zum Hauptinhalt
Bitte draußen bleiben. Erst am vergangenen Sonntag hat die Polizei eine Absperrung an der Wilhelmstraße bewacht, weil eine Bombe entschärft werden musste. Nun wurde eine zweite gefunden – und der Aufwand beginnt von vorn.

© Paul Zinken/dpa

Bombenentschärfung in Berlin: 12.000 Kreuzberger müssen heute wieder ihre Wohnungen räumen

In Kreuzberg wird am Freitag wieder eine Bombe entschärft – und ein großes Areal evakuiert. Angst um ihre Häuser haben die Bewohner nicht. Nur die Haustiere nehmen sie mit.

Heute heißt es für einige Kreuzberger wieder: Entweder lange im Büro bleiben oder vielleicht einen ausgiebigen Spaziergang unternehmen. Das Gebiet rund um das Jüdische Museum wird zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage wegen einer Bombenentschärfung evakuiert.

Ab 6 Uhr morgens gibt es Kontrollen an den Einfahrten zum Sperrbereich, der von der Rudi-Dutschke-Straße im Norden zur Alten Jakobstraße im Osten, Gitschiner Straße im Süden und Wilhelmstraße beziehungsweise Puttkamerstraße im Süden reicht. Um 9 Uhr beginnt in allen Häusern die Evakuierung. Das in der Rudi-Dutschke-Straße gelegene Jobcenter, die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in der Friedrichstraße und die Jugendberufsagentur in der Charlottenstraße bleiben geschlossen.

Zwei Stunden Auto geputzt

Viele Bewohner nehmen das indes gelassen. Mohamed Asmar aus der Franz-Klühs-Straße gab bei der vergangenen Evakuierung erst gegen 13.30 Uhr dem vehementen Klopfen der Polizei nach und verließ mit seiner Familie die Wohnung. „Danach habe ich zweieinhalb Stunden lang mein Auto geputzt, gab ja sonst nichts zu tun“, sagt Asmar. „Zum Glück hatte das Sony Center offen, für die Kinder.“ Am Freitag wird er wohl freiwillig gehen, weiß aber noch nicht wohin.

So wie Asmar müssen heute wieder knapp 12.000 Kreuzberger ihre Wohnungen räumen. Wertsachen, Fotos, andere Erinnerungsstücke will keiner der Befragten mitnehmen. Nur Haustiere werden nicht zurückgelassen, auch aus Angst, dass die ihre Langeweile an der Wohnung auslassen.

Am Sonntag hatten Evakuierung und Entschärfung bis zum Abend angedauert. Heute solle es schneller gehen, versichert ein Sprecher der Polizei. Zum einen habe die Bombe, im Gegensatz zu der am Sonntag entschärften, nur einen Zünder, was die Sache vereinfache. Zum anderen sind die Einsatzkräfte auf schwierige Fälle besser vorbereitet. „Wir wissen jetzt Bescheid, hinter welcher Tür sich welche Gebrechlichkeit verbirgt“, sagte der Sprecher. Beim letzten Mal war es zu Verzögerungen der Evakuierung gekommen, da eine bettlägerige Person nur mit einem Spezialfahrzeug aus dem Sperrgebiet gebracht werden konnte.

4000 Blindgänger liegen noch im Berliner Sand

Dass es gleich zweimal innerhalb von sieben Tagen zu einem Bombenfund kommt, ist gar nicht so verwunderlich.

Laut Schätzungen des Senats liegen zwischen 3000 und 4000 Blindgänger unter den Füßen der Berliner. Wird gebaut, kann es immer wieder dazu kommen, dass dabei Bomben gefunden werden.

Das kann auch in Gebieten vorkommen, die bereits als „kampfmittelfrei“ erklärt wurden, sagt der Kampfmittel-Experte Wolfgang Spyra. „Durch neue Technologien werden so Bomben entdeckt, die die Geräte früher nicht wahrgenommen haben.“ Ein weiteres Problem ist, dass es keine präventive Suche gebe. „Es gibt nur wenige Orte, an denen systematisch gesucht wurde, etwa am Anhalter Bahnhof. Nur die Berliner Gewässer wurden sogar zweimal systematisch durchsucht“, sagt Spyra. Die meisten Funde, darunter auch die beiden aktuellsten, seien Zufall.

Schlafende Bomben können noch explodieren

Dabei sind die schlafenden Bomben nicht so ungefährlich, wie sie scheinen. Auch wenn sie lange in der Erde gelegen haben, können sie noch explodieren. „Es gibt einen Teil der Bomben, von dem ich annehme, dass er durch Selbstdetonation explodieren könnte. Das wird billigend in Kauf genommen“, kritisiert Spyra den Umgang mit den Kampfmittel-Altlasten. Dass Bomben im Boden nicht gefährlich seien, halte er für eine „falsche Einschätzung“.

Verantwortlich für die Kampfmittelbeseitigung ist das Land Berlin. „Wenn jemand Schaden an Gebäuden und Menschenleben in Kauf nimmt, ist das eine politische, keine fachliche Entscheidung“, sagt Spyra. Mit einer Auswertung von Luftbildern und historischen Archiven wäre es durchaus möglich, einen Großteil der Bomben aufzuspüren. Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unterhält ein Archiv mit Luftbildern. Bei der jetzigen Zufallsstrategie wird es allerdings noch Jahre dauern, bis alle Bomben gefunden wurden oder womöglich gar von selbst detoniert sind. „Wir reden von Generationen“, so Spyra.

Max Deibert, Pascale Müller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false