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Berlin: Bus-Entführer inszeniert sich als Opfer: Schuld ist die Polizei Der Bankräuber und Geiselnehmer Dieter Wurm kaperte vor einem Jahr

einen Doppeldecker der BVG. Sein Prozess in Moabit hat jetzt begonnen

Gregor Gysi betritt gänzlich unbemerkt den Gerichtssaal 500. Die Menge schart sich gerade um Dieter Wurm, den Bankräuber und BusEntführer. Wurm, 47 Jahre alt, trägt Kinnbart, eine schwarze Lederweste und Schiebermütze. Der Prozess ist noch nicht eröffnet, da erklärt Wurm schon einmal dem Publikum, wie das so war am 11. April 2003: bei dem Überfall in der Steglitzer Schloßstraße, der anschließenden Geiselnahme und weshalb er auch nach Stunden, am Sachsendamm eingekesselt von Polizei und Scharfschützen, nicht ans Aufgeben dachte. „Ich wusste, wenn die mich schnappen, kriegste die Dresche des Jahrhunderts“, sagt Wurm. Blitzlichter spiegeln sich auf dem Panzerglas vor der Anklagebank.

Dabei wäre die gefürchtete Prügel sicherlich das kleinere Übel gewesen. Denn es war schon kein seidener Faden mehr, an dem Wurms Leben gegen Mittag des 11. April hing, sondern bestenfalls noch eine Faser: Der Einsatzleiter hatte den Geiselnehmer zum Todesschuss freigegeben. Wurm sagt, dass er sich selbst gerade eine Kugel in die Brust jagen wollte, als er von zwei Geschossen in die Schulter niedergestreckt wurde. Wurm gestikuliert mit der rechten Hand, wechselnd spielend die Rolle: vom Täter zum Opfer, vom Angeklagten zum Kläger. „Die Truppe ist über mich hergefallen, hat mich grün und blau geprügelt!“, lamentiert Wiederholungstäter Wurm.

Die Kunden in der Bank, die Geisel, der Busfahrer – ihnen fällt es schwer, mit Herrn Wurm echtes Mitleid zu empfinden. Der 40-jährige Busfahrer wagt sich bis heute nicht hinters Steuer, wenigstens hat er einen prominenten Anwalt für die Nebenklage gewonnen: Gregor Gysi, den Ex-Vorsitzenden der PDS und Ex-Wirtschaftssenator Berlins. „Mein Mandant leidet unter Schweißausbrüchen, zittert, sieht die Situation immer wieder vor sich“, sagt Gysi im Talar.

Geht es um die verängstigten Geiseln, gibt sich Wurm zerknirscht. „Die haben mir Leid getan.“ Er sei nur in den Bus gesprungen, um an einem belebten Platz das Weite suchen zu können. Dies habe aber die Polizei mit ihrem Großaufgebot verhindert und „die Sache dann eskalieren lassen“. Fast die Hälfte seines Lebens hat der gebürtige Westfale in Heimen und Gefängnissen verbracht, verurteilt wegen mehrfachen Bankraubes und räuberischer Erpressung, einmal mit Sprengstoff. Eine Tätowierung auf dem Unterarm brachte ihm seinen Spitznamen ein: der Skorpion. 1988 nutzte der „Skorpion“ sogar einen eintägigen Hafturlaub, um mit einer Maschinenpistole in die nächste Bank zu marschieren. Im Januar 2001 setzte das Gericht dann auf die Weisheit des Alters: Es entließ Wurm auf Bewährung, im Februar 2003 war der arbeitslose Ex-Häftling nach eigenen Worten allerdings „wieder so weit“. Wurm: „Ich hatte wahnsinnige Geldprobleme.“

Dutzende Zeugen haben im April zwei Männer in der Commerzbank beobachtet, aber am ersten der sieben angesetzten Prozesstage bleibt Wurm bei seiner Antwort: „Ich sage nicht, wer das war.“ Vielleicht hat Wurm ja wieder Angst vor schwerer Prügel: Wer einen Komplizen verpfeift, hat im Gefängnis nichts zu lachen. „Verräter“ rangieren in der Knast-Hierarchie ziemlich weit unten – nur Kinderschänder sind noch unbeliebter. Ansonsten eignet sich so ein Unbekannter natürlich prima als Sündenbock. Kopf des Coups sei sein Komplize gewesen, sagt Wurm. „Ich war nur Gehilfe.“

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