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Trügerisches Glück. Spielhalle am Mehringdamm in Kreuzberg.

©  Mike Wolff

Spielhallen in Berlin: Casino fatal

Spielhallen gelten als Plage – in Berlin vermehren sie sich ungehindert. Ein neues Gesetz soll dies stoppen und der Sucht vorbeugen, doch Fachleute bezweifeln den Nutzen der Maßnahme. Und aus der Branche wird geklagt, es treffe ohnehin die Falschen.

Man muss schon hineinwollen. So ein Automatencasino betritt man nicht einfach so. Neben der verspiegelten Tür ist eine Klingel zu betätigen. Drinnen, verborgen hinter den mit Werbung und bunten Folien verklebten Schaufenstern, hat man das Gefühl: Künstliche Welt! Das Licht gedämpft, außer simplen elektronischen Melodien ist nicht viel zu hören: Spieler sind gern für sich. Die Automaten warten. „Was zu trinken?“, fragt die dunkle Schönheit freundlich. Hinter einem Schalter wacht sie über den Betrieb, hat alles über Monitore im Blick.

Draußen ist heller Nachmittag. Über die Gneisenaustraße rauscht der Verkehr. Man kann noch draußen sitzen. Drinnen leuchten strahlend blaue Lichtleisten an den Kanten der Spielgeräte. Es riecht nach Rauch. Zwei mittelalte Männer sitzen schwer vor ihren Geräten, drücken die Knöpfe, um die rotierenden Zahlen- oder Zeichenreihen laufen zu lassen oder anzuhalten. Bei dem einen passt jetzt alles. Der Automat rattert und rasselt, eine Münzenflut ergießt sich in den Ausgabeschacht: Glück in Kreuzberg.

Niemand weiß, wie viele Spielhallen, Spielcasinos, Automatencasinos und Spielcafés in Berlin auf Kunden warten. In der Gneisenaustraße gibt es Abschnitte mit drei Spielstätten direkt nebeneinander. Die Sonnenallee und die Hermannstraße in Neukölln sind für Leute, die auf Geldspiele stehen, fast so attraktiv wie Las Vegas. Es sind die großen, breiten Straßen, an denen Spielhallen und Automatencasinos vorzugsweise eröffnet werden. Bürger und Politiker haben seit Jahren den Eindruck, es würden immer mehr. Die Politik hat nun gesagt: Es sind zu viele. Vor ein paar Wochen beschloss eine ganz große Koalition von SPD, Linken, CDU und Grünen im Abgeordnetenhaus ein „Spielhallengesetz“. Neue Auflagen werden gemacht, Öffnungszeiten und Gerätemengen beschränkt. Regulierung ist angesagt. Das meinen in der Politik alle außer den Liberalen.

Und außer den Leuten, die mit der Spielerei eine Menge Zeit verbringen. Die Strecke Bismarckstraße–Kaiserdamm in Charlottenburg bietet ihnen auf dreieinhalb Kilometern Länge acht, neun Möglichkeiten, von morgens bis abends. An einem Freitagvormittag haben sich am Kaiserdamm zwei Männer rauchend in die Sessel mit den hohen Beinen gefläzt. Sie haben je zwei Automaten in Betrieb. – Wie es in der Begründung des Spielhallengesetzes heißt, ist das ein deutlicher Hinweis auf Suchtgefährdung. Die Geräte sind so programmiert, dass sie nach einer gewissen Dauerlaufzeit automatisch abschalten. Wer zwei Automaten spielen lässt, überbrückt so die Auszeiten. Denn einer läuft immer.

Dasselbe Casino ist abends nach zehn absolut voll. Alle Automaten besetzt – „Tut mir leid“, sagt der junge Mann mit der blauen Weste, der die Aufsicht führt, man könne ja später noch mal kommen. Allerdings sei es abends oft sehr voll. „Voll“ bedeutet: Sieben, acht, neun Leute spielen. Ein Hund liegt unter einem Automaten und fühlt sich erkennbar nicht wohl. Zwei junge Männer mit hungrigen Blicken bespielen einen Automaten, ein paar ältere bestücken jeweils zwei.

Es bleibt ein leeres Gefühl

Es ist ein Zocken mit Zahlen und Zeichen: Spiel aussuchen, Knopf drücken, warten, hoffen. Kalkulieren, dass die Betätigung der „Risiko“-Taste nicht bloß Geld kostet, sondern die Gewinnchancen erhöht. Jetzt läuft „Shogun“ – das Spiel unterscheidet sich nur dem Namen und den aufleuchtenden Bildern nach von den anderen zehn oder zwölf, die der Automat bietet. Auto- oder Früchtebilder leuchten – oder, wie bei „Shogun“, asiatisch anmutende Buchstaben, Schwerter, Kämpfergesichter. Bestimmte Kombinationen bedeuten Gewinn. Zehn Euro sind in fünf Minuten verzockt – die Zeit verfliegt, es bleibt ein leeres Gefühl.

So ist es überall, in jedem Laden an Kaiserdamm und Bismarckstraße an diesem ganz normalen Abend zwischen zehn und Mitternacht. Und doch ist überall Betrieb, ob draußen „Automatencasino“ oder Spielcafé dran steht. Der mittelalte Mann mit der Basecap und der Lesebrille sucht in seinem geräumigen Portemonnaie nach Kleingeld. Zwei Männer haben zwei Stühle zusammengerückt und sitzen gemeinsam gebannt vor dem Automaten. Das ist selten. Die meisten Spieler sind solo unterwegs und kaum aufs Reden mit anderen bedacht. Die bunten Automaten beleuchten ihre Gesichter. Woran erkennt man einen Spielsüchtigen? Eine junge Frau sitzt angespannt vor dem Gerät. Wie fixiert folgt sie dem Dauerlauf der Zeichen, eine Zigarette in der Hand. Sieht so eine Spielsüchtige aus? Wieso ist sie hier allein und nicht mit Freunden unterwegs? Egal: Fünf Euro für die nächste Runde. Fünf Zitronen nebeneinander wären sicher ein Gewinn. Auf dem Automaten kleben Hinweise: Benutzung erst ab 18. Ein Beratungsangebot mit einer langen Telefonnummer für Leute, die sich suchtgefährdet fühlen. Der Blick geht nach oben, wo der große Becher zum Auffangen der Münzen steht, absolut leer, dann auf die rasenden Früchtereihen: Keine fünf Zitronen, nie. Nach zwei, drei Minuten sind die fünf Euro weg. „Nach Feststellung der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin leben schätzungsweise 37 000 Menschen mit riskantem beziehungsweise pathologischem Spielverhalten in unserer Stadt. Ein Großteil dieser Menschen gerät nahezu zwangsläufig in die Schuldenfalle“, heißt es in der Begründung für das Spielhallengesetz. Neuerdings müssen Spielhallen von drei Uhr nachts bis elf Uhr vormittags schließen. Für andere Regelungen gelten Übergangszeiten: Spielhallenbetreiber müssen einen „Sachkundenachweis“ erbringen, die Anzahl der Geräte auf acht reduzieren – und sich 2016 um neue Genehmigungen bemühen. Neue Spielhallen müssen zu bestehenden einen Abstand von 500 Metern einhalten. Auch sollen keine Geldautomaten unmittelbar an den Objekten angebracht werden.

Die jetzt zuständigen Bezirkspolitiker sind unterschiedlich zuversichtlich, was die Wirkung des Gesetzes anbelangt. „Das Gesetz ist gut“, sagt Peter Beckers (SPD), Wirtschaftsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. 80 Spielhallen gebe es im Bezirk und eine ganze Reihe von Anträgen, von denen die meisten wohl nicht genehmigt würden. Skeptischer ist Klaus-Dieter Gröhler (CDU). Als Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf hat er mit den Spielstätten zu tun. Er erwartet, dass das Gesetz zu viel Streit führen wird. Horst-Holger Kalusa vom Ordnungsamt Neukölln macht darauf aufmerksam, dass außer den vom Gesetz betroffenen „Spielhallen“ eine unbekannte Zahl von Automaten in unbekannter Zahl von Cafés, Restaurants und Imbissbuden stehe. Die Vorschriften sagen: Drei Geräte pro Betrieb, wenn der eine gewisse Größe hat. Doch wer will kontrollieren, wie viele Geräte wirklich aufgestellt werden?

Leute aus der Branche halten das Gesetz für eine Fehlkonstruktion. Da ist was dran. Drei Unternehmer aus der Spielhallenbranche, die sich zum Gespräch bereit gefunden haben, aber ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, erklären: Reguliert und eingeschränkt würden nur die Spielhallen. Einer sagt, er zahle jeden Monat 10 000 bis 15 000 Euro Steuern. Wer aber ein Café betreibe und dort nicht nur die drei genehmigten Automaten aufstelle, sondern sechs oder acht oder zehn Automaten, der behalte alles, was die illegal aufgestellten Geräte bringen.

Ein anderer – 15 Spielhallen, 45 Angestellte – fragt rhetorisch, wie viele Arbeitsplätze es koste, wenn er die Öffnungszeit um acht Stunden verkürzen müsse? Ihn ärgere die „Arroganz“, mit der allein die Spielhallenbetreiber für die Spielsucht mancher Leute verantwortlich gemacht würden. Dagegen hätten Leute nichts zu befürchten, die in ihrem „Café“ reihenweise Automaten aufstellten, nie kontrolliert würden und keine Steuern zahlten. „Kurz vor der Wahl“ werde ein Gesetz gemacht, das die Falschen treffe. Es zeige nur, was die Behörden jahrelang nicht in den Griff bekommen hätten.

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