmiert. Für Rot-Grün reichte es nicht, die rot-grün-gelbe Ampel, die der Kanzler wollte, blinkte nicht, die Verhandlungen endeten im Fiasko. Also doch das Bündnis der verunsicherten SPD mit der PDS. Aber der Start war verpatzt. Ausgerechnet SPD-Chef Peter Strieder, Wowereits zweites Ich, brauchte einen zweiten Wahlgang. Damals ist Wowereit umgeschwenkt. Wir begegnen keinem regierenden Partymeister mehr wie im Rausch nach dem Wahlsieg. Gewiss, er tanzt gern, er liebt Glanz und Glamour, aber die SPD war zum ersten Mal richtig sauer auf den Genossen Klaus, als sie ihn auf einem Foto mit Sektpulle in der einen und rotem Pumps in der anderen Hand sah. Seither begegnen wir einem knallharten regierenden Zuchtmeister.

Wowereit prägte das Schlagwort vom Mentalitätswechsel. Aber den kann er nicht verordnen. Abbau statt Umbau – so werden die radikalen Ausgabenkürzungen verstanden. Fast alle Interessengruppen rebellieren. Und es fehlt die Verheißung: Unsere Stadt ist großartig, wir machen sie noch schöner. Wir tun etwas für den Weltstadtgeist, die Republik kann ihre Hauptstadt lieben.

Wowereit hat nicht die Gabe, ein Zukunftsbild zu malen und es rhetorisch kunstvoll zu erläutern. Das Wort von seiner „intellektuellen Denkfaulheit“ ging um. Stört ihn nicht. Was heißt Visionen? „Manche Visionen von gestern sind die Schulden von heute“, sagt er trocken. Außerdem sei doch hinlänglich bekannt: „Berlin ist anders als in den siebziger und achtziger Jahren eine junge Stadt, die faszinierendste und spannendste überhaupt für alle, die von draußen kommen.“ Auswärtige Studienabsolventen wollten hier bleiben, um Karriere zu machen.

Senatssprecher Michael Donnermeyer sekundiert: „Visionen sind die Flucht ins Unverbindliche, wenn man sich vor der harten Wirklichkeit drücken will.“ Ist doch klar, worauf es ankommt. Wie ein surrendes Spinnrad spult der Wowereit- und Strieder-Intimus die Stichworte ab: neue Dienstleistungen und Technologien, Forschung, Wissenschaft, Kultur, Bildung, Zusammenleben in Toleranz. Das stimmt zwar nicht mit der Kürzungspolitik überein, aber „schließlich sind zunehmende Schulden und Zinsbelastungen das Unsozialste, was es gibt.“ Damit ist er bei der „Larmoyanz“, der „zweiten Wirklichkeit“, dem protestierenden „alten Berlin“.

Klaus Wowereit will den Mentalitätswechsel, den er nicht auf den Punkt bringt, durchziehen, wie er den Machtwechsel durchgezogen hat. Unbeirrbar hält er an einmal getroffenen Entschlüssen und Beschlüssen fest. Das verlangt er auch von seinen Senatoren und der Koalition. Er hält es für Loyalitätspflicht. Keiner darf sich vom stürmisch wehenden Gegenwind umpusten lassen. Die PDS schweigt diszipliniert zu Härten. Die alte Kaderschule der SED wirkt nach.

Hört Wowereit überhaupt auf Berater? „Wenn man hartnäckig genug ist, ist er nicht beratungsresistent“, sagt Peter Strieder lachend. Er hat ein enges persönliches Verhältnis zu Wowereit und hält ihm den Rücken frei. Die Partei ist Strieders Bier. Sie sind ein arbeitsteilig eingespieltes Team. Strieder lobt Wowereits Stärken: „Er ist ein sehr guter Analytiker politischer Situationen, sucht immer nach Schwachstellen, findet jeden wunden Punkt und geht die Probleme radikal hart an, da kennt er kein Harmoniebedürfnis.“ Seine Sachkenntnis heben auch andere hervor, die PDS-Hauptleute eingeschlossen. Offenbar ist er ein Aktenleser. Der liebenswürdige Herr Wowereit kann lospoltern, wenn eine Vorlage nicht ausgereift ist oder auf den letzten Drücker kommt. Und er hat sich, wie Strieder weiß, ein ganz eigenes Informationssystem aufgebaut: Er hört sich in den Verwaltungen um, er kennt sie, er war Fraktionschef und Haushaltsexperte.

Damals sagte der Parlamentarier Wowereit: „Ich muss kein Amt haben, aber wenn ich es habe, lasse ich mich nicht daraus verdrängen“. SPD-Vertraute bescheinigen ihm einen „starken politischen Überlebenswillen“. Insofern kann der Mann mit den vielen Gesichtern eigene Fehler blitzschnell korrigieren. Beispiel eins ist der Proteststurm gegen die Umwandlung des FU-Klinikums Benjamin Franklin in ein Allgemeinkrankenhaus. Er ließ sich auf eine Expertenkommission ein, und sei es nur in der Hoffnung, sie werde ihm den Plan gegenzeichnen. Beispiel zwei ist die Verschiebung seiner Australienreise als Bundesratspräsident, die er kurz vor dem Besuch des amerikanischen Präsidenten George Bush antreten wollte. Er hatte alles verkannt: die Bedeutung des Besuches, den Stellenwert im historischen Bewusstsein der Berliner, seine Verantwortung für die Sicherheitslage der Stadt, seine Rolle als Bundesratspräsident beim Bush-Besuch, das Tabu, dem PDS-Bürgermeister Gregor Gysi, vormals SED, die Repräsentanz der Stadt zu überlassen. Es hagelte Kritik, Wowereit reiste erst ab, als Bush wieder weg war. „Es war eine Fehleinschätzung, das ist gelernt“, sagt Donnermeyer. „Aber gemessen an dem Zunder, den wir kriegen, haben wir relativ wenig Fehler gemacht“, trotzt er.

Peter Strieder hat den SPD-Parteitag, auf dem seine Wiederwahl ansteht, bewusst auf den 16. Juni gelegt. Aber die Basis ist zum Jahrestag des Machtwechsels nicht in Festlaune. Sie mault über Zumutungen und Fehler, der Sparkurs nervt. Also kein Mentalitätswechsel der führenden Kraft. Na, sie hat ja ihren Blitzableiter. Strieders Bier, wenn ihm der übliche Denkzettel verpasst wird. Macht ist nicht Selbstzweck. Wenn man nur wüsste, für welche Idee über die akuten Nöte hinaus, so wichtig sie sind, der Regierende Bürgermeister steht. Warum hat sich Klaus Wowereit die Last aufgebürdet?

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