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Berlin: Bock auf D-Mark

In einer Spandauer Kneipe trinken die Gäste auf die alte Währung – und zahlen damit

Spandau. Wer im „Spandauer Bock“ sein Feierabend-Bierchen zischt, kann statt einem Euro für das kleine Pils auch 1,80 – und zwar Mark – auf den Tresen legen . „Hier können Sie auch noch mit D-Mark bezahlen“, steht es weiß auf schwarz auf einer Tafel neben der Eingangstür in der Moritzstraße zu lesen. Und der Vorrat der Spandauer an der alten Währung scheint schier unerschöpflich zu sein, hat Gastwirt Günter Vogt festgestellt.

In der 100 Jahre alten Traditionskneipe in der Altstadt ist die Zeit aber nicht nur beim Geld stehengeblieben. Die Wände über den acht Tischen ziert die Geschichte des Lebens eines bekannten Spandauer Malers in Versen und Bildern. Das letzte Motiv erklärt die Herkunft: „Fritze Bock, der es bezahlte, Paule Budich, der es malte.“ Fritz Bock hatte die Gaststätte 1925 übernommen und erst 1963 an die Vogts abgegeben.

Am Durchgang zum Hinterzimmer, wo sich regelmäßig Schachclub, Blinden- und Hausbesitzerverein treffen, steht eine „ Wurlitzer“-Musikbox. Ihretwegen kam Gastwirt Vogt überhaupt auf die Idee mit der doppelten Buchführung für Mark und Euro. Denn die Umstellung der alten Anlage auf den Euro zog sich bis in den März hin; solange waren Markstücke im Lokal ohnehin noch gefragt.

Doch in Zeiten, wo viele Lokale über Kundenmangel klagen, hat die Treue zur D-Mark dem Gastwirt auch zahlreiche neue Kunden gebracht. „Viele können es zunächst nicht glauben, sondern denken, es ist nur ein Gag“, erzählt Vogt. Doch dann kommen die Leute wieder und verflüssigen – im Wortsinne – die Restbestände der alten Währung.

„Fast jeden Tag zahlt jemand in Mark“, berichtet der Kneipier, der den „Bock“ gemeinsam mit Ehefrau Gabriele, ihrer Tochter und zwei Angestellten betreibt. Auf Wunsch wird jeder Preis zum amtlichen Kurs umgerechnet. Egal, ob es sich um das kühle Blonde plus Korn nach getaner Arbeit, den Kaffee zwischendurch oder die Bockwurst mit Senf handelt, zu der sich zwei ältere Damen niedergelassen haben.

Offenbar haben viel weniger Menschen ihre Mark zur Bank getragen, als allgemein angenommen, hat Günter Vogt inzwischen festgestellt. Und keineswegs handelt es sich nur um Gäste, die ihre letzten Groschen für eine Cola zusammengekratzt haben. Dass 50- oder 100-Mark-Scheine über den Tresen wandern, ist durchaus an der Tagesordnung. Und ein Pärchen, das regelmäßig in Griechenland überwintert und so den Umtauschtermin verpasste, hat sogar 2000 Mark zum „Abtrinken“ im „Spandauer Bock“ deponiert. Vielen der Kunden scheint es sichtliches Vergnügen zu bereiten, hier auf diese Weise ihren Frust über den Euro ausleben zu können.

Für das Gastwirts-Ehepaar sind die D-Mark-Einnahmen auch „ein schönes Sparschwein“, sagt Vogt. Nur muss es so gelegentlich zum Umtausch in die Landeszentralbank. Mindestens bis zum Jahresende soll der Kundendienst noch fortgesetzt werden. Bis dahin erhält man auf den Wunsch „Zahlen bitte“ noch Antworten wie: „Macht zwei Mark fuffzig!“ Rainer W. During

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