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BVG-Streik: Verkehrte Welt: Mit einem Lächeln zur Arbeit

Stadt, Land, Stau – wie die Berliner den unmöglichen Freitag meisterten Geschichten von langen Fußwegen und kurzen Glücksmomenten.

Donnerstagabend, 23 Uhr, ein Taxi hält am Gendarmenmarkt. Eine Frau steigt ein: „Schon gehört“, fragt der Fahrer und strahlt übers ganze Gesicht, „die BVG streikt – schon ab morgen früh! Endlich mal ein gutes Geschäft.“ Am nächsten Morgen, ein anderer Taxifahrer am Potsdamer Platz: „Wie es läuft? Na, wunderbar. Ich bin seit 6 Uhr in Fahrt. Ständig kommen Anfragen über Funk. Wenn einmal im Monat BVG-Streik wäre, könnte ich in ein paar Jahren mit Taxifahren aufhören!“

Prinzenstraße, Kreuzberg. Man steht an der Straße, kein Bus fährt, was tun? Man hält den Daumen raus, fast wie früher zu Student. Reaktion I.: Typ in Auto lacht. Reaktion II: Typ in Auto hält den Daumen runter. Reaktion III: Typ zeigt den Mittelfinger. Reaktion IV: Eine Frau hält an, wirft die Tür ihres klapprigen VW-Kleinwagen auf und fragt: „Wohin?“ – „Charlottenburg?“ – „Steigen Sie ein.“ So ein bisschen fühlt man sich wie im Taxi. Nur kostenlos. Und freundlicher.

Kladow ist quasi abgeschnitten von Berlin. Im Süden: Wald. Im Westen: Wald. Im Norden: Die Rieselfelder. Die nächste S-Bahnstation ist 11,8 Kilometer entfernt und definitiv zu weit entfernt für einen flotten Fußmarsch am Morgen. Rettung kommt übers Wasser: Die kleine Fähre F 10 fährt alle halbe Stunde – und bringt die Kladower gemächlich nach Wannsee, zum S-Bahnhof.

Hermannplatz, Neukölln: Den besten Platz auf die schimpfenden Fahrgäste haben die zwei Damen vom Grill in ihrem Würstchenwagen. „Zwischen sieben und acht Uhr waren die Leute hier nur am Schimpfen“, sagen sie. Die meisten hätten erst vom Streik erfahren, als sie das Schild an der geschlossenen Tür zum U-Bahneingang gesehen hätten. „Die sind fast alle zu Fuß zum S-Bahnhof Hermannstraße gelaufen und von dort weiter gefahren“, sagen die Verkäuferinnen. An den Bushaltestellen stehen auch um kurz nach 9 Uhr vereinzelt noch Leute – sie warten auf den Bus wie auf ein Wunder. „Vielleicht kommt ja doch noch einer“, sagt eine Frau – und wartet weiter.

In der Lebensmittelabteilung bei Karstadt am Hermannplatz machen sich die Auswirkungen des Streiks bemerkbar. „Hier sind viel weniger Kunden als sonst an einem Freitagmorgen“, sagt eine Verkäuferin. Sie selbst habe am Morgen eine Spontan-Fahrgemeinschaft mit einer Kollegin gebildet, um pünktlich zur Arbeit erscheinen zu können. Vorbildlich.

Kottbusser Tor, Kreuzberg: Die Leute aus der Drogenszene frieren am Morgen vor dem Kaiser’s. „Tja, eigentlich ist ja der Übergang von der U1 zur U8 unser Wohnzimmer, aber nun ist ja alles dicht“, sagt ein Mann und nimmt einen kräftigen Schluck aus seiner Bierflasche. Viele aus der Szene seien heute gar nicht da. „Die hatten keine Lust draußen zu frieren“, sagt er. Da alle Treppenzugänge zu den Bahnhöfen zugesperrt sind, sind auch die Läden auf den Bahnhöfen- und übergängen dicht. „Die werden ein dickes Minus machen“, sagt ein Passant. „Stimmt“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Rund 400 Kioske, Bäckerläden und Blumenläden gibt es auf den Bahnhöfen der BVG. „Wir haben am Donnerstagabend noch versucht, alle Betreiber zu erreichen und sie zu informieren“, sagt Reetz. Für die Ladenbesitzer bedeutet der Streiktag nicht nur Einnahmeverluste. Auch bestellte Ware muss storniert werden. Wenn es dafür zu spät war, verdirbt sie. Doch Schadenersatz können sie bei der BVG nicht geltend machen. „Streik ist höhere Gewalt, das ist so rechtlich geregelt.“

Man muss zur Arbeit laufen – aus den bekannten Gründen. Und es ist schön, unter den Yorckbrücken mal nicht allein zu sein, fast geht so munter zu wie am Tauentzien, so viele Menschen schlendern hier lang. Man begegnet Leuten, die anscheinend seit Jahren nicht mehr zu Fuß unterwegs waren: Kurzatmig und mit knallroten Ohren. Der Stress! Und alle gucken grinsend die Jugendlichen an, die mit Ohrenstöpseln vom i-Pod an Haltestellen stehen warten – und vom Streik der BVG nichts mitbekommen haben.

Mitten im Winter bricht der Frühling aus: In Wilmersdorf huschen kreuz und quer zig Radler über den Asphalt, sie klingeln fröhlich, fahren in Zweierreihen die Straße entlang – wie an den ersten milden Frühlingstagen. Schön: Und kein Mensch hupt, nicht mal die 3er-Fahrer. So entspannt ist’s selten.

Bahnhof Zoo: Draußen fahren im 20-Minuten-Takt Busse der Linie 204 in Richtung Schöneberg, Endhaltestelle Lindenhof. „Wir sind ein von der BVG beauftragtes Privatunternehmen“, erklärt der Fahrer. Im Bahnhof, der seit dem Wegfall des Fernverkehrs im Frühjahr 2006 ein Schattendasein führt, verkehren zwar die S-Bahnen – doch von einem besonderem Andrang kann keine Rede sein. „Es ist ein schlechter Tag“, sagt die Verkäuferin im Souvenirshop, „die Leute rennen gefrustet vorbei“. Eine Apothekerin sagt: „Gestern war mehr los.“

Sein Kragen ist gegen die Kälte hochgeschlagen, sein Blick hat etwas Flehendes. Seinen Daumen hält er in den Wind: ein tapferer Tramper, keine Frage. Jedoch einer mit wenig Glück. Von den Autos, die an ihm vorbei rauschen, hält kein einziges. Es könnte an seinem Standort liegen. Er wartet nicht an einer Autobahnauffahrt Richtung Spanien – er steht am U-Bahnhof Kottbusser Tor. Er will nur zur Arbeit.

Tauentzienstraße. Der Mitarbeiter des Stadtrundfahrten-Anbieters „Berlin City Tour“ ist zufrieden. Der grün-weiße Doppeldeckerbus, der bis zur nächsten Fahrt gegenüber vom Europa-Center parkt, habe deutlich mehr Fahrgäste. „Das sind Touristen, die ihr Sightseeing sonst mit den BVG-Buslinien 100 und 200 machen.“ Nun müssen die Touristen mehr ausgeben: 15 Euro kostet die 90-minütige Rundfahrt, die unter anderem zum Brandenburger Tor und Potsdamer Platz führt. Immerhin, ihr Bus fährt.

Kurfürstendamm. Der Boulevard ist weniger belebt als üblich, was auch eine Verkäuferin bei Wertheim bestätigt: „Heute ist weniger los.“ Bei Hugendubel findet eine Kassiererin den Tag dagegen „ganz normal“. Rund um den Breitscheidplatz sind viele Imbissbuden aufgebaut, an denen sich am Sonntag die Teilnehmer des Karnevalsumzug stärken können. „Zum Glück ist der Streik dann vorbei“, freut sich eine Bratwurstverkäuferin.

Berliner Straße und Innsbrucker Platz : Man sitzt am Küchentisch, als das Handy des Bruders klingelte. Er freut sich, seine Lebensgefährtin nicht. Sie kündigt an, dass sie bis zum Hermannplatz laufen wolle. Sie schafft es tapfer bis zum Mehringdamm und nimmt sich dann doch lieber ein Taxi. Man selbst setzt sich aufs Fahrrad – und staunt: Die sonst so ruhige Straße ist voll mit Fußgängern.

Straße Am Friedrichshain. Dicht an dicht stehen die Autos. Auf einer der vier Fahrbahnen. Denn niemand traut sich, auf die Busspur zu wechseln, obwohl die nächsten 24 Stunden kein großer Gelber kommen wird. Wer trotzdem die Frechheit besitzt, auf die Sonderspur zu wechseln, der wird an der Ampel zur Friedenstraße ein paar hundert Meter vorne bestraft. Durch Nichtachtung. Wer rechts ausgeschert ist, hat nicht die geringste Chance, sich wieder nach links einzuordnen. Berlins Autofahrer haben immer Recht. Egal, was kommt.

AG/CD/suz/mho/tabu/uem

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