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Gesicht für die Stadt. Shaan Syeds Freund Andrew Hull starb 2010 bei einem Fahrradunfall. Daraufhin hängte Syed Plakate mit dessen Konterfei in vielen Städten auf. Daraus hat er nun ein Buch gestaltet, das er heute in Berlin vorstellt. Foto: privat

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Buch zeigt Verfall von Plakaten: Die Kunst der Erinnerung

Andrews Gesicht hing monatelang auf Plakaten in der Stadt. Heute sind fast alle aus dem Straßenbild verschwunden. Sein Freund verarbeitete so dessen Tod.

Andrews Gesicht haben viele Berliner schon mal gesehen: eindringliche Augen, kantiges Gesicht, gewellte kurze Haare, resignierter Blick. Plakate mit der Bleistift-Skizze seines Kopfes wurden zum ersten Mal 2012 in Schöneberg, Kreuzberg und Prenzlauer Berg gesehen. Sein Name steht in geschwungenen Lettern unter der Zeichnung: Andrew, mehr nicht. Heute sind fast alle Plakate überklebt, überschmiert oder abgerissen. Und viele fragten sich: „Wer ist dieser Andrew?“

Andrew ist keine Marke. Die Posteraktion hat sich der kanadische Künstler Shaan Syed ausgedacht. Er hat dunkle kurze Haare, trägt eine Brille mit dünnem Rahmen und sieht etwas schüchtern aus. Die Bleistiftskizze zeigt seinen Partner, den Filmemacher Andrew Hull, der 2010 nach einem Fahrradunfall in London in seinen Armen verstarb. Shaan Syed entwarf daraufhin die Plakate, die Andrews Kopf zeigen, und hängte sie an vielen Orten in Berlin auf. Berlin, die Stadt, die Andrew Hull die Inspiration für zahlreiche Kurzfilme gab.

„Berlin machte Andrew zum Künstler“, sagt Syed. Anfang der 90er Jahre lebte Andrew Hull in Berlin und unterrichtete am Bauhaus Dessau. „Der Mauerfall prägte seine politische und künstlerische Einstellung.“ Deswegen wollte Shaan Syed die Plakate unbedingt auch hier aufhängen, nachdem er sie zunächst in Toronto und London verteilt hatte. „In den Monaten nach Andrews Tod hatte ich das starke innere Bedürfnis zu dem Projekt“, sagt Syed. „Meistens lief ich nachts alleine durch die Straßen und hängte die Plakate auf.“

"Verlust spielt eine große Rolle in der Kunst"

Durch ihren Verfallsprozess halfen ihm die Plakate, den Tod seines Freundes zu verarbeiten. Dabei beobachtete und fotografierte er die Reaktionen in den drei Städten: Viele Poster sind mit Graffiti überschmiert oder mit Werbung überklebt worden. Andrew nimmt Abschied von Berlin.

„Für viele von Andrews Freunden war es schwierig, sein Gesicht überall zu sehen“ sagt Syed. Für ihn aber war es notwendig, um den Tod seines Partners zu verkraften. Er glaubt, dass man sich mit dem Verlust beschäftigen muss, die Konfrontation suchen. „Verlust ist nicht nur Trauer, sondern spielt auch eine große Rolle in der Kunst. Immer da, wo es Verlust gibt, hat die Kunst ein großes Potenzial.“

Aus den Eindrücken und Reaktionen auf die Poster hat Shaan Syed nun ein Buch gemacht, „The Andrew Project – 1000 and Something Portraits in Toronto, Berlin and London“, das er am Sonnabend um 19 Uhr in der Galerie Michael Janssen in Schöneberg vorstellt. Zudem gibt es eine Tanzperformance der mit Syed befreundeten Künstler Benny Nemerofksy Ramsay und Jeremy Wade.

Was er da mache, fragten Shaan Syed viele, die ihn beim Kleben der Plakate beobachteten. Doch er sagte immer nur, er wisse nicht genau, was daraus mal wird. „Die Leute sollten frei sein, sich ihre eigenen Gedanken dazu zu machen“, sagt er. Erst jetzt, wo die meisten Plakate nicht mehr hängen, bekennt sich Syed zu der Aktion. Am Kottbusser Tor hingen die Plakate fast zwei Jahre. Ein Müllmann erinnerte sich: „Diese Augen werde ich nicht vergessen.“

Buchvorstellung am Sonnabend, 5. April, 19 Uhr, in der Galerie Michael Janssen, Potsdamer Straße 63, Schöneberg. Das Buch „The Andrew Project“ , gibt es dort für 12 statt 20 €, oder unter: www.shaansyed.com/andrew-project- bookwork

Simon Grothe

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