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Ungleiches Paar. Der Sozialarbeiter Fadi Saad und der Polizist Karlheinz Gaertner haben zusammen ein Buch über Neukölln geschrieben: „Kampfzone Straße – Jugendliche Gewalttäter jetzt stoppen“ erscheint Ende April im Herder-Verlag

© Kai-Uwe Heinrich

Buchprojekt „Kampfzone Straße“: Der Polizist, sein Freund und Helfer

Ein Kommissar und ein Ex-Gangmitglied haben ein Buch geschrieben. Die beiden verfolgen ein gemeinsames Ziel: Sie wollen die Gewalt in Neukölln stoppen.

Bist du verrückt?“ Ja, das hat selbst seine Familie gesagt, als er zum ersten Mal einen deutschen Polizisten mit nach Hause brachte. Fadi Saad lacht. „Ich kenn’ doch meine Leute“, sagt der 32-Jährige mit palästinensischen Wurzeln. Und jetzt sitzt er hier mit dem Polizisten Karlheinz Gaertner am Tisch, in Nord-Neukölln, das so etwas ist wie der schmuddlige Hinterhof der Stadt, mit Kriminalität und Gewalt, ein paar Meter entfernt von der Lebensader des Kiezes, der Karl-Marx-Straße. Dass sich hier zwei Lebenswege treffen, die lange kaum unterschiedlicher sein konnten, hat sie selbst überrascht. Nun haben sie sogar ein Buch zusammen geschrieben – das ehemalige Gangmitglied, der Schläger und Straßenräuber Fadi Saad und der Hauptkommissar Karlheinz Gaertner, der sich sein Berufsleben lang in diesem Brennpunktkiez mit solchen heranwachsenden Kriminellen wie Saad herumgeschlagen hat. „Kampfzone Straße“ heißt das Buch, mit der Unterzeile: „Jugendliche Gewalttäter jetzt stoppen“.

Sie wissen, wovon sie sprechen – und im Buch haben sie ihre Erfahrungen und Forderungen niedergeschrieben. Zwischen Karl-Marx-Straße und Sonnenallee, da sind sie zu Hause, auf die eine wie die andere Weise, derselbe Kiez, aber eigentlich zwei unterschiedliche Universen. „Ich war voller Hass, und mir fehlte die Anerkennung“, hat Fadi Saad über sich gesagt. Die Anerkennung gab es dann bei den „Araber Boys 21“. Er zog andere Jugendliche ab, er schlug zu, er trug ein Messer, und die Schule interessierte ihn nicht. Immer wieder wurde er angeklagt, wegen Körperverletzung, Raub, Nötigung, doch immer wieder kam er mit Verwarnungen und ein paar Stunden gemeinnütziger Arbeit davon. Erst beim achten Prozess verhängte der Richter einen Wochenendarrest.

Karlheinz Gaertner kennt solche Geschichten im Übermaß. Der kräftige 59-Jährige ist Dienstgruppenleiter im Abschnitt 54; einer, der sich Respekt verschaffen kann. Er erinnert sich aber an seine hilflose Wut über anlasslose Gewalttaten oder an aggressive Migranten, die provokativ in der zweiten Reihe parkten und ihn sofort anpöbelten. Sein Revier ist dort, wo vor wenigen Wochen der 18-jährige Jusef erstochen wurde. „Die permanente Gewalt und latente Aggression hängt einem zum Hals heraus“, sagt der breitschultrige Polizist mit über 40 Dienstjahren: „Es ist verrückt, aus welchen Nichtigkeiten heraus hier Leute niedergestochen werden.“ Der sinnlose Tod von Jusef passt für Gaertner in ein wiederkehrendes Schema, wie aus einem banalen Anlass einer angeblichen Beleidigung auf dem Fußballplatz in Kombination mit der Dummheit aller Beteiligten sich eine Katastrophe zusammenbraut. Eine spezifische Deutschfeindlichkeit sieht er nicht; eskaliert sei der Streit auch, weil der beteiligte „Bio-Deutsche“ mit dem Messer selbst „die Sache regeln wollte“, anstatt die Polizei zu rufen.

Wie aus einem Fußballturnier eine dauerhafte Zusammenarbeit wurde

Die Gewalt ist eines der Motive, die Saad und Gaertner zusammengebracht haben. Sie wollen etwas verändern, zu Lösungen beitragen und Brücken zwischen den Kulturen schlagen, deswegen gehen sie in die Schulen, reden mit den Eltern und den Jugendlichen. „Unser Ziel ist es, die Gewalt zurückzudrängen und für ein besseres Klima zu sorgen“, sagt Karlheinz Gaertner. So haben sie sich kennengelernt, 2007, als Saad schon ausgestiegen war aus seiner Gang und als Sozialarbeiter arbeitete. Da saß er eines Tages bei Gaertner auf dem Revier und schlug dem anfangs skeptischen Beamten eine Zusammenarbeit vor. Das erste Projekt war ein Fußballturnier, bei dem die Neuköllner Kids gegen Mannschaften der Polizei und der Feuerwehr spielten – auf Augenhöhe mit denen, die von den Jugendlichen in ihrem Alltag häufig als Gegner betrachtet werden, von denen sie sich schikaniert und diskriminiert fühlen.

Auf Augenhöhe, das ist ein wichtiger Begriff für Fadi Saad, der nach einem nachgeholten Hauptschulabschluss und einer Lehre Sozialarbeiter in Neukölln wurde und derzeit Leiter des Quartiersmanagements in Moabit ist – auch das ein Problemkiez. Auf Augenhöhe, das bedeutet Respekt und Akzeptanz, was ganz wichtig ist für jene arabischen und türkischen Jugendlichen, mit denen es Gaertner hauptsächlich zu tun hat. Das Neuköllner Fußballturnier ist inzwischen ein Selbstläufer, im vergangenen Jahr nahmen 22 Mannschaften teil.

Seit fünf Jahren schon arbeiten der Sozialarbeiter und Polizist zusammen.
Seit fünf Jahren schon arbeiten der Sozialarbeiter und Polizist zusammen.

© Kai-Uwe Heinrich

Vieles dreht sich um Respekt in ihrem Kiez. Respekt verlangen die jungen Männer von ihren Lehrern und von Amtsvertretern – und sind selten bereit, diesen auch anderen zu bezeugen. „Respektlosigkeit ist das größte Thema“, sagt Gaertner, und er meint damit nicht nur die Migrantenkids, sondern auch Rotlicht-ignorante deutschstämmige Radfahrer, die ihn beschimpfen, wenn er sie anhält. „Ich mache unseren Jungs schon klar, was Respekt ist“, sagt Saad, dessen markant-schiefe Nase das Ergebnis mehrerer Brüche ist: Erinnerung an seine Gang-Zeit. Deswegen geht er, den sie im Kiez „Großer Bruder“ nennen, in die Schulen. So hieß auch sein erstes Buch, in dem er aufgeschrieben hat, warum es sich im Leben lohnt, niemals aufzugeben.

„Wollt ihr wie Kinder oder wie Männer behandelt werden?“, frage er die Jugendlichen in der Schule. Wenn sie Respekt erwarten, dann müssten sie sich auch um Pünktlichkeit und saubere Kleidung bemühen – und Strafen fürs Zuspätkommen akzeptieren. „Konsequenz der Lehrer ist ein Zeichen von Respekt für einen Jugendlichen“, sagt Saad. Er ist ein Gegner der Kuschelpädagogik, wie er sie selbst erfahren hat. Erst als er im Arrest saß, habe er beschlossen, sein Leben zu ändern und aus der Gang auszusteigen. Auch repressives Handeln ist Prävention, sagt Saad.

Das gemeinsame Buch wird in der Rütli-Schule vorgestellt

Und ist damit wieder ganz nah bei Karlheinz Gaertner. „Auch unsere Gemeinsamkeit ist ein Hoffnungsschimmer“, sagt der Bulle, dem man zutraut, ziemlich grob sein zu können, wenn es drauf ankommt. Ein wenig habe sich bereits verbessert in Neukölln – durch das effektive Vorgehen der Justiz gegen Intensivtäter, durch den Wachschutz an den Schultoren, durch schnellere und härtere Strafen. Aber Gaertner sorgt sich, dass die Wachschützer zwar Störer von außen abhalten, aber einige wenige, nicht beschulbare Jugendliche reichten, um das Klima einer ganzen Schule kaputtzumachen.

Die beiden, die ihr Buch am 26. April in der Rütli-Schule vorstellen werden, sind sich auch darüber einig, dass es nur wenige, vor allem arabisch-stämmige Familien sind, die eine ganze Volksgruppe in Verruf bringen. Jede Hilfe für alle, die sich einbringen wollen, fordert Gaertner – und volle Härte gegen jene, die sich hier nie integrieren wollen. Aus der Erzählung über Familien, in denen er schon Mitglieder aus drei Generationen festgenommen hat, spricht die ganze Bitterkeit einer polizeilichen Sisyphos-Arbeit. „Wer nicht will, muss Konsequenzen tragen“, sagt Gaertner. Eltern, die sich nicht kümmerten, die die Polizei noch übelst rassistisch beschimpfen, wenn ihr Kind wieder und wieder bei Straftaten aufgegriffen werde, sollte das Familiengeld gestrichen werden.

Bei der Rolle der Eltern ist zu spüren. dass die beiden Männer sich auch reiben, dass es Funken geben kann. „Wir müssen die Eltern in Verantwortung bringen“, sagt Gaertner. Dass Erziehung vor allem Sache der Familien sei und nicht der auf Wissensvermittlung konzentrierten Schule, findet Saad dagegen falsch. Da kann sich der Staat nicht raushalten, sagt der temperamentvolle Mann, der mit sechs Brüdern und einer Schwester aufgewachsen ist: „Die Lehrer sehen die Kinder doch täglich länger als die Eltern.“ Ihm fehlt bei Schulen oft die Bereitschaft, auf Eltern zuzugehen und sie mitzunehmen. Mit bürokratischen Briefen oder schriftlichen Aufforderungen, sich an Schulfesten und Versammlungen zu beteiligen, gelinge das nicht, davon ist Saad überzeugt. Zumal selbst viele deutsche Eltern das komplizierte Schulsystem nicht verstünden. „Warum kann Sexualkundeunterricht nicht einfach Geschlechterkunde heißen?“, fragt Saad, der die Empfindlichkeit der muslimischen Familien kennt.

Veränderung – das sind viele kleine Schritte. „Begegnung, Respekt und die Bereitschaft, einander zuzuhören“, umreißen die beiden ungleich-gleichen Männer ihre Mission. Der zweifache Familienvater Saad, mit deutscher Staatsangehörigkeit und deutscher Ehefrau, kann jeden Tag spüren, wie schwer das ist. Obwohl Diskriminierungen weniger geworden seien, fühlten sich jugendliche Migranten in Berlin oft nicht zugehörig. Das beginne bei den Freizeitangeboten; Turnhallen bleiben am späten Abend mit Hinweis auf fehlende Hausmeister zu. Er sei gerade U-Bahn gefahren, erzählt Saad: Alles drängelte sich – nur die Plätze neben ihm seien leer geblieben. „Das ist auch verletzend.“

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