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Um Burschenschaften im Allgemeinen und die Gothia im Besonderen, gab es zuletzt viel Wirbel.

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Burschenschaften in Berlin: Ein Bund fürs Leben

Er hatte die Wahl: entweder das Amt oder die Burschenschaft. CDU-Staatssekretär Michael Büge entschied sich für die Tradition. Eine Frage der Ehre? In Berlin verstehen seinen Schritt sogar liberale Studenten. Auf der Suche nach dem Wert einer Verbindung.

Am Zaun gibt es keine Klingel, am Briefkasten steht kein Name. Trotzdem wissen alle in der Zehlendorfer Königstraße, im Südwesten der Hauptstadt, wer in dieser Stadtvilla zwischen Tannen und Birken zu Hause ist. Und die Bewohner wollen es auch gar nicht verheimlichen.

Ein Sandweg führt zum Haus, davor drei leere Parkplätze, ein paar Fahrräder neben der Tür. In der Mittagssonne hängt eine Deutschlandfahne von der eierschalenfarbenen Wand. Aus dem zweiten Stock reckt sich eine Terrasse, darüber ein meterhohes Schild in Orange, Weiß, Schwarz. Es ist das Wappen der „Gothia“, einer 1877 gegründeten Burschenschaft, Wahlspruch: „furchtlos und beharrlich“.

Um Burschenschaften im Allgemeinen und die Gothia im Besonderen, gab es zuletzt viel Wirbel. In der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus halten viele die Gothia für eine gefährliche Melange aus Nationalkonservativen und Rechtsradikalen. Nach monatelangem Druck hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit kürzlich ein Gothia-Mitglied entlassen: An diesem Sonntag endet die Amtszeit von Michael Büge. Der CDU-Politiker war bislang Staatssekretär für Soziales.

Büge wollte die Gothia partout nicht verlassen, selbst um den Preis seines Amtes. Warum bleibt ein Politiker lieber in seiner Burschenschaft als in seiner Landesregierung? Was macht das eine wichtiger als das andere? Eine Frage der Ehre? Oder sind Burschenschaften schlicht Karrierenetzwerke, verlässlicher als die Postenverteilung in der Politik?

Burschenschaften waren schon fast in der Versenkung verschwunden

Aus dem Zehlendorfer Verbindungshaus gibt es derzeit keine Antworten. Immerhin war Gothia-Sprecher Thomas Elsholtz, im Hauptberuf PR-Berater, bereit, über den Gesprächswunsch mit seinen Bundesbrüdern zu reden. Ein paar Tage später die Rückmeldung: Der Rummel der vergangenen Monate sei heftig gewesen, man wolle vorerst unter sich bleiben.

Burschenschaften waren schon in der Versenkung verschwunden. Wer ihnen beitritt, ob wegen der Familie, der Überzeugung – Burschenschaften verstehen sich als politische Verbindungen – oder wegen des Studentenzimmers, behält das meist für sich. Seit der Bildungsreform in den 70er Jahren wurde das traditionelle Burschenschaftermilieu bürgerlicher Männer in den Hörsälen kleiner. Arbeiterkinder und Frauen strömten an die Hochschulen. Erst vor zwei Jahren kehrten die Traditionsverbindungen schlagartig ins Bewusstsein zurück. In der Deutschen Burschenschaft – dem Dachverband, dem die Gothia angehört – wurde über die Abstammung eines deutsch-chinesischen Studenten gestritten. Und ein Bonner Burschenschafter erklärte den im KZ ermordeten Dietrich Bonhoeffer zum „Landesverräter“.

Bei Gothia heißt E-Mail unironisch E-Post

Um Burschenschaften im Allgemeinen und die Gothia im Besonderen, gab es zuletzt viel Wirbel.
Um Burschenschaften im Allgemeinen und die Gothia im Besonderen, gab es zuletzt viel Wirbel.

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Nicht nur deshalb scheinen die Verbindungen aus der Zeit gefallen zu sein. Bei der Gothia heißt E-Mail unironisch E-Post. Und im Internet wirbt sie mit Bildern aus ihrer Villa, auf denen fast nur Historisches zu sehen ist: Da ist der „Paukflur“ und der „Kneipsaal“, da hängen im „Chargenzimmer“ zwei Säbel an der Wand. Als Pauken werden Fechtübungen mit stumpfen Klingen bezeichnet, „Kneipe“ ist eine Feier, bei der die Burschenschafter in Uniformen erscheinen. Die „Chargia“ wiederum ist der meist drei- bis vierköpfige Vorstand, der jedes Semester gewählt wird.

Doch die Gothia schreibt auch, bei ihr erlerne man „das Beherrschen eines zielorientierten Führungs- und Entscheidungsverhaltens“. Dass ein Studentenzimmer in der Villa ab 150 Euro zu haben ist, schadet sicher auch nicht – bei WG-Zimmer-Preisen von sonst in Berlin üblichen 400 Euro.

Gegenüber der Villa hat das Finanzamt in einem für Zehlendorf selten hässlichen Bau seinen Sitz. „Man hört von denen wenig“, sagt eine Mitarbeiterin mit gleichgültigem Blick auf die Villa. Manchmal kämen Typen raus, die „schmierig aussehen, feist“, manchmal „hübsche Buben“. Rechtsradikale Parolen seien ihr nicht aufgefallen.

Glaubt man den Gothen, sind sie Patrioten, die Wert auf Tradition und Bildung legen; als Referent kam schon SPD-Adel Egon Bahr. Kontakte zu Rechtsradikalen pflege man nicht. Der Verfassungsschutz in Berlin beobachtet anders als in Hamburg keine der Verbindungen. Es gebe aber Kontakte einzelner Berliner Burschen zu „relevanten Rechtsextremisten“, sagt ein Kenner.

Verbindungen schotten sich gern ab

Dabei hatten die Studentenverbindungen, zu denen man Corps, Burschen- und Landsmannschaften zählt, ganz anders angefangen. Einst trugen sie die Ideale der Französischen Revolution nach Deutschland. Für Akademiker, progressive zumal, war das Verbindungsleben selbstverständlich. Karl Marx trat der Landsmannschaft der Treveraner bei, aus der das heutige Corps Palatia in Bonn hervorgegangen ist.

Jemand, der sich beruflich mit Burschenschaften befasst, ist Alexandra Kurth von der Universität Gießen. Sie hat über „Männerbünde im Zivilisationsprozess“ promoviert. Kurth zufolge steht die Gothia für einen „völkischen Nationenbegriff“, im Dachverband gebe es Rassismus. Die Politologin wertet Debatten aus, liest Szenepublikationen, spricht mit Burschenschaftern – wenn sie denn reden wollen. Oft sei das schwierig, die Verbindungen schotteten sich gern ab.

Nach wie vor sei Networking ein wesentlicher Grund, einer Burschenschaft beizutreten, sagt Kurth. Burschenschaften würden aber nicht nur Karrieristen anziehen. Die Verbindungen böten weniger festen Charakteren feste Rituale. Das bedeute neben Pflichten auch Sicherheit, die gerade Männer suchten, die zuvor allein waren. Und daneben gebe es die Ideologen, die sich als politische Missionare verstehen und eben in Burschenschaften organisiert sind.

1000 Studentenverbindungen in Deutschland - 45 davon in Berlin

Neben der Gothia gilt in Berlin die Märker, 1842 gegründet, Wahlspruch: „Ehre, Freiheit, Vaterland“, als besonders rechts. Die Märker sitzen ebenfalls in Zehlendorf, in der Podbielskiallee. Eine Anfrage per E-Post – auch sie haben ein libidinöses Verhältnis zur deutschen Sprache – beantworten sie nicht. Nachbarn gibt es wenige, in der Allee residieren Anwälte, Steuerberater, die libysche Botschaft. „Völlig unauffällig“ seien die Märker, sagt ein Mann mit Herrenhandtasche. Die Medien verbreiteten bloß „Propaganda aus der linken Ecke“.

In Deutschland gibt es mehr als 1000 Studentenverbindungen. Davon sind 45 in Berlin ansässig. Je nach Satzung wird gesungen, gefochten, gesegelt, es gibt Männerbünde, Frauenvereine, katholische und konfessionslose Zusammenschlüsse. Elf Verbindungen bezeichnen sich als Burschenschaft, viele haben rund um die Freie Universität im Südwesten ihre Häuser. Geschätzte 150 aktive Burschenschafter gibt es unter den fast 150 000 Studenten. Genau weiß das niemand, eine Anfrage der Linken-Fraktion muss der Senat noch beantworten.

Viele Burschenschaften sind wegen des Nachwuchsmangels verstärkt auf das Geld ihrer „Alten Herren“ angewiesen. So werden die nicht mehr aktiven, oft in alle Welt verstreuten Mitglieder bezeichnet, die dank ihres beruflichen Erfolges die Verbindung unterstützen können. Männer wie Staatssekretär Büge. Nicht immer reicht das. Vier der elf Berliner Burschenschaften sind inaktiv.

"Stark und treu, wahr und frei!"

Um Burschenschaften im Allgemeinen und die Gothia im Besonderen, gab es zuletzt viel Wirbel.
Um Burschenschaften im Allgemeinen und die Gothia im Besonderen, gab es zuletzt viel Wirbel.

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Erst seit der Wende wieder aktiv ist auch die kleine Salingia. Bei der Salingia, 1900 gegründet, Wahlspruch: „Stark und treu, wahr und frei!“, nennt man E-Mail tatsächlich E-Mail. Und auch sonst ist einiges anders als in Zehlendorf. Es wird nicht gefochten, Frauen sind willkommen, man schätzt „das Mäßigkeitsprinzip“, sprich: Totalbesäufnisse sind selten. Im „St. Oberholz“ am Rosenthaler Platz in Mitte sitzen drei der zehn aktiven Salinger. Man hat Manieren: Kommt Besuch, wird vom Tisch aufgestanden, Händedruck, in die Augen schauen: „Hallo!“

Mit einem günstigen WG-Zimmer hat es bei Thomas, 24 Jahre alt, angefangen. Vor vier Jahren zog er aus Bonn zum Studium nach Berlin, Asien- und Afrikawissenschaften an der Humboldt-Universität. Um die Ecke besitzt ein Alter Herr der Salingia ein Mietshaus. Thomas zog in die WG im Erdgeschoss. Der Burschenschaft beizutreten, hatte er dabei nicht im Sinn: „Dann bin ich mal auf einen Abend mitgegangen, alle waren so herzlich“, sagt er. Zehn Euro zahlt er nun pro Semester in die Salingia-Kasse. Gemeinsam gehen sie in die Oper, laden Referenten ein, berichten einander von Reisen.

Thomas ist Vorsitzender der Salingia-Chargia und widerlegt optisch alle Klischees eines Burschen: Holzkette, offenes Hemd, halb lange Haare. Neben ihm sitzt Annemie, 23 Jahre, Kommunikationsdesignerin, kürzlich war sie noch Schriftführerin. Die Debatte um rechtsradikale Burschenschafter mache es ihnen nicht leicht. „Blöde Sprüche gibt es schon“, sagt sie. „Viele Kommilitonen schreckt das ab.“ Fotos von sich wollen die Salinger nicht machen lassen.

Die Farben der Salinger sind Schwarz, Weiß, Blau

Im St. Oberholz dabei ist Bryan, 39 Jahre alt, Bürstenhaarschnitt. Ein wenig sieht man ihm den Bundeswehr-Unteroffizier noch an. Inzwischen ist er Sozialpädagoge. In der Salingia ist Bryan der „Fuxmajor“, also derjenige, der Neulinge – „die Füxe“ – mit den Riten vertraut macht. Wer außerhalb einer Burschenschaft sagt schon „Tempus“, wenn er „Pause“ meint, „auf dem Haus“, wenn vom Verbindungsheim die Rede ist, oder „Kommers“, wenn eine offizielle Feier ansteht.

Die Farben der Salinger sind Schwarz, Weiß, Blau, im Wappen ist der Berliner Bär zu sehen. Sie gehören zum Schwarzburgbund, einem liberalen, überwiegend christlichen Dachverband.

Der Keller des Mietshauses in der Nähe des Rosenthaler Platzes ist zum Verbindungsheim ausgebaut. Auf einem Regal steht ein ausgestopfter Fuchs, am Kopfende des Tisches hängt eine schwarz-weiß-blaue Fahne aus fester Seide. Rund 40 Alte Herren und Hohe Damen gehören zur Salingia. Es waren mal mehr, davon zeugen Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden.

Abgesehen davon, dass Fuxmajor Bryan schon den ein oder anderen Sozialdemokraten „für ganz, ganz links“ hält, sind die Salinger weit von dem entfernt, was allgemein mit Burschenschaften verbunden wird. „Uns vereinen christliche Werte, ohne konfessionellen Zwang“, sagt Bryan. Gemeinschaftssinn ohne völkischen Überbau. Thomas sieht sich eher als Grünen, Annemie als „liberal im besten Sinne“. Von autoritärem Verschwörertum ist wenig zu spüren.

Keinen Karrierenutzen

Dass ihre Verbindung als Karrierenetzwerk funktioniert, bezweifeln die drei. „Es gibt keine Jobgarantie, dazu sind wir auch zu klein“, sagt Thomas. „Aber wir helfen einander, unsere älteren Mitglieder geben Erfahrungen gern weiter.“ Bryan wirft ein, dass in den Verbindungen der Generationenvertrag wohl noch am besten funktioniere.

„Eine Burschenschaft ist ein Lebensbund“, sagt Annemie. „Ich habe für immer wertvolle Ansprechpartner.“ Auf Reisen gebe es Schlafplätze in den Häusern befreundeter Verbindungen, bei Fragen zu Studium und Beruf sei immer Hilfe da. Fuxmajor Bryan zählt auf, wer einst Bruder im Schwarzburgbund war, Ernst Reuter, Albert Schweitzer ... Insofern, Büges Entscheidung können sie nachvollziehen. In einer solchen Linie zu stehen, gibt man nicht auf. Da zählt die Macht eines Staatssekretärs wenig bei einer fast 140 Jahre zurückreichenden Verbindung, die dazu noch Jahrzehnte fortgeschrieben wird.

Zahlenmäßig, sagt Forscherin Kurth, werden die meisten Burschenschaften dennoch kaum wachsen. Der Zeitgeist sei ein anderer. Aber man hält Schritt: Der „Couleurbummel“ ist eine Sitte, bei der Studenten von Verbindungshaus zu Verbindungshaus ziehen. Am Ende sind sie meist betrunken. Für Smartphones gibt es eine Couleurbummel-App: Wer neu in einer Stadt ist, dem zeigt das Handy die örtlichen Verbindungshäuser an.

Erfunden wurde die App nicht in den versiegelten Villen in Zehlendorf. Erfunden hat die Software ein Student einer Aachener Verbindung, nicht völkisch, nicht fechtend, sondern katholisch.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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