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Manfred Stolpe war von 1990 bis 2002 Ministerpräsident des Landes Brandenburg.

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Brandenburger Kinderjahre: Manfred Stolpes Misstrauen gegenüber Helmut Kohl

Hans Otto Bräutigam war von 1990 bis 1999 der erste Justizminister Brandenburgs. Sein Chef war Manfred Stolpe. Nun erinnerten sich beide an die Jahre von Wende und Aufbau - und die alten Stasi-Vorwürfe.

Wenn die Grauhaarigen in die Vergangenheit eintauchen, ist Vorsicht geboten. Sie erzählen dann gerne vom Krieg, von den ganz großen und den kleinen Schlachten ihres Lebens, und die meisten haben sie in der Erinnerung gewonnen, irgendwie auch die, die sie ausweislich der Geschichtsbücher verloren haben. Die zwei, die sich jetzt in der brandenburgischen Landesvertretung in den Ministergärten verabredet hatten, Hans Otto Bräutigam und Manfred Stolpe, die erzählten nicht vom Krieg.

Die erzählten vom Frieden, als sie über ein Buch redeten. Geschrieben hat das Hans Otto Bräutigam. Der war von 1990 bis 1999 Minister für Justiz, Europa- und Bundesangelegenheiten in Brandenburg gewesen, und Manfred Stolpe als Ministerpräsident sein Dienstherr. Dementsprechend heißt das Buch „Meine Brandenburger Jahre. Ein Minister außer Diensten erinnert sich“. Stolpe und Bräutigam, 78 der eine, 84 Jahre alt der andere, trafen sich, über die gemeinsamen Jahre nachzusinnen. Kein Wunder, dass das Haus voll war von Menschen, die man Weggefährten nennt, der Sache und dem Geist nach.

Im abgeschirmten Raum lernten sie sich kennen

Man muss beider Alter erwähnen, denn da saßen zwei Männer, die höchste geistige Präsenz und Wachheit ausstrahlten. Der jüngere, Stolpe, der seit einem Jahrzehnt immer einen Schritt schneller als seine Krebserkrankung ist, und Bräutigam, der ältere, dem man noch ein halbes Jahrhundert nach seiner Zeit an der deutschen Botschaft in London britische Haltung anzusehen meint.

Dass die beiden überhaupt jemals in Berührung gekommen waren, hängt mit dem zusammen, was Bräutigam vor seiner Brandenburger Zeit und einem anderthalbjährigen Intermezzo als deutscher Vertreter bei den Vereinten Nationen beruflich gemacht hatte. Von 1982 bis 1989 leitete er die Ständige Vertretung der Bundesregierung bei der DDR, was so etwas wie eine Botschaft war, was man aber nicht so nennen wollte. In dieser von Bräutigam geleiteten Vertretung in der Hannoverschen Straße gab es einen sorgfältig abgeschirmten Besprechungsraum, in dem sich Stolpe, der evangelische Kirchenmann aus der DDR, immer wieder vertraulich mit bundesdeutschen Politikern und Kirchenleuten treffen konnte.

Da lernte er Bräutigam kennen und schätzen. Und erinnerte sich an den Diplomaten, als nach der Wende Nordrhein-Westfalen das bundesdeutsche Partnerland Brandenburgs wurde und Ministerpräsident Johannes Rau Stolpe nicht nur überredete, sich als Regierungschef zur Verfügung zu stellen, sondern auch Bräutigam als Verbindungsmann und Justizspezialisten vorschlug.

Warum keine CDU?

Stolpe stimmte zu, erzählt er jetzt, und begründete es so: „Ich kannte Bräutigam, ich bewunderte ihn wegen seiner Sachkunde und seines Einfühlungsvermögens. Er war für mich der beste Zugriff“. Da lächelt der „Zugriff“ und berichtet, dass er zwar vier Leute vorfand, die dem noch zu gründenden Justizministerium zugewiesen waren, von denen aber keiner Ahnung hatte, was ein Justizministerium ist. Dem ersten Kabinett Stolpe gehörten neben dem parteilosen Bräutigam der damals parteilich ebenfalls noch ungebundene Matthias Platzeck sowie Minister von SPD, FDP und Bündnis 90 an. Warum keine CDU? Dazu Stolpe: „Es gab eigentlich keine politischen Gegensätze, wir alle wollten ein Land, aber bei der CDU hatte ich den Verdacht, Helmut Kohl würde den CDU-Ministerpräsidenten sagen, wo es im Osten langgeht“. Diesen Verdacht fand er später, als Zaungast bei Treffen in Bonn, bestätigt.

Die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren tatsächlich Jahre des Aufbaus, auch wenn es eine Phase des Umbruchs in einer Region war, die man wegen ihres vom Chef, von Manfred Stolpe, vermittelten speziellen Brandenburger Heimatgefühls und seines Kümmerns um alles und jeden, auch spöttisch die kleine DDR nannte. Kein Ministerpräsident der neuen Länder hat so in einer symbiotischen Einheit mit der Mehrzahl der Bewohner gelebt wie Stolpe, der Kirchenjurist, der sich später wegen seiner amtsbedingten Kontakte mit Repräsentanten der SED mit IM-Vorwürfen konfrontiert sah.

Akribische Protokolle des Geschehens

Wie hat der damalige Justizminister Bräutigam die Angriffe gegen seinen Chef empfunden? Jurist Bräutigam reagiert diplomatisch, klug und eindeutig gleichermaßen: „Ich habe nie einen Zweifel an seinem Engagement für die Kirche gehabt. Ich war fest überzeugt, dass es Stolpe darum geht, die Freiräume der Kirche zu schützen und zu erweitern. Daraus ist letztlich die friedliche Opposition entstanden. Die Kirchen waren die einzige freie, demokratische Institution in der DDR, das ist Stolpe zu verdanken“.

Bräutigams Buch – es ist nicht sein erstes – führt in die aufregenden ersten Jahre nach der Wiedervereinigung zurück. Es sind nicht die üblichen Politikermemoiren mit deren verbreiteter Tendenz, eigene Verdienste überzubetonen, sondern eher akribische Protokolle des Geschehens.

Man spürt, dass Bräutigam Tagebuch geführt hat. Seine Erinnerungen an Regine Hildebrandt, die ihn wegen ihrer unverstellten Offenheit beeindruckte, sind genauso lesenswert wie die Schilderungen der gescheiterten Fusionsabstimmung 1996 oder seine nachdenklichen Anmerkungen zum Erstarken des Rechtsextremismus in Brandenburg. Dass die Wiedervereinigung kein Automatismus war, dass der Prozess durchaus auch hätte scheitern können, war eine Erkenntnis des Abends über das Buch hinaus.

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