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Berlin: Cowboys, Gentlemen und andere echte Männer

Nie war Herrenmode spannender. Sie spiegelt die Facetten der neuen Männlichkeit wider

„He was a friend of mine. Immer, wenn ich an ihn denke, muss ich weinen, denn er war mein Freund.“ So beginnt der Song einer großen Männerfreundschaft und tragischen Leidenschaft zwischen zwei Männern im Jahr 1963. Der taiwanesisch-amerikanische Regisseur Ang Lee hat mit „Brokeback Mountain“ einen der grandiosesten Liebesfilme des Frühlings gedreht, ein Westernmelodram der schwulen Gefühle. Seine Helden, die Cowboys Ennis Del Mar und Jack Twist tragen, was Jungs in der Wildnis der Rocky Mountains so tragen – Hüte mit breiter Krempe, Cordsamtjacken, Sweater, Baumwollhemden, breite Gürtel, Boots und Jeans, Jeans, Jeans.

Seitdem sie Levi Strauss im 19. Jahrhundert erfand, sind Jeans für Frauen, mehr noch aber für Männer, das ultimative Kleidungsstück quer durch Generationen, Klassen und modische Vorlieben. Nach wie vor stehen sie für Muskeln und Freiheitsdrang, rotziges Rockertum und jugendliche Fitness. Kein Basic symbolisiert den Sex-Appeal echter Männer besser als eine Jeans – doch was sind echte Männer?

Eine Frage, die Magazine, Trendforscher und Designer gleichermaßen beschäftigt. Nachdem sich Weiblichkeit gegenwärtig, pendelnd zwischen Mutter, Hausfrau, Managerin, Geliebter, Freundin und Kumpel verwirklicht, sollen sich nun auch die Männer möglichst facettenreich neu erfinden. Auch hier geht es darum, die bekannten Modelle Macho, Gentleman, Gigolo, Softie und Metrosexueller zu kombinieren und zu verfeinern. Jüngstes Ideal ist der „Real Man“, den die US-Autoren Salzman, Matathia und O`Reilly in ihrem Buch „The Future of Men“ beschreiben. Ihr Mann verbindet die besten Eigenschaften traditioneller Kerle – Mut, Stärke, Charme, Aufrichtigkeit, Charakter – mit eher femininen Qualitäten wie Emotionalität, Intuition, Kooperationsbereitschaft, Pflege von Körper und Seele, Modebewusstsein.

Womit wir wieder bei der Jeans wären. Vom blauderben Urtypus entwickelte sie sich zum raffinierten Kultobjekt einer immer größeren Zahl von Labels. Dass sie dabei ihr Flair von Ledersätteln und schmalen Hüften nie verlor, verdankt sie einem Mann, der sie Mitte der siebziger Jahre neu erschuf, indem er sie alt aussehen ließ: Renzo Rosso. Der Gründer der italienischen Modemarke „Diesel“ kreierte die Vintage-Denim, in dem er den Stoff auswusch, ausfranste und durchlöcherte. Je getragener die Hose wirkte, desto mehr Coolness signalisierte sie.

Renzo Rosso verkörpert diese eigenartig jungenhaft-alterslose Jeans-Aura auch mit inzwischen fünfzig Jahren. Immerhin sind Jeans das Material seines Welterfolgs und der Treibstoff seiner Träume. Er hat sich ein paar erfüllt, Motorrad, Yacht, Privatjet, eigenes Hotel, Farm - Machospielzeuge eben. Doch seine „wichtigste Vision“, sagt er, sei „mitzuhelfen, die Welt zu verbessern.“ Immer stärker engagiert er sich sozial. „Das gehört sich so für einen Gentleman.“

Ein solcher hat nicht nur gute Manieren, für Rosso ist er vielmehr ein „Ehrenmann, jemand, der aufrichtig und direkt ist. Schau mir in die Augen, und sage mir, was du denkst.“ So spricht ein Mann mit Haltung, der in seinem Geburtstagsbuch „Fifty“ beschreibt, was ihm jenseits seines Einflusses wirklich wichtig ist: Familie, Freunde, die Heimat. Das sind die konservativen Werte des klassischen Patriarchen. Doch Rosso paart sie mit dem Perfektionismus höchster Ansprüche an sich selbst, dem unbedingten Willen zum Sieg und, durchaus verblüffend, dem klaren Bekenntnis zum „Anderssein. Es ist ein Schlüssel zum Erfolg. Lehnen Sie Konventionen ab, ignorieren Sie Trends. Zeigen Sie, wer Sie sind, dann fühlen Sie sich großartig. Das gilt auch für Kleiderfragen“, offenbarte er unlängst.

Mit Jeans, Lederjacke, T-Shirt, Silberschmuck und den auf zwei Finger der rechten Hand tätowierten Initialen seines Namens ist er der Prototyp des neuen „Real Man“: traditionsbewusst, doch mit anarchischem Temperament, bodenständig, doch mit Lust am Luxus. Alte Schule mit souveräner Gefühlslage. Er ist sein bestes Model, wie auch der Brite Ozwald Boateng.

Seit 2003 schneidert der gebürtige, 37 Jahre alte Ghanaer in der Londoner Saville Row für sein Label und entwirft außerdem die Herrenlinie für das Pariser Haus Givenchy. „Bespoke Couturier“, maßschneidernder Couturier nennt er sich, der mit einem ehemaligen russischen Mannequin verheiratet ist und zwei Kinder hat. Mit Rosso verbindet ihn außer dem in der Branche eher raren Familiensinn eine gewisse radikale Energie bei gleichzeitigem Beharren auf einem bewährten Regelkanon. So hat er den Herrenanzug, Inbegriff männlicher Seriosität, mit den leuchtenden afrikanischen Farben seiner Kindheit vitalisiert. Und beweist, dass Männer auch jenseits der Dreißig in orangefarbener Hose und silbrig schimmerndem Jackett oder, etwas dezenter, in Kurzmänteln mit breitem Alpaka-Pelzkragen „kultiviert“ aussehen können, wie er sein Ideal der Männlichkeit beschreibt. „Farbe ist essenziell und das Detail. Die Stelle, an der ein Knopf sitzt, hat bei mir weniger mit Schnitttechnik zu tun, als mit Ästhetik. Es geht mir um Balance.“ Eleganz und eine Spur Exzentrik, gemixt mit höflich-amüsierter Gelassenheit, sind die Zutaten des kultivierten Stils, der eines nicht sein will: uniform.

Nie war Männermode vom hermetischen Power-Image wie dem des „Bosses“ oder des Bodybuilders weiter entfernt. Stattdessen zelebrieren Designer wie beispielsweise Christopher Bailey für Burberry oder Raf Simons, der für die Marke Jil Sander entwirft, gebrochenes Heldentum und kantige Verletzlichkeit. Die (über)schmalen Silhouetten und die androgyne Schlankheit, mit der Hedi Slimane von Dior Hommes die Männermode glamourisierte, dominieren das neue sanft-harte Ideal der männlichen Erotik.

Zupackendes Chef-Outfit mit verspieltem Gay-Chic zu verschmelzen, darin liegt die Herausforderung für den Look des „Real Man“. Der bereits nach zwei Kollektionen umjubelte Newcomer Kris van Assche scheint ihm am nächsten zu kommen. Denn der 29 Jahre alte belgische Designer, der sechs Jahre für Slimane arbeitete, verbindet „Natürlichkeit mit nostalgischer Eleganz“, wie er erklärt. „Oder sollte ich besser sagen, mit schroffer Eleganz?“

Bemerkenswert ist, dass van Assche erneut ein rituelles Moment in die Männermode einschleust. So setzte er seinen Models in der jüngsten Show Zylinder auf wie vor einem Degengefecht oder umkränzte ihre Köpfe mit Lorbeer wie bei einem bacchantischen Gelage. Er will, dass sich Männer „dem Anlass entsprechend anziehen.“ Wie Renzo Rosso und Ozwald Boateng besinnt sich auch Kris van Assche auf historische Männervorbilder, die er wie diese individualisiert und modernisiert.

Was also ist Männlichkeit heute im Spiegel der Mode? Ein Abenteuer zwischen Dominanz und Toleranz, Macht und Zärtlichkeit, Boxkampf und Gesichtspeeling. Männer haben die Wahl.

Eva Karcher

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