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Berlin: Botschaften aus der Heimat

Von Hermann Rudolph Im Stadtbild kann man sie nicht mehr übersehen – vor allem zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz, in der einstigen Mauerzone zwischen Ost und West, wo einst die Reichskanzlei lag und die Ministergärten und dann längere Zeit lang nichts. Denn dort haben sich die Landesvertretungen im Rudel niedergelassen – fünf gewaltige Kästen, Glas- und Natursteinfassaden, eine architektonische Großfamilie von unübersehbarer Verwandtschaft.

Von Hermann Rudolph

Im Stadtbild kann man sie nicht mehr übersehen – vor allem zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz, in der einstigen Mauerzone zwischen Ost und West, wo einst die Reichskanzlei lag und die Ministergärten und dann längere Zeit lang nichts. Denn dort haben sich die Landesvertretungen im Rudel niedergelassen – fünf gewaltige Kästen, Glas- und Natursteinfassaden, eine architektonische Großfamilie von unübersehbarer Verwandtschaft. Doch in Wahrheit arbeiten sie sich erst langsam vor ins Berliner Leben. Und noch immer fordern sie das Föderalismus-ungeübte Berlin mit ihren Fahnen und der verwirrenden Symbol-Sprache ihrer Wappen zum Ratespiel auf: welches Haus repräsentiert Hessen, welches das Saarland?

Aber was sind diese Landesvertretungen, die ein Hauptstadt-Attribut sind wie Dienstkarossen, Medienauftrieb und der Druck der Termine? Einerseits sind sie so etwas wie die Botschaften der Länder – kleine Ministerien, von denen aus ihre Vertreter an der Politik mitmischen. Andererseits sollen sie Abgeordneten, Beamten und Besuchern ein Stück Heimat bieten. Nicht zuletzt wollen sie zeigen, was die deutschen Länder so zu bieten haben. Also gibt es Streichquartette und Kunst-Ausstellungen, Grünkohlessen, Weinproben und Oktoberfest-Stimmung. Und es gibt wirklich den geforderten Wettbewerbs-Föderalismus. Kurz: sie sind die sichtbaren Bastionen des Föderalismus am Regierungssitz – und eine deutsche Besonderheit dazu.

Irgendwie sind sie natürlich auch ein Mitbringsel aus Bonn. Denn dort haben die Landesvertretungen über vier Jahrzehnte lang kräftig mitgewirkt am Fluidum der kleinen Politik-Hauptstadt am Rhein. Der Kranz der Villen, in denen sie residierten, in Fußwegs-Entfernung um Bundesrat und Kanzleramt gelegen, gehörte zu Bonn wie der Lange Eugen oder der Blick aufs Siebengebirge. Die Redewendung, dass einer nach „Berlin“ wolle oder aus „Hessen“ komme, umschrieb keine Gewaltmärsche, sondern den Verkehr zwischen diesen Knotenpunkten des politischen Betriebs. Er machte einen guten Teil des gesellschaftlich-geselligen Lebens der Bundesstadt aus – zumal an den Abenden, wenn die Landesvertretungen mit ihren Empfängen, Veranstaltungen und den viel gerühmten Gartenfesten die Stille des Regierungsviertels illuminierten.

Diese Häuser, in denen sich Politiker, das politische Fußvolk aus Ministerien und Parteien und Bürger mischten, gaben der Bonner Politik den landsmannschaftlich gefärbten Hintergrund. Sie ergänzten den Rhythmus von Sitzungen und Debatten mit einer parteiübergreifenden, bonn-typischen Kultur. Viele ihrer Haus-Herren waren geachtete, einflussreiche Größen – der Schwabe Seifriz zum Beispiel, eine bedeutende graue Eminenz in den sechziger Jahren, der Bayer Heubl, der wie ein Kurfürst residierte, aber auch eine Politikerin wie Vera Rüdiger, die erst Hessen und dann Bremen vertrat.

Nicht zuletzt wurde in den Landesvertretungen auch Politik gemacht. Im Haus von Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wurde 1969 die sozial-liberale Koalition gezimmert, und in der baden-württembergischen Vertretung versuchten 1976 die Verhandlungskommissionen von CDU und CSU die Scherben zu kitten, die der berüchtigte Kreuther Beschluss hinterlassen hatte.

In den Bonner Landesvertretungen spiegelte sich auch ein gutes Stück der Geschichte der Bundesrepublik. Ihre Anfänge lagen schon in Frankfurt, beim Wirtschaftsrat, einem der Vorläufer der Bundesrepublik. Dort waren es noch kleine Beobachtungsposten. In Bonn wuchsen sie im Rhythmus des noch halb provisorischen Lebens der Bundeshauptstadt heran, bis dann in den siebziger Jahren der große Ausbau begann. Land für Land erweiterten sich die alten Villen mit Bürogebäuden und Sälen – Bayern und Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und alle anderen. Dann kamen, nach der Wende, die neuen Länder, oft in den Häusern, die die alten gerade abgelegt hatten.

Genau genommen müssten sich die Landesvertretungen übrigens in Berlin nicht fremd fühlen. Historisch gesehen betreten sie angestammten Boden. Sie sind Nachfolger der Gesandtschaften, die die Länder im Kaiserreich in Berlin unterhielten. Eines der farbigsten Zeugnisse des Berliner Lebens in den Gründerjahren, die Aufzeichnungen der Baronin Spitzemberg, ist an diesem Stamme gewachsen – ihr Mann war württembergischer Gesandter. In der Weimarer Republik setzte sich diese Tradition fort. Die deutsche Teilung hat diesen Faden zerrissen. Dabei hatten viele Länder bis in die sechziger Jahre hinein den vielbesungenen Koffer in Berlin – in Gestalt von Grundstücken für den Fall einer Wiedervereinigung. Als die immer unwahrscheinlicher wurde, wurden sie verkauft. Nach dem Hauptstadt-Beschluss 1991 standen die Länder deshalb vor einem Neuanfang. Sie hatten es damit, einerseits, ziemlich eilig – schon vor der Entscheidung des Bundesrats, nach Berlin zu ziehen, forderten sie, ihre Vertretungen „gleichwertig“ mit den Bundesbauten in die Planung des Parlaments- und Regierungsviertels einzubeziehen, und zwar „in einem gemeinsamen Viertel“. An dem dann vorgesehenen Standort in den früheren Ministergärten stehen nun nur sieben, also weniger als die Hälfte. Die anderen haben andere Standorte gefunden – in großzügigen Altbauten oder Neubauten.

Andererseits ließen die Länder sich mit ihrem Auftritt in der Hauptstadt Zeit. Während die meisten ausländischen Botschaften unmittelbar nach dem Umzugs-Beschluss in Berlin Außenstellen errichteten, warteten sie ab. Nur Bayern, Bremer und Thüringer zeigten schon bald mit Veranstaltungen in Berlin Flagge. Ausgerechnet das erzföderale Bayern eröffnete dann zuerst seine Landesvertretung, im Dezember 1998, ein halbes Jahr später folgte Thüringen.

Vielleicht sind die Landesvertretungen deshalb noch nicht so präsent wie Bundestag und Bundesregierung. Allerdings: Die Landesvertretungen haben es in Berlin auch schwerer als in Bonn. Anders als dort konkurrieren sie hier mit dem großen Berliner Angebot an Veranstaltungen. Und während die Politik allein schon dadurch Aufmerksamkeit gewinnt, dass sie da ist, müssen sie sich – wie ein alter Kenner Bonn-Berliner Verhältnisse vermutet – „noch einen Markt erobern“. Doch wenn in der baden-württembergischen Vertretung die Stallwächterparty gefeiert wird – für diejenigen, die in den Parlamentsferien die Stellung halten – oder die Gäste in der Bayrischen Vertretung sich vor dem Bufett drängen, dann überkommt manchen Bundestagsabgeordneten oder Beamten schon ein Déjà-vu-Erlebnis. Dann ist es fast wie einst in Bonn – und doch Berlin.

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