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Berlin: Buchhaltung für Kreative

Ein Coaching-Programm des Senats hilft jungen Unternehmen, professioneller zu werden – mit Erfolg

Eigentlich, so sagt man, sind Ratgeber selbst beratungsresistent. Insofern hätte Jutta Reckschmidt ihr kleines Berliner Unternehmen einfach weiterlaufen lassen können und – wer weiß – nicht zu dem Erfolg geführt, den sie heute vorweisen kann. Die 35-Jährige vertreibt unter dem Label „Liebeskummerpillen“ Schokoladentabletten gegen Liebeskummer, Traubenzuckerperlen gegen Lampenfieber und Weingummidrops gegen Herzklopfen – verpackt in kleinen Arzneipackungen mit Beipackzettel für 3,50 Euro die Packung. Beratung in Liebes- und Lebensfragen auf die süße Art ist für Reckschmidt ein einträgliches Geschäft geworden: Sie beliefert seit der Gründung im Frühjahr 2003 Szeneläden in ganz Deutschland, mittlerweile ist ihr Kundenstamm auf über 300 angewachsen. Einen Teil dieses Erfolges verdankt Reckschmidt einem Coaching-Programm der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen mit Kofinanzierung der Europäischen Kommission. Projektträger ist die Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung (gsub).

Rund 400 Kleinstunternehmen mit maximal 20 Mitarbeitern haben sich seit Programmstart Mitte 2001 schon von erfahrenen Trainern in die Bücher schauen und beraten lassen. „Dabei richtet sich unsere Förderung nicht an Start-ups, sondern an Unternehmen, die sich in der Phase der Professionalisierung befinden“, sagt Dorothea Gerke, die Projektleiterin. Momentan arbeiten 22 Trainer und mehrere Gutachter für die gsub. Kostenpunkt für die öffentliche Hand: 3500 Euro pro Unternehmen und Förderung.

In der ersten Phase schaut sich einer der Gutachter das Unternehmen an und befindet, ob ein Coaching Sinn hätte. Dann schickt Gerke einen oder im Bedarfsfall mehrere Berater hin, die sich darum kümmern, wo es brennt. „Meist mangelt es unseren Kunden an betriebswirtschaftlichem Know-how und an einer Marketingstrategie“, sagt Gerke. So war es auch bei Jutta Reckschmidt: Ihr fehlt es nicht an pfiffigen Produktideen, wohl aber an Fachwissen in Sachen Controlling und Bilanzierung. Kein Wunder: Sie hat Forstwissenschaft studiert und arbeitete danach als Journalistin.

Die letzte Evaluierungsstudie vom Dezember vergangenen Jahres, die von der Marketingagentur „wissenswert“ durchgeführt wurde, gibt den Befürwortern des Programms Recht: Bei gut 90 Prozent der Unternehmen habe sich die wirtschaftliche Situation verbessert, so das Ergebnis. Vor allem gelte das für die Zahl der Arbeitsplätze: Bei Eintritt in das Coachingprogramm hatten die bisher geförderten Firmen im Durchschnitt 14 Mitarbeiter, davon vier in Teilzeit. Heute stehen sie mit 39 Stellen (14 Teilzeit) deutlich besser da.

Daniel Hoffmann, Geschäftsführer des Berliner Finanzdienstleisters „Transparent“, hat sich ebenfalls beraten lassen. Er ist sichtlich zufrieden: „Bei uns gab es Hilfe zur Selbsthilfe.“ Als Betriebswirt mangelt es ihm zwar nicht an Fachwissen in Sachen Unternehmensführung. Wohl aber in punkto Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Zusammen mit dem Coach erarbeitete Hoffmann ein Konzept, um den Namen Transparent in einschlägigen Fachpublikationen zu platzieren. Seit den ersten Veröffentlichungen mehren sich die Anrufe interessierter Makler – von anfänglich rund 90 auf nunmehr 230, die für Hoffmann arbeiten. Und seine Firma schreibt seit Herbst 2004 schwarze Zahlen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ein staatliches Förderprogramm so viel bringt“, sagt Hoffmann.

Lisa Braun hingegen ist eine skeptische Stimme im Chor der Lobenden. Sie betreibt die Presseagentur „Gesundheit“ und litt vor dem Coaching vor allem an schlechter Zeiteinteilung; meist wusste sie nicht mehr, was sie im Angesicht des Papierberges auf ihrem Schreibtisch zuerst anpacken sollte. „Die Bewerbung für das Programm hat mir damals den Rest gegeben“, sagt Braun. Papierkram, ein Gutachterbesuch, Antwortbrief, noch ein Formular, und und und. „Zu viel Bürokratie“, beklagt sie. Mit dem Coaching selbst war sie allerdings zufrieden. Thema des Programms: Zeitmanagement. Dabei lernte sie, Deadlines einzurichten, unwichtige Arbeit nach hinten zu stellen, den ganzen Tag tunlichst durchzustrukturieren. Heute weiß sie mit ihren Stunden umzugehen.

Projektleiterin Gerke rechtfertigt den bürokratischen Mehraufwand. Schließlich müssten die Gutachter vor Beratungsbeginn in die Unternehmen hinein- schnuppern: „Nur so kann entschieden werden, an welcher Stelle die Beratung sinnvoll eingesetzt wird.“ Derweil kämpft sie für den Fortbestand des Coachings. Schon einmal, von November 2003 bis Mai 2004, musste sie alle Beratungen stoppen – wegen der Haushaltsnotlage in Berlin. Bis Ende dieses Jahres ist das Programm gesichert. Wie es danach weitergehen soll, steht noch nicht fest.

Martin Benninghoff

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