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Bürgerbeteiligung: Nicht jede Stimme zählt

Mitsprache per Gesetz: Lärmkommissionen wie die zum Flughafen BBI haben eine lange Tradition. Über ihre Bedeutung für die Demokratie gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Berlin/Schönefeld – Wenn man Michael Efler vom Bundesvorstand der Initiative „Mehr Demokratie“ auf die Fluglärmkommission anspricht, ist er relativ ratlos. „Also, eine offene Bürgerbeteiligung ist das nicht“, sagt er. „Eher ein stark reguliertes Gremium, eine institutionelle Angelegenheit.“ Mit der Berlin-Brandenburgischen Fluglärmkommission zum künftigen Großflughafen BBI, die derzeit auch nach Einschätzung tragender Mitglieder Chaostage veranstaltet, gibt es bundesweit 26 dieser Einrichtungen, in denen Kommunen, Bürgerinitiativen, Landesbehörden, Flughafengesellschaften und Airlines um den bestmöglichen Lärmschutz ringen.

Es ist wohl kein Zufall, dass diese Kommissionen 1971 in einem Fluglärmgesetz verankert wurden. In einer Zeit, als der Bürgerwille in der westdeutschen Republik aus dem Dornröschenschlaf erwachte. Doch im Gegensatz zu den örtlichen Initiativen und landesweiten Bewegungen, die aus eigener Kraft mehr Demokratie wagten, waren und blieben die Fluglärmkommissionen ein Versuch, bürgerliche Mitbestimmung von oben aufzupfropfen. Das Gremium, sei es für die Hauptstadtregion, Frankfurt am Main, Leipzig oder München zuständig, unterliegt den Bestimmungen des Luftverkehrsgesetzes. Das ist ein sehr spezielles und furchterregend komplexes Bundesrecht. Im Zusammenspiel mit Genehmigungsbehörden, dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung und der Flugsicherungsorganisation wird den von Lärm betroffenen Anwohnern und deren Gemeindevertretern nur eine beratende Funktion zugestanden.

Das ist auch der Grund, warum wackere Kämpfer für mehr direkte Demokratie, so wie Efler, ins Grübeln kommen. Denn letztlich werden die Routen für Starts und Landungen nicht von den Bürgern gemacht. Was sie innerhalb der Kommission erreichen können, ist: Vorschläge machen und die fachlich zuständigen Profis unter Rechtfertigungsdruck bringen. Die müssen ihre Pläne, die Fluglärm produzieren oder eindämmen, gerichtsfest begründen. Nicht mehr, nicht weniger. Aber selbst dies war in Berlin bis zum Herbst 2010 kein großes Thema. Wer weiß schon, dass für die innerstädtischen Airports Tegel und Tempelhof erst im März 1991, ein gutes Jahr nach dem Mauerfall, eine gemeinsame Fluglärmkommission eingerichtet wurde. Und dass in Tempelhof erst vier Jahre später bundesrechtlich vorgeschriebene Lärmschutzbereiche festgelegt wurden? Als etwa der Grünen-Politiker Michael Cramer 1992 im Abgeordnetenhaus schimpfte, „dass allein in Tegel 200 000 Menschen vom täglichen Lärmterror bedroht sind“, löste er damit in den Großsiedlungen rund um den Flughafen in Reinickendorf keinen Volksaufstand aus. Die Anwohner hatten sich weitgehend arrangiert, die Flughäfen waren der Nabel Berlins zur großen Welt, als hinzunehmendes Übel wurde der innerstädtische Fluglärm politisch fast ignoriert. Von der Lage rund um den früheren DDR-Flughafen Schönefeld wollen wir gar nicht erst reden.

Erst jetzt klettern Berlins und Brandenburgs Bürger auf die Barrikaden, ungeübt und unerfahren – während erbitterte und mit allen Mitteln ausgetragene Kämpfe um neue Startbahnen, Flugrouten, gestaffelte Gebühren und Schutzzonen etwa in Frankfurt am Main seit vielen Jahren zum Routinegeschäft bürgerlichen Widerstands gehören. Dort ist zurzeit auch die Hölle los. Es geht um die sogenannte Südumfliegung, die den hessischen Kommunen Groß-Gerau und Main-Taunus lärmmäßige Entlastung verschafft, dafür nimmt auf der rheinland-pfälzischen Seite der Lärm zu. Das kommt einem als Berliner bekannt vor. Das Zwischenergebnis: Die dortige Fluglärmkommission ist zerstritten, das Land Rheinland-Pfalz will klagen und das hessische Wirtschaftsministerium hat den Schwarzen Peter. Auch in Leipzig gibt es seit Jahresbeginn Stress im Fluglärmgremium. Und in der Kommission, die für den künftigen Großflughafen BBI zuständig ist, fallen die Interessen der Beteiligten inzwischen so weit auseinander, dass der frustrierte Sprecher der Initiative „Schützt Potsdam“, Markus Peichl, von einem „pseudodemokratischen Debattierklub“ spricht.

Vielleicht hilft es den Berlinern, vorerst wenigstens moralisch, dass der Landtag in Rheinland-Pfalz im Februar eine Bundesratsinitiative startete. Das Ziel: „Die Änderung der bundesrechtlichen Rahmenbedingungen bei der Festlegung von Flugrouten zugunsten des Lärmschutzes“. Und künftig solle die Routenplanung Bestandteil der Planfeststellungsverfahren für Flughäfen werden. Bisher fällt dies, wie auch Berliner und Brandenburger schmerzlich erfuhren, in Landes- und Bundesrecht auseinander. Für die Starts und Landungen auf dem Großflughafen BBI ab 2012 kommt diese Initiative wohl zu spät. Aber Flugrouten werden immer mal wieder geändert. Die Wiesbadener Bundesratsinitiative für mehr Lärmschutz wurde übrigens, vielleicht weiß das der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, noch von der SPD-Alleinregierung beschlossen. Bei Enthaltung von CDU und FDP.

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